Hauptsache, Bambuszahnbürste

Die Klimakatastrophe wird nicht von einkommensschwachen Verbrauchern verursacht

»Weil es nicht für alle reicht, springen die Armen ein.« Dieser schöne Satz von Ernst Bloch erfährt dieser Tage eine Aktualisierung: »Weil nicht alle ökologisch leben können, springen die Armen ein.« Alles sollen sie stemmen, denn an allem sind sie schuld: Sie konsumieren falsch und ungesund, sie essen zu viel Fleisch, sie verbrauchen zu viel CO2 und zu viel Benzin, sie heizen im Winter und essen im Sommer. Waren es vor wenigen Wochen die Lebensmittelpreise, die zu niedrig waren, sind es jetzt die Energiepreise, die unbedingt steigen müssen, gleichsam naturgesetzhaft. Sofort geben Journalist*innen wohlmeinend-paternalistische Tipps: Auch mal einen Pullover tragen! Muss denn immer in allen Zimmern geheizt werden? Achtet auf Stand-by-Geräte!

Die Menschen, die die ökologische Krise als erste und am härtesten trifft, sollen sie zugleich lösen, durch Verzicht in der Armut, Askese noch in der Entbehrung. Niemand fragt nach den Monopolen auf dem Energiemarkt, wenn man sich darauf einigt, dass es Hartzer sind, die im Winter die Straße heizen. Niemand fragt nach den obszönen Glaspalästen der sogenannten Versorger, die wie Pilze aus dem Boden schießen, wenn man, warum auch nicht, die geringe E-Mobilität unter Geringverdienern skandalisieren kann.
Dass die Oberschicht selbstverständlich jeden Tag Auto fährt und dreimal im Jahr in den Urlaub, das hat sie sich durch harte Arbeit verdient, nicht zuletzt auch durch die harte Arbeit an der ideologischen Durchsetzung eines ökologischen Kapitalismus: Wer tagsüber für das »Öko-Magazin« schreibt oder in den Parlamenten grüne Politik vorantreibt, dessen ideelles Klimakonto ist ja schon reichlich gefüllt, der hat bereits mehr als genug zur Rettung des Planeten getan, darf sich auch wieder etwas gönnen.

Leo Fischer

Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der aufgeregten Öffentlichkeit nützliche Vorschläge und entsorgt den liegengelassenen Politikmüll. Alle Texte auf dasnd.de/vernunft.

Es ist nur gerecht, dass die Mieten um 70 Prozent steigen, davon müssen schließlich energetische Sanierungen bezahlt werden. Es ist nur fair, dass die Unterschicht ins trostlose Umland verdrängt wird, auch wenn sie dann eine klimaintensive Pendlerexistenz führen muss. Naserümpfend kann man an den Wohnmaschinen vorbeiziehen, die einmal einen allgemeinen Mindestlebensstandard setzten; als Energiefresser abgerissen, können sie durch Luxuswohnblocks ersetzt werden, die besonders ökologisch sind, weil sie als reines Investment meist eh leer stehen.

Die Klimakatastrophe, seit Jahrzehnten mit Absicht und in voller Kenntnis der Folgen von Auto- und Energiekonzernen herbeigeführt, wird jetzt als Konsumproblem verkauft, als eine Folge der Gier von einkommensschwachen Verbraucher*innen. Ähnlich wie im Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, in welchem die Monopolherren ihre Grausamkeit als disziplinierende, ja karitative Arbeit am per se unmoralischen, tierhaften Industriearbeiter darstellten, dient die ökologische Stigmatisierung der Unterschicht als Entlastung der Industrie wie auch des bürgerlichen Gewissens: Wer Hartz-IVler sanktioniert, schützt letztlich das Klima!

Dass am unteren Ende der Einkommenspyramide exakt diese Monopole Verhältnisse geschaffen haben, in denen gar nicht daran gedacht werden kann, ökologisch zu konsumieren, weil die dortige Arbeits- und Konsumwelt ohne den gleichzeitigen Raubbau an Mensch und Umwelt gar nicht funktionieren könnte, taucht praktischerweise in den Ratgebern zum besseren Leben nicht auf. Wer sich in den herrschenden Verhältnissen ein ökologisches Leben leisten kann, ist im Zweifel schon Teil von Strukturen, die eine echte ökologische Wende unmöglich machen. Noch so viele Bambuszahnbürsten können das Weiterlaufen der fossilen Maschinerie nicht ausgleichen, ja auch nur bremsen.

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