- Wirtschaft und Umwelt
- Strukturwandel in den Kohleregionen
Der Epochenbruch als Dorfwettbewerb
Der Strukturwandel in den Kohlerevieren steckt in der Krise. Gerügt werden mangelnde Beteiligung und unzureichende Kommunikation
Das Geld ist komplett verplant. Bis 2026 läuft die erste Förderperiode beim Strukturwandel in den Braunkohlenrevieren. Städte und Gemeinden sollen sich für die Zeit nach dem Ende der Kohleförderung und -verstromung wappnen. Wer indes nicht einen fertigen Antrag aus der Schublade ziehen konnte und ein entsprechendes Vorhaben erst jetzt fertig geplant hat, schaut in die Röhre: Die bis 2026 verfügbaren Mittel im Haushalt seien »vollständig belegt«, wurde Anfang Januar aus der Sächsischen Agentur für Regionalentwicklung (SAR) bekannt. Thomas Pilz, Kommunalpolitiker aus der Oberlausitz, ist ernüchtert: »Das macht mich ratlos.«
Pilz, der einst im Neuen Forum aktiv war, ist Gründer der »Bürgerregion Lausitz« und wirkte ab 2016 in einer »Zukunftswerkstatt Lausitz« mit, in der unter Beteiligung von 2500 Menschen eine Strategie für die Region bis 2050 erarbeitet wurde - also für eine Zeit, in der die Kohle und die damit verbundenen Arbeitsplätze Geschichte sein würden. Es war klar, dass es sich um einen Epochenbruch handeln würde: Über 100 Jahre hat die Kohle in der ansonsten überwiegend ländlichen Region für gut bezahlte Arbeit gesorgt - und für regionale Identität. Der Spruch »Ich bin Kumpel. Wer ist mehr?« trifft das Lebensgefühl vieler Menschen. Die Frage, wovon sie nach dem Kohleausstieg leben werden und worauf sie dann stolz sein können, hat enorme Brisanz.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
2019 wurde dieser Ausstieg von der Kohlekommission offiziell besiegelt, später vom Bundestag beschlossen. Es begann ein Prozess, der »Strukturwandel« heißt und für den der Bund die enorme Summe von 40 Milliarden Euro locker macht. Bund, Länder und Kommunen entwickeln dabei viele mehr oder weniger überzeugende Projekte. Doch Ideen der Bürger seien kaum noch gefragt, sagt Pilz. Die Strategie der Zukunftswerkstatt bis 2050 ist in den Schubladen verschwunden. Doch mangelnde Beteiligung und »fehlendes Miteinander« könnten fatale Folgen haben: »Wir drohen zu scheitern.«
Die Warnung von Pilz, die er am Freitag bei einer Anhörung im Dresdner Landtag aussprach, ist nur eine von vielen, die derzeit zu hören sind. Antonia Mertsching, Linke-Abgeordnete im Landtag, hält einen »Neustart des Strukturwandels« für notwendig. Fördergelder nach dem »Windhundprinzip« zu vergeben, habe sich ebenso als Fehler erwiesen wie ihre Verteilung über ein Gebiet, das weit über das eigentliche Revier hinausreicht. Auch der DGB in Sachsen ist ernüchtert. Landeschef Markus Schlimbach sagt, der Strukturwandel führe »nicht zu den Ergebnissen, die wir uns alle erhofft haben«, und stichelt, es gehe um die »umfassende Veränderung einer Industrieregion und nicht um den Wettbewerb ›Schöner unsere Städte und Gemeinden‹«.
Der Seitenhieb bezieht sich auf Projekte aus Kommunen, bei denen Geld für den Strukturwandel in Radwege, Wanderwegweiser und die Sanierung von Kitas gesteckt wird. Das sorgte bereits für viele unschöne Schlagzeilen. Allerdings warnt Jörg Mühlberg, Geschäftsführer der SAR, vor einem falschen Bild. Es sei »nicht richtig«, dass nur Kitas gefördert würden, sagt er. Im Bereich »öffentliche Fürsorge«, zu dem Kitas gehören, seien im Revier südlich von Leipzig nur sechs Prozent der kommunalen Fördergelder gebunden. In der Lausitz sind es freilich 31 Prozent. Zugleich betont Mühlberg, dass in den Kommunen nur der kleinere Teil der Strukturwandelgelder verteilt werde. Vom Land zu verantwortende Projekte, zu denen etwa Forschungsverbünde zu Kreislaufwirtschaft, innovativen Karbonfasern und für mathematische Modellierung gehören, umfassen in der Lausitz 748 Millionen Euro, mehr als doppelt so viel wie die Projekte der Kommunen.
Noch einmal mehr Geld fließt in Projekte des Bundes: zwei Drittel der zehn Milliarden Euro, die in Sachsen in den Strukturwandel gesteckt werden. Das Geld wird teils für Verkehrsprojekte verwendet, aber auch für je ein Großforschungsprojekt in beiden Revieren. Aus 100 Anträgen sind sechs ausgewählt. Im Spätsommer wird klar sein, welche den Zuschlag erhalten. In die Forschungsinstitute steckt der Bund 150 Millionen Euro jährlich - und zwar auch nach dem bislang noch gültigen Enddatum des Kohleausstiegs im Jahr 2038, betont Hans Müller-Steinhagen, Ex-Rektor der TU Dresden. Die entstehenden Institute sollten einmal »zur Weltspitze gehören«. Vor allem aber würden sie »neue wirtschaftliche Wertschöpfungspfade kreieren«, sprich: Keimzelle für Unternehmen und damit Arbeitsplätze sein.
Hoffnungen für die wirtschaftliche Zukunft der bisherigen Kohlereviere ruhen demnach deutlich stärker auf solchen Bundes- und Landesprojekten als auf jenen in den Kommunen. Es sei eine »irrtümliche Erwartungshaltung«, dass es sich um ein Fördergesetz für die Kommunen handle, sagt SAR-Chef Mühlberg. Er betont auch, dass das für Projekte auf kommunaler Ebene geltende Gesetz »keine direkte Arbeitsplatzförderung zulässt«, anders als etwa der Just Transition Fund der EU oder weitere Fördertöpfe des Bundes, die für den Wandel in den Revieren angezapft werden könnten.
Wenn es freilich eine solche »irrtümliche Erwartungshaltung« der Öffentlichkeit gibt, wäre zu fragen, wie sie entstehen konnte. Eine mögliche Antwort: unzureichende Kommunikation. Dort liege ein »großes Defizit« des bisherigen Strukturwandels, sagt Stefan Bischoff, Chef des Analyseinstituts MAS, das regelmäßig Befragungen im Lausitzer und im Leipziger Revier durchführt. Wie die Wahrnehmung von Planern und Politikern auf der einen und von Bürgern auf der anderen Seite auseinanderklafft, zeigt sich in der Bewertung des bisher Erreichten.
Im »extrem jungen Prozess« des Strukturwandels habe man schon »sehr viel geschafft«, sagt Klaus Freytag, der Lausitzbeauftragte des Regierungschefs von Brandenburg. Das ist bei den Bürgern mehrheitlich nicht angekommen. Auf die Frage, ob ihrer Wahrnehmung nach der Strukturwandel eingesetzt habe, antworteten in den jüngsten MAS-Umfragen 49 Prozent der Befragten im Mitteldeutschen Revier und 39 Prozent in der Lausitz mit »Nein«. »Ja« sagen nur 29 bzw. 32 Prozent.
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