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Reise in den Himmel mit Diamanten

Plattenbau. Die CD der Woche: »W« von Boris

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.

Verlangsamter, tiefer gestimmter Metal bezaubert Hörerin und Hörer durch die Macht der Redundanz. Sunn O))) haben das Prinzip mit nur zwei Gitarren (und auf den letzten Alben auch ein bisschen drum herum) auf die Spitze getrieben. Da freut man sich - an die Wand gedrückt, wie man beim Hören idealerweise sein sollte - über jeden Wechsel und über jede Variation.

Die japanische Noise-Rock-Band Boris wäre eigentlich ein Kandidat für schweres, statisches Lärmen: die Gitarren meist ganz unten, der Rhythmus schwer, der Bandname einem Songtitel der Melvins entnommen. Eine Band, die gerne mit der lärmenden Dampfwalze über ihr Publikum fährt. Was Boris von den Zeitlupen-Noise-Kolleginnen und -Kollegen unterscheidet, ist die Lust am Feedback, die hier nicht primär Schmerzmusik fabriziert, sondern aus dem übersteuerten Mahlstrom immer wieder Psychedelisches aufsteigen lässt.

Aus dieser Verbindung von maximalem Noise und verpilzter Niedlichkeit sind seit der Bandgründung 1996 über 40 Alben entstanden, die einen Variantenreichtum erzeugen, der im Genre Noise-Rock eigentlich nicht vorgesehen ist. Abstraktem, gleichwohl physisch eindrucksvollem Krach auf den Kollaborationen mit dem japanischen Noise-Extremisten Merzbow (»Sun Baked Snow Cave«, »Genhso«, zuletzt 2020 das Doppelalbum »2R0I2P0« und noch ein halbes Dutzend mehr) folgte versponnene Lo-Fi-Psychedelica (»Love & Evol«), an die dann wiederum ein Punk-Metal-Gebilde anschloss (»No«).

Das neue Album »W« (»No« plus »W« ergibt »Now«) ist nun ein von unkontrollierbar wirkenden Rückkopplungen infiltriertes Ambient-Album geworden. Es beginnt mit zwei der zärtlichsten Boris-Stücke bislang, »I Want to Go to the Side Where You Can Touch …« und »Icelina«, auf denen die Gitarristin Wata vor sich hin singt, als gäbe es außer ihr niemanden mehr auf der Welt. Was eventuell besonders gut funktioniert, wenn man des Japanischen nicht mächtig ist und kein Wort versteht. Eine unbekannte Sprache, die einen in eine künstliche Leere hineinzieht, um Roland Barthes zu bemühen. Man ist, eingeschlossen in dieser Musik, sicher vor »weltmännischem Gehabe, vor Nationalität und Normalität«. Die Musik von Boris ist so gebaut, dass sie alles, was nicht Teil von ihr ist, freundlich, aber bestimmt aus dem Wahrnehmungsraum der Hörer*in herausdrückt.

Wenn Boris einem dann im fünften Stück des Albums, »The Fallen«, also zu einem Zeitpunkt, zu dem man mit diesen Klängen schon entspannt weggeschlummert ist, mit Gitarre und Bass auf die Glocke hauen, kriegt man einen kleinen Schreck, ist wieder wach, und dann wird es umso schöner. Im großherzigen Ambient-Konzept von Boris haben auch Rockriffs und eine kaputtgegangene Stadionhymne (»Beyond Good and Evil«) Platz. Das vorletzte Stück »You Will Know« touchiert die Zehnminutengrenze und macht noch einmal deutlich, was einem bis dahin eventuell nicht aufgefallen ist: Boris spielen hier Ambient-Electronica im Rockformat.

Das letzte Stück, »Jozan«, deutet wohl an, wie diese Reise in den Himmel mit Diamanten weitergeht. Die nächste Boris-Platte wird vielleicht ein dann vollends verstrahltes Blues-Album.

Boris: »W« (Sacred Bones/Cargo)

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