• Kultur
  • Schokoriegel statt Sex

Butterfinger

Spaß und Verantwortung: Olga Hohmann entdeckt Schokoriegel als Sexersatz

  • Olga Hohmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine der leidenschaftlichsten Unterhaltungen, die ich jemals hatte, fand mit einem fremden Mann in einer leeren New Yorker Bar statt. Es war ein Dienstagabend und weit nach Mitternacht. Unsere Begegnung wäre normalerweise die klassische Einführung eines One-Night-Stands gewesen. Obwohl der Typ (Anfang Dreißig und durchtrainiert) anfangs ganz offensichtlich auf der Suche nach einer Frau war, die er mit nach Hause nehmen konnte, fing er bald an, statt mich zu verführen, einen stundenlangen Monolog über die Vor- und Nachteile verschiedener Sorten von Schokoriegeln zu halten.

Er konnte die klaren Unterschiede zwischen einem »Baby Ruth«, einem »5th Avenue«, einem »Milky Way«, einem »Kit Kat«, einem »Chunky«, einem »Snickers«, verschiedenen »Reeses«-Produkten, einem »Rocky Road«, einem »Wonka«-Riegel, einem »Twix« (natürlich), einem »Mr. Goodbar«, vier verschiedenen »Hershey«-Riegeln und einem »Three Musketeers« beschreiben. Er konnte auch den feinen Unterschied zwischen einem »Almond Joy« und einem »Bounty« beschreiben, ebenso wie zwischen einem »Abba Zaba«, einem »Payday« und einem »Whatchamacallit«.

Spaß und Verantwortung
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist, und versucht es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen.

Mit seiner professionellen Herangehensweise hatte er auch eine sehr klare Meinung, wem man vertrauen kann: Immer jemandem, der ein »Snickers« wählt, niemals jemandem, der gerne ein »Twix« isst. Nach dieser durchaus virtuosen Zurschaustellung seiner besonderen Expertise hatte keiner von uns mehr Energie, miteinander ins Bett zu gehen, die Leidenschaft für Schokoriegel hatte jede erotische Motivation ersetzt. Er kaufte mir stattdessen im Deli gegenüber seinen Lieblingsschokoriegel: einen »Butterfinger«.

Häufig sind es gerade die Geschichten, die nicht stattgefunden haben, die einem besonders positiv in Erinnerung bleiben - das Verhinderte, das Verzögerte und das, was latent als Möglichkeit im Raum steht. Der »Butterfinger«, den der durchtrainierte Mann mir schenkte, war eigentlich buchstäblich durch nichts zu übertreffen - keiner seiner eigenen Butterfingers hätte irgendetwas mit mir tun können, was mir auch nur annähernd so gut gefallen hätte wie das crunchig-bröckelige Butterkaramell in Vollmilchschokolade.

Ich glaube, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Grad an Berührung und der Größe meines Appetits gibt. Wahrscheinlich werden durch Schokolade und Zärtlichkeit ähnliche Hormone ausgeschüttet. Ich erinnere mich an die Zeit während des ersten Lockdowns, als ich plötzlich, von einem Tag auf den anderen, von niemandem mehr angefasst wurde. Plötzlich musste ich stattdessen bei jedem Späti anhalten und mir ein Eis kaufen. Ich entwickelte eine Art Strategie, wie sich dieser Akt gleichzeitig nach menschlicher Nähe (oder zumindest persönlicher Interaktion) anfühlte, indem ich den jeweiligen Späti-Verkäufer nach seinem Lieblingseis fragte und mich dann streng an seine Empfehlung hielt. Ich selbst hatte sowieso keine Präferenz. Außer: Je süßer, desto besser. Am besten tat es richtig weh, vor Zuckerigkeit.

Erstaunlicherweise waren es fast immer die Eiscreme-Versionen von Schokoriegeln, die mir die sehr kooperativen Späti-Verkäufer empfahlen. Es kamen wöchentlich neue Variationen heraus. »Bounty«-Eis, »Dark Bounty«-Eis, »Twix«-Eis, »Mars«-Eis, »Milky Way«-Eis, aber auch »Daim«-Eis und verschiedene Arten »Reeses«-Eiskonfekt. Am beliebtesten war mal wieder das »Snickers«-Eis - schon jetzt ein Klassiker. Weniger beliebt die »Snickers White«-Riegel, die mich persönlich zwar besonders interessierten, deren Konsum mir aber aufgrund der selbstauferlegten Regel leider nicht vergönnt war. Keiner der Späti-Verkäufer gab zu, gerne mal einen Riegel aus weißer Schokolade zu essen. Ich wette, sie tun es alle heimlich, nachts, auf dem Nachhauseweg, vor allem wenn sie, so wie ich, lange nicht mehr berührt wurden.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -