- Politik
- Integration in Magdeburg
Im Zweifel gegen die Betroffenen
Herr C. lebt seit fünf Jahren in Deutschland, spricht Deutsch und ist mit einem Mann verheiratet. Die Ausländerbehörde Magdeburg will ihn in die Türkei abschieben.
Herr C. redet über Schnee und lacht. Neben ihm sitzt sein Ehemann Frank Schreiber-C. Im Hintergrund hängen Fotos an einer gekachelten Wand, eine grüne Palme steht in einer Zimmerecke. Auf die Frage, wie es ihm geht, lacht C. erneut – diesmal ein bitteres Lachen – und steht auf. Als er wieder ins Bild kommt, hält er Schlaftabletten und Tee in die Kamera. »Ich arbeite den ganzen Tag, und abends kann ich nicht schlafen«, sagt er, dabei klingt er ganz ruhig. Schreiber-C. zeigt seine Verzweiflung offener. »Langsam weiß ich nicht mehr weiter. Ich mag gar nicht mehr von der Geschichte erzählen«, sagt er. Und doch tut er das bei allen unseren Gesprächen geduldig.
Er übernimmt einen großen Teil der Kommunikation mit Behörden, der Anwältin und der Presse. Der Alltag des Paares ist geprägt von Unsicherheit und Behördengängen. Auch am Telefon gibt es zwischen den Beiden oft nur ein Thema: Neuigkeiten von der Ausländerbehörde. Wenn sich nichts mehr ändert, könnte der 42-jährige Kurde im Frühjahr in die Türkei abgeschoben werden.
C. lebt seit mittlerweile fünf Jahren in Deutschland, vier davon in Magdeburg. Warum er aus der Türkei weggegangen ist? »Weil ich schwul bin«, sagt C. energisch, als würde das alles erklären. Er kommt aus dem konservativ islamisch geprägten Anatolien. »Meine Familie weiß nicht, dass ich schwul bin. Wenn sie es herausfindet, könnte das gefährlich für mich sein. Ein Freund hat mir bereits mit dem Tod gedroht«, sagt er. Es gibt einen beglaubigten und übersetzten Chatverlauf, in dem das festgehalten ist: »Falls du aber hierhin [in die Türkei, Anm. d. Red.] kommen solltest, ficke ich dich, ich töte dich dann! Merk dir das!«, heißt es dort. Auch in Deutschland hat er Angst vor Homofeindlichkeit in seinem Umfeld, weshalb sein Name nur abgekürzt erscheint und er auch auf dem Foto nicht erkennbar sein möchte.
In Magdeburg hat er sich einen Freundeskreis aufgebaut, er spricht gut Deutsch und hat einen unbefristeten Arbeitsvertrag bei einem Obst- und Gemüseladen. In der Türkei hat er als Koch und Masseur gearbeitet. Als er nach Deutschland kam, begann er eine Ausbildung zum Verkäufer. Er scheiterte aber an den Prüfungen in einer fremden Sprache. Arbeit fand er trotzdem. Immer wieder hat ihn aber sein fehlender Aufenthaltstitel zurückgeworfen. Als ihm die Ausländerbehörde die Duldung entzog, verlor er seine Arbeit. Aktuell hat er wieder einen Job und eine Duldung, doch geht es nach der Ausländerbehörde, könnte er beides erneut verlieren.
Das Ehepaar Schreiber-C. kann das nicht verstehen. Die beiden sind seit etwa vier Jahren ein Paar, im November 2020 haben sie geheiratet. Ihr Leben ist nach den Erfordernissen der deutschen Behörden eingerichtet. Sie haben zwei Wohnsitze, weil Schreiber-C. in Thale in seinem Elternhaus zusammen mit seiner Mutter wohnt – C. dort aber nicht hinziehen darf, weil er seinen Wohnsitz in Magdeburg haben muss. »Wir sind zusammen glücklich. Ich will einfach nur mit meinem Mann hier in unserer Wohnung leben und vielleicht ab und zu mal in Urlaub fahren«, sagt C. Aber durch die Ausländerbehörde gebe es keine Entspannung. »Immer Angst, Angst, Angst«, sagt er.
