- Berlin
- Röstkaffee aus Berlin
Warten auf den großen Durchbruch
Trotz der Coronakrise hat ein junger Berliner mit einer Kaffeerösterei den Sprung in eine ungewisse Zukunft gewagt
Ein sanftes Knacken schallt aus dem Kaffeeröster durch den Raum in der Kuno-Fischer-Straße in Charlottenburg. Kaffeeröster Ken Braz - schwarzer Schnauzer und Kaffeebohnen-Käppi - ist hoch konzentriert. »Die ersten zwei Chargen sind tricky«, sagt Braz. Das liege daran, dass die Temperatur in dem gut zwei Meter hohen Röster noch nicht so stabil sei. Das kontrolliert Braz über sein Notebook: Wie die Lautstärke kann er die Temperatur und die Geschwindigkeit der Trommel steuern. Das Ziel: die Bohnen möglichst lange auf niedriger Temperatur zu rösten. »So verlieren sie nur wenig von ihrem ursprünglichen Aroma, und es entstehen nur geringe Röst-Aromen«, sagt Braz.
Dass guter Kaffee harte Arbeit ist, weiß der junge Unternehmer und Gründer des »August 63«, einer Mikro-Rösterei mit Onlineshop. Der 28-Jährige hat, wenn man so will, ganz unten angefangen - hinter der Theke. Er gab seinen festen Job mit gutem Gehalt in einer Marketingagentur auf, um für den Mindestlohn in einem Café zu arbeiten. »Ich wollte das Handwerk lernen«, sagt der gebürtige Luxemburger, der seit 2015 in Berlin lebt. Hinter der Theke zeigte Braz Ehrgeiz, kam oft früher zur Arbeit und blieb länger, um an seiner »Latte Art« zu arbeiten.
Das wiederum bemerkte sein damaliger Chef - schon nach einem Monat durfte er an die Espressomaschine. Normalerweise dürfen das Neulinge erst nach drei bis sechs Monaten. Dann kam die Coronakrise, und mit der Gastronomie ging es den Bach runter. Braz ging - wie viele in der Branche - in Kurzarbeit. Schließlich entschloss er sich, selbst ins Kaffee-Business einzusteigen.
Über das Internet verkauft Braz seitdem Spezialitätenkaffee aus Kolumbien, Honduras, Äthiopien, Kenia, Ruanda. Er bezieht den Kaffee von drei verschiedenen Importfirmen. Eine kommt aus Berlin - sie fahren jedes Jahr raus aufs Feld zu den Kaffeebauern, um vor Ort die Qualität zu prüfen. Eine andere setzt sich für Ex-Sträflinge in Kenia ein, pro Kilo verkauften Kaffees gehen 25 Cent an das soziale Projekt.
Supermarkt-Kaffee wird zu heiß geröstet
Doch was macht guten Kaffee eigentlich aus? Das weiß der Mikro-Röster, der ausschließlich sogenannten Spezialitätenkaffee verkauft. »Das sind die top 20 Prozent des Kaffees weltweit«, sagt Braz. Er wird auf guten Böden angebaut, die Kaffeekirschen dürfen lange reifen. Bei der Ernte werden verschimmelte oder von Insekten angefressene Kirschen aussortiert - und nicht einfach mitgeröstet. Bei Supermarkt-Kaffee erfolgt das mit Maschinen, die auch unreife und beschädigte Früchte mitnehmen.
Die Qualität des Rohkaffees wird von einem Fachverband der Premiumkaffeeröster getestet. Alles, was auf einer Skala bis 100 Punkte mehr als 80 erreicht, gilt als Spezialitätenkaffee. Alles darunter endet als gewöhnliche Handelsware im Supermarkt-Regal. »Oft schmecken die Supermarkt-Kaffees gleich, weil sie zu Tode geröstet werden - ganz schnell und ganz heiß«, sagt Braz.
Er will ein Produkt verkaufen, das anders ist als der herkömmliche Supermarkt-Kaffee. Und ethisch vertretbar. Es werde den Kunden immer wichtiger, dass sie wissen, woher der Kaffee kommt. »Die Leute wollen bewusster konsumieren«, sagt Braz. Der Kaffee ist bei ihm handgemacht; nach dem Rösten klebt er liebevoll gestaltete Etiketten auf die Pakete, stempelt das Röstdatum darauf und verschweißt jedes Paket per Hand.
Die Pandemie als Chance
Kaffeepause. Ein paar geübte Handgriffe mit der Milchkanne, und schon schmückt eine perfekte Blume den Cappuccino. Ken Braz beherrscht sein Handwerk, das demonstriert er im »Kuno 15« in Charlottenburg.
Dort treffen sich Gleichgesinnte. Francis, der Betreiber, hat hier eine Kaffeerösterei eröffnet. Neugründer können sich günstig einmieten, ihren Kaffee lagern und das Rösten lernen. »Wir helfen uns untereinander und tauschen uns aus«, sagt Braz. Man hält zusammen - wenn etwa mal ein bisschen Kaffee fehlt, dann hilft jemand aus.
Doch ist die Solo-Selbstständigkeit in der Krise kein Risiko? Warum hat sich Braz in der Pandemie selbstständig gemacht? »Es sind weniger Kunden im Laden als sonst«, sagt der Unternehmer. »Leute treffen, die Nähe und die Gespräche - das, was die Kaffeekultur ausmacht -, das alles hat mir gefehlt.« Darum hat er sich entschieden, sich selbstständig zu machen und den Kaffee online zu vertreiben. »Die Idee war, dass meine Familie und Freunde meinen Kaffee probieren können, ohne dass ich nach Luxemburg fahre.« Die Reaktionen und die Gespräche gibt es nun auf Instagram, wo der junge Mann aktiv seine Marke vorantreibt.
Berlin ist ein umkämpfter Markt, gilt schließlich als Pionier in der Gastrobranche, die Spezialitätenkaffee-Szene ist schon sehr präsent. Braz schreckt das nicht ab. Er sucht seine Zielgruppe und seinen Platz auf dem Berliner Kaffeemarkt und darüber hinaus.
Der Wahlberliner hat seine unternehmerischen Hausaufgaben gemacht, ein Gründungscoaching durchlaufen. Über den Gründungszuschuss von der Arbeitsagentur und eine sogenannte Crowdfunding-Kampagne - rund 14 000 Euro hat er gesammelt - macht er die ersten Schritte. »Das gibt am Anfang Sicherheit.« Von seinem Geschäft leben kann er trotzdem nicht. Aber das soll sich ab März ändern. Dann will er den Kaffee auch auf der Straße verkaufen, mit einer mobilen Kaffeebar. Sein Ziel sind Wochenmärkte und Firmenveranstaltungen. Er will seinen Kaffee zudem über verschiedene Partnercafés in Berlin und deutschlandweit anbieten.
Ein kleines Erfolgserlebnis ist schon zu verzeichnen: Es gibt ein erstes Café, das den Kaffee der Berliner Mikro-Rösterei verkauft - allerdings in Wien. Der Besitzer stammt auch aus Luxemburg.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.