Von wegen Lügenpresse

Ohne Öffentlich-Rechtliche haben wir deutlich weniger unabhängige Medien, meint Sheila Mysorekar.

Die britische Regierung produziert momentan einen Skandal nach dem anderen. Feuchtfröhliche Partys mit zahlreichen Regierungsmitgliedern mitten im Lockdown. Korruptionsvorwürfe gegen Boris Johnson, weil reiche Sponsoren seiner Frau goldene - ja, goldene! - Tapeten für die Wohnung bezahlt haben. Und noch einiges mehr. Dabei ist beinahe untergegangen, dass diese Regierung gerade einen massiven Angriff auf unabhängige Medien durchführt.

Die Gebühren für die BBC werden in den nächsten zwei Jahren eingefroren. Und ab 2027 soll der britische öffentlich-rechtliche Sender gar keine Gelder mehr über Gebühren bekommen, sondern sich anderweitig finanzieren, über Abos oder eine Teilprivatisierung. Das bedeutet für die BBC einen radikalen Kahlschlag. Tausende von Jobs werden verloren gehen und viele Programme müssen eingestellt werden.

Sheila Mysorekar
Sheila Mysorekar ist Journalistin und war langjährige Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher*innen. Heute ist sie Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, einem bundesweiten Netzwerk aus rund 170 postmigrantischen Organisationen. Für „nd“ schreibt sie die monatliche Medienkolumne „Schwarz auf Weiß“.

Vordergründig sah es so aus, als wolle Premierminister Johnson mit dieser Mitteilung von seinen Skandalen ablenken. Tatsächlich ist dies jedoch ein Plan, der schon seit langem auf seiner Liste steht. Johnson, ein ehemaliger Journalist, der wegen eines gefälschten Zitates von der Zeitung »The Times« gefeuert wurde, weiß genau, dass die BBC als unabhängiges Medium kritisch über die Regierung berichten kann - und das auch tut. Das war ihm und den Konservativen schon lange ein Dorn im Auge. Eine Regierung, die eine antidemokratische Politik verfolgt - die beispielsweise vor Kurzem das Demonstrationsrecht eingeschränkt hat -, kann kritische Berichterstattung nicht gebrauchen.

Genau das ist jedoch die Stärke öffentlich-rechtlicher Sender. Sie sind unabhängig von jeglicher Regierung und nicht auf Werbeeinnahmen angewiesen. Weder der Regierungschef oder die Regierungschefin noch ein reicher Sponsor oder Besitzer kann die Journalist*innen unter Druck setzen. Sie können frei über Korruption und Missstände berichten, sowohl die Regierung als auch Privatunternehmen betreffend. Öffentlich-rechtliche Medien müssen nicht rentabel sein. Und sie haben einen Auftrag, der klar vorgegeben ist: der Gesellschaft freien Zugang zu Informationen und Bildung zu gewähren - und zwar allen Mitgliedern der Gesellschaft, auch Minderheiten.

In Deutschland gibt es ebenso zunehmend Stimmen, die die Abschaffung von ARD und ZDF fordern. Vor allem aus der rechten Ecke. Dort wird den Öffentlich-Rechtlichen eine angebliche Linkslastigkeit vorgeworfen. Die AfD mobilisiert regelmäßig ihre Anhänger*innen gegen die »Zwangsgebühren«.

Es ist hingegen nicht so, als wollten Konservative und Rechte den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ersatzlos abschaffen. Nein, was sie stört, ist seine Unabhängigkeit. Das sieht man sehr schön am Beispiel Österreich. Im Zusammenhang mit der Untersuchung des Ibiza-Skandals sind Unterlagen aufgetaucht, die belegen, dass die damaligen Regierungspartner - die konservative ÖVP und die rechtsextreme FPÖ - den österreichischen öffentlich-rechtlichen Sender ORF verstaatlichen wollten. Das heißt, er sollte sich nicht mehr aus Gebühren finanzieren, sondern sie wollten den ORF aus der Staatskasse bezahlen und damit von der Regierung abhängig machen. Sogar die Leitungsposten hatten Kanzler Sebastian Kurz und der FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache schon mal vorsorglich untereinander aufgeteilt. All das wurde vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Der Ibiza-Skandal hat also indirekt den Österreichischen Rundfunk gerettet. Die Zeitschrift »Falter« kommentiert dazu: »Beispiele aus anderen europäischen Ländern zeigen, wie wichtig es ist, dass Staatssender nicht aus dem Budget, sondern aus der Gesellschaft heraus finanziert werden. Das stärkt die Unabhängigkeit und Legitimation, vor allem in der Wahrnehmung der Bevölkerung.«

Das geht uns alle an - Wir sollten die Pressefreiheit nicht für selbstverständlich nehmen. Auch in Deutschland geraten Medienschaffende zunehmend unter Druck

Die Deutschen schätzen die Unabhängigkeit der Öffentlich-Rechtlichen: Die »Langzeitstudie Medienvertrauen« der Universität Mainz zeigt ein stabiles und eindeutiges Vertrauen der Bevölkerung: Im Jahr 2021 hielten 67 Prozent der befragten Menschen das öffentlich-rechtliche Fernsehen für vertrauenswürdig, ähnlich wie in den Jahren zuvor. Der Reuters Institute Digital News Report bestätigt diese Ergebnisse. Das muss man wissen, wenn das nächste Mal irgendwer »Lügenpresse« brüllt.

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