• Sport
  • Olympisches Tagebuch

Post aus Peking

Stolzer Start im Zeichen des Tigers

  • Fabian Kretschmer
  • Lesedauer: 2 Min.

Peking zeigt sich zum Start der Winterspiele von seiner denkbar schönsten Seite: Der Himmel strahlt in kräftigem Blau, der Verkehr ist aufgrund der Neujahrsferien auf ein Minimum beschränkt und die allmählich ankommenden Zugvögel künden vom nahenden Frühling. Was das mit Olympia zu tun hat? Natürlich gar nichts.

Es mag Sie vielleicht überraschen, doch die am Freitag eröffneten Winterspiele fühlen sich selbst in der chinesischen Hauptstadt nach wie vor surreal weit entfernt an. Zwar stehen an Fußgängerbrücken olympische Slogans und in den Parks kunstvolle Wintersportskulpturen. Entlang der Hauptverkehrsadern ist auch stets eine Spur für die Athletinnen und Athleten reserviert. Doch wirkliche Olympiastimmung kommt bisher keine auf.

Fabian Kretschmer
Fabian Kretschmer berichtet seit 2019 als freier Korrespondent aus Peking. Während Olympia wirft er für »nd« einen Blick aufs Geschehen abseits der Wettkampfstätten.

Auf Wechat und Weibo, den gängigen chinesischen Apps, dominieren ganz andere Themen: Man wünscht sich einen guten Start ins Jahr des Tigers, lästert über nervende Verwandte während der Familienbesuche und ärgert sich noch immer über die blamable Niederlage der Fußballnationalmannschaft in der WM-Qualifikation gegen Vietnam. Das weltweit größte Wintersportfest hingegen ist keine allzu große Herzensangelegenheit. Wie auch? Eine Wintersporttradition gedeiht schließlich nicht über Nacht.

Das bedeutet dennoch nicht, dass die meisten Pekinger nicht auch mächtig stolz auf das Großereignis sind. Dass man als erste Stadt der Welt sowohl Sommer- als auch Winterspiele ausrichtet, steht nicht zuletzt für das neugewonnene Selbstbewusstsein einer Nation, die in den vergangenen zwei Jahrhunderten viel zu lange vom Ausland von oben herab behandelt wurde.

Stolz sind die Chinesen auch auf ihren rasanten Aufstieg zurück an die Weltspitze. Der Westen beklagt die erodierende Menschenrechtslage und systematische Unterdrückung kritischer Stimmen zwar zurecht. Das aber ist nur eine Seite der Medaille. Ebenso wahr ist, dass Peking in den letzten 14 Jahren seit Ausrichtung der Sommerspiele auch eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht hat: Die Stadtregierung hat in jener Zeit so viele U-Bahn-Kilometer gebaut wie europäische Metropolen im gesamten 20. Jahrhundert nicht, die Mittelschicht ist um Millionen Hauptstädter angewachsen und die einst apokalyptisch verstaubte Luft ist fast nur noch schmutziges Relikt der Vergangenheit.

Wie sehr die angereisten Journalisten, Sportfunktionäre und Aktiven diese Errungenschaften goutieren werden, ist fraglich. Denn aufgrund der Pandemie finden die Spiele komplett hinter Zäunen und Trennwänden statt. Es wird wegen der potenziellen Infektionsgefahr keinerlei Austausch mit der Bevölkerung geben. Dabei wäre genau dies in Zeiten wie unseren so unglaublich wichtig.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.