Die unkontrollierbare Kraft

Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow fürchtet Regimegegner aus dem türkischen Exil

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 3 Min.

Glaubt man den tschetschenischen Behörden, geht es Sarema Musajewa ganz hervorragend: Die am vergangenen Donnerstag aus Nischni Nowgorod von tschetschenischen Sicherheitskräften entführte Mutter des Menschenrechtlers Abubakar Jangulbajew soll drei Mal täglich warmes Essen bekommen, werde ausreichend mit Insulin versorgt und habe sich bisher über nichts beschwert, erklärte der tschetschenische Ombudsmann für Menschenrechte, Mansur Soltajew, am vergangenen Freitag nach einem Besuch der Verschleppten in einem Gefängnis des Innenministeriums der Kaukasusrepublik. Doch an dieser Darstellung gibt es erhebliche Zweifel: Musejewa sei der Kontakt mit einem Anwalt aus »Quarantänegründen« untersagt worden, meldet das russische Komitee gegen Folter. Am Sonnabend habe sie in einem von den tschetschenischen Behörden verbreiteten Schreiben offiziell auf einen Juristen verzichtet. Die Menschenrechtsaktivisten bezweifeln, dass die Erklärung aus freien Stücken verfasst wurde. »Wir haben wiederholt ähnliche Fälle erlebt, in denen Druck auf den Angeklagten ausgeübt wurde«, heißt es im Telegram-Kanal der Organisation.

Während das weitere Vorgehen der tschetschenischen Behörden unklar bleibt, enthüllen Recherchen der Journalistin Jelena Milaschina von der »Nowaja Gaseta« nun die Hintergründe der Verschleppung von Sarema Musajewa. Ihre Entführung sei der bisher bekannteste Fall einer Repressionswelle gegen Angehörige von Kritikern des Republikoberhauptes Ramsan Kadyrow, schreibt die kremlkritische Zeitung aus Moskau.

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Milaschina zufolge, die sich seit Jahren mit der Situation in Tschetschenien befasst, seien in der Nacht auf den 22. Dezember 2021 Dutzende Familienmitglieder von fünf im Exil lebenden Oppositionellen - darunter auch minderjährige Kinder - aus ihren Häusern und Wohnungen verschwunden. Anrufe und Kontaktanfragen seien ohne Reaktion geblieben. Kadyrow habe die Angehörigen als Geiseln genommen, um seine Gegner zum Schweigen zu bringen.

Im Gegensatz zu diesen Repressionen habe die dreiste Entführung von Sarema Musajewa - Ehefrau des Richters Sajda Jangulbajew, der unter besonderem Schutz des Inlandsgeheimdienstes FSB steht - jedoch für mehr mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Viele Russen reagierten empört. Die tschetschenischen Behörden mussten sich erklären.

Die Jangulbajews seien Terroristen und stünden hinter einem Anschlag auf einen tschetschenischen Beamten in der Türkei, erklärte Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow Ende der vergangenen Woche. Tatsächlich kursiert in sozialen Netzwerken ein Video, das aller Wahrscheinlichkeit nach zeigt, wie ein ehemaliger Sicherheitsbeamter Kadyrows im vergangenen Herbst von Unbekannten in der Türkei verprügelt wird. Das Land am Mittelmeer ist unter tschetschenischen Sicherheitskräften sehr beliebt: Viele verbringen in der Türkei ihren Urlaub, lassen sich dort im Rentenalter nieder oder kaufen Häuser.

Doch auch viele Gegner der Herrschaft von Ramsan Kadyrow leben in der Türkei. Das Video mit den Prügelszenen stammt beispielsweise aus dem Telegramkanal Security Turkey, der Informationen über von Kadyrow in das Land entsandte Killerkommandos veröffentlicht, hochrangige Vertreter Kadyrows in der Türkei aufspürt und über die Villen und andere Immobilien von Kadyrows Entscheidungsträgern informiert. Die Macher des Kanals sollen Beziehungen bis in Kadyrows direktes Umfeld unterhalten, wie sich aus veröffentlichten vertraulichen Dokumenten schließen lässt. »Ramsan Kadyrow hat es zum ersten Mal mit einer Kraft zu tun, die er nicht kontrollieren kann«, schreibt Milaschina. Besonders beunruhigt sei er von der Festnahme zweier tschetschenischer Killer im vergangenen Herbst durch den türkischen Geheimdienst. Dieser war auf die Tschetschenen durch Fotos aufmerksam geworden, welche Security Turkey zuvor veröffentlicht hatte. Kadyrow reiste daraufhin in die Türkei, besuchte mehrere Touristenhochburgen und gab anschließend seinen Beamten im tschetschenischen Fernsehen Entwarnung: »Hier gibt es nur nette Menschen«, so Kadyrow, »und keine Schaitane.« Anschließend begannen die Repressionen.

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