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Neue Krise, altes Haus?

Warten auf den Phoenix aus der Asche: Über den Status quo an der Berliner Volksbühne

»Noch nicht.« So lautet die Antwort von Volksbühnenintendant René Pollesch in der Zeitschrift »Texte zur Kunst« auf die Frage, ob es so etwas wie einen Einheitslohn an dem von ihm geleiteten Theater gebe. »Noch nicht« – die Worte sollen die Enttäuschung, die sie hervorrufen, gleich wieder mit Hoffnung kompensieren. Was nicht ist, das kann noch werden. Oder nicht? Neben dem, was sich derzeit aus dem Spielplan der Volksbühne ablesen lässt, gibt es eine Menge »noch nicht«. Vielleicht, so steht zu befürchten, ist es doch nur ein diplomatisches Synonym für: besser nicht.

25 Jahre lang, von 1992 bis 2017, hat Frank Castorf die Berliner Volksbühne als Intendant geleitet und mit seiner Regiehandschrift geprägt. Eine Zeit, die schon früh verklärt wurde. Auch – oder vielleicht gerade – hier war das künstlerische Scheitern aber immer eine Möglichkeit. Der freie Geist, der beim Reden über die Castorf-Ära oft beschworen wird, darf nicht verwechselt werden mit einer Freiheit von inneren und äußeren Zwängen, die ohnehin Illusion ist. Schon gar nicht war die Volksbühne Pressestelle einer außerparlamentarischen Linken und die Inszenierungen nur Medium politischer Botschaften.

Aber es ist doch unbestritten, dass sich hier unter den Regisseuren Castorf, Christoph Marthaler, Vegard Vinge und auch René Pollesch Kunst ereignet hat, die nicht nur willkommene Zerstreuung zum Feierabend war. Und auch politisch hat man hier, von der Beherbergung des PDS-Hungerstreiks 1994 bis zur Ausrichtung der umstrittenen Ukraine-Konferenz 20 Jahre später, klare Haltung bewiesen.

Was dann kam, ist in die Skandalgeschichte der Hauptstadt eingegangen: Castorf musste, landespolitisch erzwungen, seinen Stuhl frei machen. Sein Nachfolger wurde Chris Dercon, das freundliche Gesicht zur harten Gentrifizierungsrealität. Kein Jahr dauerte, da musste er des Gegenwinds wegen seine Koffer packen. Die Besetzung durch das Kollektiv »Staub zu Glitzer« machte das Theater endgültig auch zu einem symbolisch aufgeladenen Ort, weit über den Kunstbetrieb hinaus. Klaus Dörr war aufgerufen, als konsolidierende Kraft die Geschicke der Übergangszeit zu leiten. Auch er ging früher als erwartet. Mehrere Frauen, die am Haus beschäftigt waren, hatten sich seinetwegen an die Themis-Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt gewandt.

Seit September 2021 heißt der Intendant der Volksbühne René Pollesch. Erst wurde leise gemurrt, mittlerweile wird die Kritik lauter. Das ist nicht ungewöhnlich. Den einen ist der Spielplan zu spärlich gefüllt, die anderen finden gleich drei Premieren von Inszenierungen, die der Intendant selbst besorgt hat, zu viel des Guten. Wieder andere stören sich an der Müdigkeit, die die theatralen Darbietungen auszeichne. Urteile über künstlerische Werke fallen naturgemäß sehr unterschiedlich aus. Aber wie an diesem Haus gearbeitet wird, dazu müssen klare Einschätzungen getroffen werden und die Volksbühne muss sich an dem messen lassen, was von der neuen Leitung nach außen kommuniziert wird. Es soll nicht ewig beim »noch nicht« bleiben.

Frei nach Jean-Luc Godard darf, nein, muss die Forderung Richtung Rosa-Luxemburg-Platz lauten: »Man muss kein sozialistisches Theater machen, sondern Theater sozialistisch machen.« Was soll das bedeuten? Das richtige Leben im falschen zu probieren? Niemand verlangt das Unmögliche: Es ist nicht die Kunst, die die gesellschaftlichen Verhältnisse außer Kraft setzen wird. Rote Fahnen auf dem Dach und Bekenntnisse auf der Bühne sind eine eindrucksvolle Sache. Wem aber die Produktionsmittel in die Hand gelegt werden, der hat auch die Möglichkeit, Dinge von Grund auf anders zu machen. Die Einführung eines Einheitslohns an der Volksbühne wäre ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einem progressiven Theater.

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