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Neue Führung, neue Rollen
Was auf Ricarda Lang und Omid Nouripour an der Spitze der Grünen jetzt zukommt
Noch vor wenigen Jahren hätte diese Formulierung für großes Aufsehen gesorgt, nun gab es dafür nicht einmal Applaus: »In der K-Frage« wolle man wieder mitspielen, sagte Omid Nouripour am Samstag auf dem Online-Parteitag der Grünen, fast beiläufig, als wäre es eine Selbstverständlichkeit.
Schon im letzten Jahr hatten die Grünen vom Kanzleramt geträumt, waren aber nach einem guten Wahlkampfstart immer tiefer in die Krise gerutscht und bei der Bundestagswahl ohne Chance geblieben. Doch offenbar, das zeigte diese kurze Szene im Berliner Velodrom, haben sie sich schnell daran gewöhnt, im Konzert der Großen mitzuspielen. Und Nouripour, der sich am Samstag neben Ricarda Lang für den Parteivorsitz bewarb, will die Grünen genau dorthin führen: nach ganz oben. »Wir machen Politik für alle«, sagte er in seiner Bewerbungsrede und zeigte damit, was er mit seiner Partei vorhat: Er will die Grünen aus ihrer alten Rolle als Milieupartei endgültig befreien, den Wandel zu einer Volkspartei abschließen.
Das ist zunächst einmal keine Überraschung: Nouripour gehört in seiner Partei dem Realoflügel an, der ohnehin seit vielen Jahren auf Regierungsbeteiligungen auch mit der CDU und ein breites Wähler*innenspektrum setzt. Dass der Außenpolitiker und bekennende Transatlantiker am Ende mit 81 Prozent Zustimmung zum neuen Ko-Parteichef gewählt wurde, zeigte, dass sich zumindest in diesem Punkt der Großteil einig ist: Man will nicht mehr am Rand stehen, sondern ins Zentrum der Macht vordringen. Auch erzielte Nouripour ein besseres Ergebnis als zuvor Ricarda Lang, die auf 76 Prozent kam.
Vermittlerfunktion der Spitze
Im Mittelpunkt der Delegiertenkonferenz stand indes eine andere K-Frage: die der Kompromisse. Schon am Freitagabend bemühten sich die beiden bisherigen Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock, der Basis die Qualitäten der Ampel-Koalition zu vermitteln, obwohl viele aus Grünen-Sicht wichtige Punkte nicht durchgesetzt werden konnten: kein Tempolimit, kein Verkehrsministerium, kein Vorschlag für eine eigene Kandidatin für das Bundespräsidentenamt, dazu die fragwürdige EU-Taxonomie für Atomenergie und Gaskraftwerke.
Als wolle sie lästigen Debatten vorgreifen, betonte Baerbock, dass »Kompromisse zum Leben dazugehören«. In ihrer neuen Rolle als Außenministerin habe sie erkannt, dass sie froh sein könne, »in einem Land zu leben, wo es eben nicht das Prinzip gibt: The winner takes it all.« Habeck ergänzte, er halte Debatten über Kompromisse für unsinnig: »Eine Partei ist kein Selbstzweck.« Es sei gut, dass die Grünen nun Entscheidungen verantworten, und es werde ja alles noch besser, sagte er, seine Worte mit lebhaften Gesten unterstreichend. Es war der Versuch einer Rückversicherung bei den via Internet zugeschalteten Delegierten: So viele »Kröten« man auch schlucken müsse, am Ende werde es sich schon auszahlen.
Fakt ist aber auch: Habeck und Baerbock haben die Grünen nach oben geführt, sie können mit ihrer Bilanz zufrieden sein. Am Ende standen sie noch einmal gemeinsam auf der Bühne und scherzten miteinander: Weil das Ergebnis der Wahl des neuen Führungsduos erst schriftlich bestätigt werden muss, »sind wir ja noch zwei Wochen länger Parteivorsitzende«, meinte Baerbock. Und Habeck: »Da werden wir all die Dinge entscheiden, die wir uns nie getraut haben.«
Die neuen Vorsitzenden haben eine komplizierte Aufgabe zu meistern. Denn Baerbock und Habeck ja nicht einfach von der Bildfläche verschwunden, sondern werden auch in Zukunft das Gesicht der Grünen prägen – mehr als je zuvor. In der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass der Blick der Öffentlichkeit in Krisenzeiten noch stärker als sonst auf Regierungshandeln gerichtet ist. Baerbock hat nun mit dem Russland-Ukraine-Konflikt mit einer komplexen Krise umzugehen, und Habeck muss zeigen, dass den Ankündigungen einer klimapolitischen Wende nun Taten folgen. Fehler der beiden werden auch auf die Partei zurückfallen und damit auf das neue Duo an der Parteispitze, das eine ganz andere Rolle ausfüllen muss.
Lang, die sich am Samstag Corona-infiziert aus ihrer WG meldete, beschrieb diese Rolle bei ihrer Bewerbungsrede recht treffend: »Ich trete an, um im Spannungsverhältnis zwischen einer Partei, die viel verändern will, und der Realität einer Regierung etwas zu erreichen.« Als Parteilinke ist die 28-Jährige nun besonders gefordert, der Basis zu erklären, warum welche »Kröte« geschluckt werden muss. Sie ist zudem das neue »soziale Gewissen« der Partei: »Wir müssen endlich den falschen Widerspruch zwischen Klimaschutz und Sozialem auflösen.« Nachdem Baerbock und Habeck die Partei hinter sich vereinten, haben Nouripour und Lang nun eine Art Vermittlerfunktion zwischen Basis und Regierung. Immerhin durften sich die Parteilinken am Samstag gleich doppelt freuen: Auch die neue Politische Geschäftsführerin Emily Büning, die ohne Konkurrenz auf 88,35 Prozent der Stimmen kam, gehört zum linken Flügel.
Basis muckt auf – ein bisschen
Dass die Basis der Führung zumindest nicht alles durchgehen lässt, zeigte sich bei einer anderen Abstimmung: Die Grünen beschlossen, dass künftig mehr Unterstützungsunterschriften erforderlich sind, um auf einem Parteitag einen Antrag zu stellen – allerdings nicht so viele, wie der Bundesvorstand ursprünglich wollte. Bislang sind 20 Unterstützer*innen nötig, die Vorlage des Vorstands sah ein Quorum von 0,1 Prozent der Mitglieder vor – bei der derzeitigen Mitgliederzahl von über 125 000 wären das 125 Unterschriften gewesen. Am Ende einigte man sich mit einer Mehrheit von 76 Prozent auf 50.
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