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»Die Mutter aller Sanktionen«
In einem Wirtschaftskrieg gegen Russland hätte der Westen die schwereren Waffen
Im Ukraine-Konflikt mit Russland bereiten die Nato-Hauptmächte die Wirtschaft als erstes Schlachtfeld vor. »Wir haben ein robustes und umfassendes Paket von Finanz- und Wirtschaftssanktionen vorbereitet«, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen diese Woche dem »Handelsblatt«. Der Vorsitzende des außenpolitischen Komitees des US-Senats, Bob Menendez, drohte Moskau im Falle eines Einmarsches in die Ukraine mit »der Mutter aller Sanktionen« und US-Präsident Joe Biden mit »Maßnahmen, wie sie Putin noch nicht erlebt hat«. Bei seinen Planungen zur Schädigung der russischen Ökonomie setzt der Westen in den Sphären an, die er dominiert: Technologie und Finanzkapital.
Mit der Konfrontation betreten die USA und Europa allerdings unbekanntes Terrain. Denn sie haben noch nie drastische Sanktionen gegen eine Ökonomie erlassen, die so groß und wichtig ist wie die russische. Anders als beim Iran oder bei Nordkorea »sind die Möglichkeiten Russlands zur Vergeltung bedeutend«, warnte diese Woche Adam Smith, Ex-Berater von US-Präsident Barack Obama, im US-Sender NBC. Der Konflikt sei daher der Testfall für die Macht des Westens, Sanktionen gegen andere große Mächte einzusetzen. »China wird die Entwicklungen aufmerksam beobachten.«
Prinzipiell ist die Lage günstig für die USA und Europa. Denn ihre Ökonomien sind deutlich größer als die russische. Russland sei »eindeutig von der EU als Zulieferer und als Abnehmer abhängig, während Russland für die EU eine untergeordnete Rolle als Handelspartner spielt«, so das Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo in München. Russland importiere aus der EU hauptsächlich komplexe Finalgüter, aber exportiere fast ausschließlich Rohmaterialien. Hier läge ein naheliegender Ansatzpunkt für Sanktionen - ähnlich wie im Fall Iran, dessen Ölexport drastisch beschränkt wurde. Dies jedoch dürfte den sanktionierenden Mächten hohe Kosten bescheren. »Russland ist ein zu großer Teil des globalen Energiemarktes«, schreibt der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze auf seinem Blog. Umfassende Maßnahmen würden die Energiemärkte destabilisieren und auf den Westen zurückschlagen.
Daher werden andere Hebel angesetzt, mit denen Russland ohne größere Kosten geschädigt werden soll. Der erste ist der Zugang zu Technologie. Die US-Regierung hat bereits den Verkauf modernster Technologie an Russland beschränkt und könnte dies ausweiten. Unter anderem beträfe dies Computerchips, die in der Rüstungsindustrie benötigt werden, aber auch in Flugzeugen, Hochleistungsrechnern oder Mobiltelefonen.
Sowohl die USA wie auch die EU und China haben inzwischen die geostrategische Bedeutung von Computerchips erkannt und ins Zentrum ihrer Industriepolitik gestellt. Alle drei Mächte streben »Technologieführerschaft« an, nicht nur, um im globalen Wettbewerb die anderen abzuhängen. Gleichzeitig setzen sie damit die neuen Standards der Konkurrenz. Darüber wird die Beherrschung der Technologie zum Druckmittel, das anderen Ländern verweigert werden kann. Mit schwerwiegenden Folgen: »Speicherchips und Prozessoren sind eine Grundlagentechnologie«, erklärt die Stiftung Neue Verantwortung, eine Denkfabrik in Berlin. Jede Branche ist auf sie angewiesen. Wer Chips herstellt, macht andere von sich abhängig. »Daher sind Halbleiter im Zentrum der sich verstärkenden Rivalität zwischen den USA und China«, so die Stiftung.
Die US-Regierung lockt daher große Chipproduzenten mit Steuervorteilen und Subventionen in die USA, unter anderem durch den »Chips for America Act«. So will sie die Chip-Produktionskette unter ihre Kontrolle bringen, um dadurch autark zu werden. Die EU strebt ebenfalls nach strategischer Autonomie bei Computerchips. Zur Erreichung ihrer »technologische Souveränität« sollen die EU-Staaten bis zum Ende der Dekade weltweit ein Fünftel der modernsten Halbleiter produzieren. Damit wäre Europa an dieser Stelle unangreifbar - anders als Russland.
