Staudämme bedrohen Großkatzen

Wasserkraftprojekte vertreiben Tiger und Jaguare aus ihren Lebensräumen

  • Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 3 Min.

Wasserkraft gilt als saubere, klimafreundliche Energiequelle. Großkatzen wie Tiger und Jaguare, deren Lebensräume dafür überflutet wurden, würden dies sicher anders sehen. So zeigen neue Forschungsergebnisse, dass bestehende Stauseen den Verlust von mehr als einem Fünftel der weltweiten Tigerpopulation verursacht und den Lebensraum von Hunderten von Jaguaren vernichtet haben.

Derzeit sind mindestens 3700 Wasserkraftwerke geplant oder im Bau, viele davon in tropischen Waldregionen. Die negativen Auswirkungen von Staudämmen auf die Süßwasserbiodiversität sind bereits in zahlreichen Studien belegt. Die Folgen für terrestrische Tierarten wurden bisher von der Forschung vernachlässigt. Ana Filipa Palmeirim und Luke Gibson von der Southern University of Science and Technology (SUSTech) in Shenzhen (China), versuchen nun diese Forschungslücke zu schließen.

Im Fachjournal »Communications Biology« berichten sie über erste Ergebnisse. Danach wurden bis heute 421 Staudämme in Tigerregionen gebaut. Die Speicherseen setzten damit 13 750 Quadratkilometer Lebensraum der asiatischen Großkatze unter Wasser. Die beiden Forscher kalkulieren, dass allein dies zu einem Verlust von 729 Tigern führte, 20 bis 23 Prozent der weltweiten Population. Nicht ganz so heftig hat es den Jaguar bisher getroffen. 164 Großwasserkraftwerke überfluteten insgesamt 25 397 Quadratkilometer Wald- und Savannengebiete, in denen zuvor Lateinamerikas gefleckte Großkatze zu Hause war. Damit verloren den Berechnungen der beiden Forscher zufolge 915 Jaguare ihren Lebensraum, 0,53 Prozent der heutigen Gesamtpopulation von geschätzten 173 000 Tieren.

Trotz ihres Rufs als umweltfreundliche Energiequelle sei Wasserkraft eine der weltweit größten Ursachen für die Zerstörung von Lebensräumen, konstatieren die Autoren. Die überfluteten Flächen böten nur eingeschränkt Lebensraum für die Süßwasserfauna und seien für Landlebewesen gänzlich verloren. Der Einfluss der Wasserkraftwerke auf die Tierwelt sei aber noch größer, da zum Staudammbau noch der Bau notwendiger Infrastrukturen hinzukomme. »Erstens befinden sich Wasserkraftreservoirs zunehmend in abgelegenen Regionen, und ihr Bau erhöht den menschlichen Zugang zu diesen Naturgebieten erheblich, zum Beispiel durch den Bau von Straßen und Hochspannungsleitungen«, schreiben Palmeirim und Gibson. Das fragmentiere die Ökosysteme rund um die Stauseen und die Zugangsstraßen öffneten zudem vorher abgelegene Lebensräume für Jagd und Ressourcenausbeutung.

Nicht zuletzt stelle der Verlust der großen Raubkatzen auch eine Bedrohung für die betroffenen Waldökosysteme dar. Jaguare und Tiger kontrollierten die Population von Pflanzenfressern. Ohne die Raubtiere könnten diese überhand gewinnen und die natürliche Waldverjüngung behindern.

Palmeirim und Gibson befürchten schließlich, dass Lateinamerikas größte Raubkatze durch den neuen Boom von geplanten Großwasserkraftwerken in den kommenden Jahren erheblich stärker betroffen sein werde. Den Lebensräumen des Jaguars drohten insgesamt 429 neue Staudämme, die meisten davon in Brasilien.

In Gebieten der letzten überlebenden etwa 3200 bis 3500 Tiger wiederum seien 41 neue Wasserkraftprojekte geplant. Betroffen sei vor allem die Unterart der Sumatra-Tiger. Die in Asien geplanten Wasserkraftprojekte hätten nach Meinung der Forscher das Potenzial, die St. Petersburger Erklärung zum Schutz der Tiger zu unterminieren.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!