Aus Sicht des Ehepaars könnte alles ganz einfach sein: Sie haben für C. eine Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung beantragt. Die Ausländerbehörde Magdeburg hat das abgelehnt. Aus ihrer Sicht besteht ein »Ausweisungsinteresse«, weil C. seiner Pflicht, die Ausweispapiere zu beschaffen, nicht nachgekommen sei. Das Ehepaar widerspricht dem. C. habe selbst ein Interesse daran gehabt, die Papiere für die Eheschließung zu beschaffen, das Konsulat habe auf Telefonate und E-Mails nicht reagiert. Die Ausländerbehörde will das nicht zählen lassen und verweist auf ein Onlineformular. Aktuell liegt der Behörde C.s Pass vor – zu spät.
»Nach geltendem Recht hätte die Ausländerbehörde durchaus einen Ermessensspielraum, C. eine Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung auszustellen«, ist die Anwältin der Eheleute überzeugt. Doch weil C. 2017 ohne Visum nach Deutschland eingereist war und hier Asyl beantragt hat, besteht die Ausländerbehörde darauf, dass er in die Türkei ausreist, um dort das Visumverfahren nachzuholen und legal wieder einzureisen. Aber: »Von der Nachholung des Visumverfahrens kann abgesehen werden, wenn es aufgrund der Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Die Entscheidung, ob die Nachholung zumutbar ist, trifft die zuständige Ausländerbehörde«, heißt es aus dem Auswärtigen Amt gegenüber »nd«.
Das Ehepaar Schreiber-C. hat Angst, dass C. bei einer Einreise in die Türkei verhaftet werden könnte oder dass sein Freund seine Drohungen wahr macht. Georg Matzel hält diese Befürchtungen für berechtigt. Er arbeitet ehrenamtlich für den Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) und begleitet C. seit fünf Jahren. »In der Türkei herrscht seit vielen Jahren eine homofeindliche Politik. Regelmäßig werden dort homosexuelle und trans Personen ermordet. Würde C. in die Türkei reisen, um ein Visum zur Eheschließung zu beantragen, müsste er sich gegenüber den türkischen Behörden outen. Das würde sein Leben in Gefahr bringen.«
Auf die Frage, warum die Magdeburger Ausländerbehörde es dennoch für zumutbar hält, dass C. in die Türkei reist beziehungsweise im Zweifelsfall abgeschoben wird, will sich Pressesprecher Michael Reif nicht umfänglich äußern. Er verweist auf ein 13 Seiten langes Urteil des Oberverwaltungsgerichts, in dem die Sicht der Ausländerbehörde zusammengefasst ist. Für das Oberverwaltungsgericht ist die Frage nach Gefahren in seiner Heimat »als Homosexueller und Kurde« ohne Belang. Diese Prüfung obliege dem Bundesamt für Flüchtlinge und Migration. Im Zuge des Asylverfahrens habe die Behörde geprüft, ob für C. in der Türkei eine Gefahr bestehe und sei zu dem Schluss gekommen, dass das nicht der Fall sei. Deswegen habe die Verpflichtung Bestand, das Visumverfahren nachzuholen.
»Die Ausländerbehörde wirft C. immer wieder zurück auf das Asylverfahren. Ich finde es höchst fragwürdig, warum man hier nicht ein Auge zudrücken will – obwohl man es laut Gesetz kann«, sagt die Anwältin aus Berlin, die das Ehepaar seit 2020 vertritt. C. sei als homosexueller Kurde in der Türkei Verfolgung ausgesetzt gewesen und bei einer Rückkehr bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er bereits bei Einreise verhaftet werde. »In anderen Städten würde das anders gehandhabt werden«, ist sie überzeugt.