Die schärfste ökonomische Waffe des Westens ist allerdings seine Dominanz des Weltfinanzmarktes - also sowohl der Abwicklung des globalen Zahlungsverkehrs wie auch des Weltmarktes für Kredit und Finanzanlagen. Dieses Geschäft konzentriert sich in den Finanzzentren der USA, der Euro-Zone, Großbritanniens und Japans. Das ist auch logisch. Denn das globale Kapital findet hier die Grundlagen seines Geschäfts: Nicht nur Massen an anlagesuchenden Mitteln, sondern vor allem jene vier Währungen, die weltweit als verlässliches und universell einsetzbares Geld fungieren: Dollar, Euro, Pfund und Yen. In diesen Währungen wird der Großteil des globalen Reichtums gehalten. Die Verfügung über sie ist das mächtigste Druckmittel der Weltfinanzmächte.
Russischen Banken, Unternehmen, Privatpersonen oder gar der Regierung den Zugang zu den Finanzmärkten zu beschränken, würde bedeuten: Sie finden dort weder Kredit- oder Kapitalgeber noch sichere Geldanlagen wie US-Anleihen, britische Immobilien oder Aktien aus Europa und Nordamerika. Wer von den Zentren der Finanzwelt ausgeschlossen ist, dem drohen Finanzierungsschwierigkeiten bis zur Pleite. Den Zugriff auf Dollar und Euro zu verlieren, kann zudem den Import von Gütern aus dem Ausland behindern, wenn die Lieferanten Zahlung in harten Devisen verlangen - der Rubel wird nicht überall akzeptiert. Zudem sind bereits etliche russische Milliarden in den USA und Europa angelegt und können von den dortigen Regierungen gesperrt werden. Zwar hat Moskau seine Devisenreserven auf mittlerweile rund 600 Milliarden Dollar aufgestockt. Es bleibt aber die Frage, wie weit und lang sie reichen würden.
Vorerst ausgeschlossen bleiben die beiden »nuklearen Optionen«, die die USA und Europa gegen Moskau einsetzen könnten: Zum einen den Ausschluss Russlands aus dem System Swift, über den der internationale Zahlungsverkehr abgewickelt wird. Dies hätte »schwerwiegende Auswirkungen auf die russischen Erdgas- und Öllieferungen nach Europa und die Versorgung von Metallen wie Aluminium und Nickel«, warnt die DZ Bank. Daher wird auf diesen Schritt vorerst verzichtet, ebenso wie auf das Verbot, mit russischen Staatsanleihen zu handeln und damit die Regierung in Moskau vom internationalen Kapitalmarkt gänzlich abzuschneiden. Diese zweite »nukleare Option könnte für einige europäische Länder zu weit gehen«, so Pjotr Mtys von der niederländischen Rabobank. Zudem hatte die US-Zentralbank bereits 2018 gewarnt, durch eine solche Maßnahme könne das gesamte Weltfinanzsystem in Turbulenzen geraten.
Laut Medienberichten werden daher einzelne russische Stellen gezielt ins Visier genommen, insbesondere Personen und Banken im Umfeld von Präsident Putin. Ihnen soll der Zugang zum internationalen Finanzsystem gesperrt werden. Damit verlören sie unter anderem die Möglichkeit, Rubel in Dollar, Euro oder Pfund zu wechseln. Zudem könnte ihnen der Zugriff auf ihre Auslandsvermögen verwehrt werden. Hier spielt Großbritannien eine zentrale Rolle. Denn russische Oligarchen haben dort Immobilien, Finanzanlagen und Fußballclubs gekauft. London ist ihr zentraler Ort bei der Aufnahme von Kredit und Kapital. Das neue britische Sanktionsregime soll laut Außenministerin Liz Truss »maximale Unsicherheit unter den Unterstützern von Putin« säen.
Damit die Sanktionen wirken, merkt der britische »Economist« an, müsse der Westen allerdings Einigkeit zeigen und bereit sein, die Kosten zu tragen. »Die Geschichte zeigt, dass dies die größte Herausforderung sein könnte.« Denn die Kosten einer Eskalation verteilten sich sehr unterschiedlich. So haben einige große Euro-Banken enge Verbindungen zu Russland, zum Beispiel die französische Société Générale, die italienische UniCredit oder Österreichs Raiffeisen. Unter den US-Banken dagegen ist nur die Citigroup stärker in Russland engagiert.
Zudem ist Europa abhängig von russischem Gas, würde also unter Gegenmaßnahmen Russlands leiden, wohingegen »die USA als Nettoexporteur von Öl und Gas geschützt sind«, schreibt die niederländische Bank ABN Amro. Insgesamt, so die Bank, wären im Krisenfall die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Eurozone »bedeutsam«, vor allem auf die Industrien Deutschlands und Italiens. Die Konjunktur der USA dagegen hätte nur »einen kleineren Knick« zu befürchten.
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