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Revolte und Resignation
Vom marxistisch inspirierten Befreiungskampf bis zum immerwährenden Schicksal der Unterdrückung: »Die schwarzen Jakobiner« und »Afropessimismus« zeigen die Geschichte antirassistischer Theorie und Praxis – mit zwei unterschiedlichen Enden
Die Schwarze Befreiung ist hierzulande angekommen. So wurde unter anderem vergangenes Jahr in Frankfurt am Main ein »Tag der Befreiung Afrikas« begangen. Und nicht zuletzt die globale Dimension der »Black Lives Matter«-Proteste hat Schwarzen in Deutschland geholfen, eine radikalere Kritik vorzutragen und den Rassismus hierzulande grundsätzlicher in Frage zu stellen.
Nun liegen auch zwei wichtige antirassistische Texte aus dem englischsprachigen Raum auf Deutsch vor. Der eine ist C. L. R. James’ Studie »Die schwarzen Jakobiner«. Erstmals 1938 veröffentlicht, ist es eine Geschichte der Haitianischen Revolution, die der karibische Marxist als fulminante Klassenauseinandersetzung zwischen Schwarzen Sklav*innen und weißen Kolonisatoren beschreibt und damit einen Beitrag zur Globalgeschichte liefert. Der zweite Titel ist »Afropessimismus« von Frank B. Wilderson III. Der US-amerikanische Professor für African American Studies und ehemalige Aktivist gegen die Apartheid in Südafrika liefert eine komplexe Theorie, die versucht, den unzähmbaren antischwarzen Rassismus zu erklären.
Theorie und Praxis
Der englischsprachige Raum ist in Sachen antirassistischer Theorie und Bewegung breit aufgestellt. Das mag an dem banalen Fakt liegen, dass dort der Anteil Schwarzer in der Bevölkerung viel größer ist. Zudem prägten dort Sklaverei sowie langlebige Kolonialregime lange den Alltag und brachten damit bestimmte Formen von Unterdrückung und Ausbeutung über die Menschen. Die imperiale Gewalt und Politik brachte ein Bedürfnis nach Aufklärung hervor - praktisch und gedanklich. In der Karibik, den USA, Großbritannien und zum Teil auch in der französischsprachigen Welt entstanden unterschiedliche antirassistische Bewegungen und Theorien. Anspruch und Praxis waren so unterschiedlich wie die Verhältnisse, auf die sie trafen.
Die Bücher von James und Wilderson sind zwei Enden einer langen Linie solcher Theorien und der dazugehörigen Kämpfe. So steht James für einen Antirassismus, der sich in der Arbeiter*innenbewegung zwischen den Weltkriegen entwickelte, orientiert am Internationalismus der Dritten Internationale. Die Schwarzen Arbeiter*innenbewegung zeichnete sich durch einen klaren Antikolonialismus aus, da in den 1920ern und 30ern große Teile der Welt unter kolonialer Herrschaft standen. »Die schwarzen Jakobiner« bringt die Möglichkeit kolonialer Befreiung wieder in die Diskussion ihrer Zeit. Denn James zeigt, dass sie überhaupt möglich ist - hatten sich die Sklav*innen in der reichen französischen Kolonie doch gegen alle bedeutenden Kolonialmächte ihrer Zeit die Unabhängigkeit erkämpft, sie mussten ihre Bürgerrechte gegen das revolutionäre Frankreich nach 1789 durchsetzen. Das Beispiel fand Anklang. Der 1901 auf Trinidad geborene James, selbst zu Anfang Trotzkist, tauschte sich im London der 1930er mit vielen späteren Politikern der kolonialen Befreiung im 20. Jahrhundert wie Jomo Kenyatta aus.
Schwarze Arbeit, weiße Ausbeutung
Wichtiger ist aber, dass James die Schwarzen, ob nun Kolonisierte oder Versklavte, als Teil eines globalen Proletariats beschreibt. So waren die Plantagen auf dem amerikanischen Kontinent und in der Karibik die ersten Orte, an denen massenhaft Arbeitskräfte eingesaugt und der Reichtum des französischen und britischen Kolonialreiches produziert wurde. Diese Verbindung von Schwarzer Arbeit und weißer Ausbeutung schlug sich auch in der Politik der organisierten Arbeiter*innenbewegung seiner Zeit nieder. Hautfarbe war vor allem ein Zeichen von verstärkter Ausbeutung. So installierte die Komintern in den 1930ern ein Büro im Hamburger Hafen, um Schwarze Seeleute zu organisieren.
James selbst war immer auf der Suche nach Auseinandersetzungen, die sich gegen Rassismus und Ausbeutung wendeten. Er blieb bis zu seinem Tod im Jahre 1989 ein wichtiger marxistischer Intellektueller. Bekannt sind, neben seinem Buch über die Haitianische Revolution, vor allem seine Studien über die organisierte Arbeiter*innenbewegung und antikoloniale Kämpfe in Afrika. Die Johnson-Forest-Tendency entstand als einflussreiche Theorieströmung, benannt nach den Pseudonymen von James und Raya Dunayevskaya. Darüber hinaus versuchten James und sein Umfeld, Schwarze Landarbeiter*innen oder Arbeiter*innen bei Ford im Detroit der 60er zu organisieren. Als James 1965 in seine Heimat Trinidad und Tobago zurückkehrte, warf ihm einer seiner wichtigsten Genossen aus der Zeit, Martin Glaberman, vor, den Aufbau kommunistischer Gruppen zu vernachlässigen, da es in der Karibik keine Perspektive für Theorie und Praxis gäbe.