In seiner Freizeit treibt C. gern Sport, er geht ins Fitnessstudio und joggen. Er mag Reisen. Und er spricht gern mit Menschen. »Ich liebe Deutschland und die Menschen hier, die helfen sehr. Aber die Behörden: Oh, mein Gott«, sagt er. Sein Ehemann wird noch konkreter: »Das Thema mit der Ausländerbehörde überschattet alles. Das bestimmt den Alltag, man hat an nichts mehr Freude – und man bekommt sich auch deswegen in die Haare«, erzählt er. Sein Mann habe auch schon Suizidgedanken gehabt. Er wirkt aufgebracht über das Handeln der Behörden. »Ich habe mir das nicht vorstellen können, bevor ich meinen Mann bei seinen Behördengängen begleitet habe. Man will den Menschen nicht helfen, sondern man bekämpft sie«, klagt er.
Auch Helen Deffner vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt kann über die Entscheidung der Magdeburger Ausländerbehörde nur den Kopf schütteln: »Bei Herrn C. besteht offensichtlich Anspruch auf ein Bleiberecht. Trotzdem beharrt die Ausländerbehörde auf dem ›korrekten‹ Verfahren – das ihn in Lebensgefahr bringen könnte. Das zeigt den Behördenwahnsinn in diesem Land«, sagt sie. In Magdeburg gebe es zahlreiche Fälle von Menschen, die eine Bleiberechtsperspektive haben, die stattdessen aber in Länder abgeschoben werden, wo sie teilweise nie waren, oder die durch wahnsinnig lange Verfahren in die Illegalität gedrängt würden. »Der Fokus wird falsch gesetzt. Es geht nicht darum, was sinnvoll ist, sondern was die Bürokratie vorschreibt«, sagt sie.
»Die Sensibilität für die Belange queerer Geflüchteter fehlt bei den deutschen Behörden«, kritisiert Matzel vom LSVD. Ein großer Teil der Asylanträge dieser Personen würde abgelehnt und erst nach langwierigen Klageverfahren gewährt. Doch das sei teuer und Anwälte seien nicht leicht zu finden. Geld ist auch bei Schreiber und C. ein großes Thema. »Die Gerichtsverfahren stellen mich finanziell vor große Probleme«, sagt Schreiber-C. Er arbeitet im Tourismusbereich im öffentlichen Dienst. Sein Verdienst liege um die 1000 Euro netto, seit Beginn der Pandemie war er größtenteils in Kurzarbeit. Dazu kommt der doppelte Wohnsitz. Jedes Mal, wenn sich die Eheleute besuchen, kostet das Geld. Thale und Magdeburg sind etwa 70 Kilometer voneinander entfernt.
Eine Sachbearbeiterin habe ihnen irgendwann angeboten, das Visum in einem Drittland wie Thailand zu beantragen. Einen »Kuhhandel« nennt das Ehepaar das. Auf die Frage, ob das keine Option sei, lacht C. bitter auf. »Man hat mir erzählt, dass man Leute so loswerden will. Sie reisen aus, dann klappt es mit dem Visum nicht und sie können nicht mehr einreisen«, meint er. Seine Anwältin sieht das ähnlich. »Um dem zuzustimmen, brauchen wir eine schriftliche Bestätigung einer deutschen Botschaft in einem Drittland, dass sie bereit sind, das Visumverfahren durchzuführen«, sagt sie. Schreiber-C. befürchtet, dass C., selbst wenn er nicht inhaftiert würde, Monate bis Jahre auf das Visum warten müsste: »Dann verliert er hier seinen Job, und alles fängt von vorne an. Die Ausländerbehörde argumentiert dann wieder, dass sein Lebensunterhalt nicht gesichert sei.« Zu der Frage, ob dieses Angebot von einer Mitarbeiterin der Ausländerbehörde gemacht wurde, will sich die Pressestelle der Stadt Magdeburg nicht äußern.
In die Illegalität getrieben. Stadt Chemnitz entzieht vietnamesischer Familie Aufenthaltsrecht
Aktuell legt das Paar Klage gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts ein. Ein weiteres Verfahren, das Kosten verursacht und an den Nerven zehrt. Was passiert, wenn die Ablehnung des Asylfolgeantrags rechtskräftig wird und keine Duldung mehr besteht? Dass wissen die Beiden auch nicht. »Dann ist es vorbei«, sagt Schreiber-C. und klingt resigniert.
Herr Schreiber-C. hat eine Petition für seinen Mann gestartet.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!