Glaberman sollte Unrecht behalten. Als James drei Jahre später nach London ausreiste, brach in dem jungen karibischen Staat die sogenannte Black Power Revolution aus. Eine zweijährige Kette von Generalstreiks und Demonstrationen erfasste das Land. Die globalen Proteste um 1968 waren auch dort angekommen. Die Bewegung bezog sich dezidiert auf die militante Bürgerrechtsbewegung in den USA. Obwohl James nicht mehr anwesend war, wurden seine beiden Lebensthemen, Klassenkampf und Antirassismus, zum Antrieb der sozialen Auseinandersetzung.
Nach den Kämpfen
Das Buch von Wilderson, der 1956 in New Orleans geboren wurde, liest sich hingegen wie das Ende des Schwarzen Radikalismus. Es ist eine Mischung aus abstrakter Abhandlung und Autobiografie, über weite Strecken spannend zu lesen. Das liegt aber vor allem daran, dass stilistisch oft nicht klar ist, ob es sich um einen literarischen oder einen theoretischen Text handelt. Im Zentrum steht die These, dass der titelgebende Begriff »Afropessimismus« eine Art Metatheorie sein soll, die den Rassismus gegen Schwarze über alle anderen Formen der Unterdrückung und Diskriminierung setzt. Sein theoretischer Kniff ist hierbei, dass er davon ausgeht, dass Opfer von Sexismus, Antisemitismus oder kapitalistischer Ausbeutung letztlich immer noch als Menschen angesehen werden, Schwarze durch die Geschichte der Sklaverei hingegen nicht. Sie fungieren als Gegenstände in einer nach Hautfarben strukturierten Gesellschaft.
Der Autor verlässt den antirassistischen Marxismus und wendet sich der Psychoanalyse im Frühwerk von Frantz Fanon zu, um seine These zu bekräftigen. Damit kann Wilderson seinen theoretischen und praktischen Pessimismus argumentieren. Dort tritt der Schwarze als unveränderbares Bild in der Psyche aller Nicht-Schwarzen auf und steht dort für alles Unmenschliche und Schlechte. Es gibt also kein Entrinnen, aber auch wenig Möglichkeiten der solidarischen Allianzen gegen diesen Rassismus. Überall lauert, nach Wilderson, das aggressive, rassistische Unbewusste gegen Schwarze. Diese Entmenschlichung findet sich in den USA zweifellos nach dem Ende der Sklaverei in der Lynchära in den Südstaaten. Schwarze wurden dort ungestraft öffentlich von weißen Mobs gefoltert und ermordet. Aber diese Gewalt zementierte auch das Schicksal Schwarzer Landarbeiter*innen, was für den agroindustriellen Kapitalismus der Südstaaten wichtig war. Das Lynchen folgte damit nicht nur einer psychologischen Logik, sondern auch einer ökonomischen.
Niedergang einer Bewegung
Gleichzeit schreibt der Dramatiker und Theoretiker seine eigene politische Biografie und eine Niedergangsgeschichte der linken Schwarzen Bewegungen. Wilderson wächst in den 1960ern in den USA auf und erlebt als Teenager die großen Organisierungsversuche dieser Bewegung, die Black Panther Party und auch die Black Liberation Army, eine militante und linksradikale Untergrundgruppe, entstehen. Gleichzeitig kommt es in dieser Zeit zu den großen Aufständen in den Schwarzen Vierteln. Doch diese Militanz wird schnell vom Staat niedergeschlagen. Die depressive und paranoide Stimmung nach diesem Angriff fängt er sehr persönlich ein.
Nachdem für Wilderson die USA als Kampffeld verloren gelten, geht er in den frühen 1990ern in das Südafrika der Apartheid und engagiert sich im illegalen African National Congress. Nelson Mandelas Partei ist damals noch eine kommunistische Organisation und hat einen bewaffneten Flügel. Die spannenden großen Linien spart Wilderson aus, vieles spielt sich in den kleinen sozialen Beziehungen ab. Wilderson schafft mit seinem Begriff des Rassismus, was er erreichen will: Er konstruiert eine Theorie und eine gesellschaftliche Wahrnehmung, aus der es kein Entkommen gibt. Sie beginnt mit der Sklaverei, aber ihr Ende ist nicht in Sicht.
Der Rassismusforscher und Professor für Politik und Geschichte Ibram X. Kendi bemerkt in seiner Ideengeschichte des Rassismus »Gebrandmarkt. Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika«, dass die ersten rassistischen Theorien Anfang des 16. Jahrhunderts auf der iberischen Halbinsel entstehen. Das ist nicht zufällig der Ort, an dem Könige und Seefahrer erstmals Unmengen an Geld mit dem Handel afrikanischer Sklav*innen verdienen.
James nimmt diesen ökonomischen Ursprung auf, ohne den Rassismus darauf zu reduzieren, während Wilderson die Idee der Ungleichheit fast als menschliches Schicksal konstruiert. Kann es eine Befreiung geben? Rassismus ist zwar zählebig, aber nicht unbesiegbar, das hat der Haitianische Sklav*innenaufstand bewiesen.
C. L. R. James: Die schwarzen Jakobiner. Toussaint Louverture und die Haitianische Revolution. Dietz Berlin, 364 S., geb., 20 €;
Frank B. Wilderson III.: Afropessimismus. Matthes & Seitz Berlin, 418 S., geb., 28 €.
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