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Ökosiegel reicht nicht
Kritik am Wachstum wird lauter, die ökologischen Folgen sind nicht zu übersehen. Doch die maßlose Steigerung der Produktivität gehört zum Kapitalismus dazu, wie Marx zeigte. Warum es statt eines Green New Deals radikalere Veränderungen braucht
Menschen, die unterschiedliche politische Meinungen vertreten, sind sich trotzdem häufig einig, dass ökonomisches Wachstum ein geeignetes Kriterium für Prosperität und Wohlstand ist. Während der Glaube an Wachstum Ende des 19. Jahrhunderts eine bürgerliche Position war, verbreitete er sich nach der Jahrhundertwende auch in sozialdemokratischen Kreisen. In der Geschichte der Arbeiter*innenbewegung, in ihren Parteien und in den Gewerkschaften ist kaum Kritik an dieser Wachstumsorientierung zu finden, das gilt für den Westen ebenso wie für den (ehemaligen) Osten.
1932 beauftragte der US-Kongress den Ökonomen Simon Kuznets, ein Instrument zur Messung des nationalen Wirtschaftsoutputs zu entwickeln. Das war die Geburtsstunde des Bruttoinlandsprodukts (BIP): Es gibt den Gesamtwert aller Waren, Güter und Dienstleistungen an, die während eines Jahres innerhalb der Volkswirtschaft eines Landes hergestellt wurden, nach Abzug aller Waren und Dienstleistungen, die in ihrem Produktionsprozess eingesetzt worden sind. Seither wird der Zustand moderner Nationalökonomien daran gemessen. Wenn mehr produziert wird, steigt das BIP und deshalb herrsche, so die Annahme, Wohlstand. Wenn das BIP steigt, könnten Löhne bezahlt, Arbeitsplätze gesichert und entsprechende Steuern gezahlt werden, mit denen die Staaten öffentliche Investitionen etwa in Gesundheit, Bildung, Forschung, Infrastrukturen oder Kultur tätigen könnten. Dieses Wachstumsmantra begegnet uns tagtäglich: in den Nachrichten, in den Zeitungen und in jeder Talkshow.
Kritik am kapitalistischen Wachstum
Seit den 70er Jahren werden jedoch Stimmen lauter, die das Wachstumsparadigma kritisieren. Bekannt ist die 1972 vom Club of Rome in Auftrag gegebene Studie »Die Grenzen des Wachstums«, in der die von einer auf Wachstum orientierten Ökonomie verursachte ökologische Zerstörung angeprangert wird. Die Kritiker*innen organisieren sich etwa in der Degrowth-Bewegung, die die Abwendung vom Wachstumsprinzip einfordert, um Lebens- und Produktionsbedingungen auf dem Planeten auch für künftige Generationen aufrechtzuerhalten. Primitivist*innen schwören auf eine Rückkehr zu vorindustriellen Lebens- und Produktionsverhältnissen, Konsumkritiker*innen wollen durch Konsumverhalten, Einkaufsgruppen oder Foodcoops Einfluss auf das große Ganze nehmen, andere fordern verschiedene nationalstaatliche wie internationale Regulationsmechanismen, wodurch das Kapital dazu gebracht werden soll, sich mit weniger zu begnügen. Eines der großen Verdienste der Degrowth-Bewegung ist, dass sie das Dogma, mit dem BIP ließe sich der Wohlstand messen oder durch dessen Steigerung gar verallgemeinern, infrage gestellt hat.
Erstens zeigt das BIP weniger den allgemeinen Wohlstand unserer Gesellschaften an als vielmehr die Steigerung der Profite für das Kapital. Dies und nichts weiter besagt ein wachsendes BIP, denn es misst nur die Steigerung der Produktion, sagt aber über die Verteilung der produzierten Güter nichts aus. Es können riesige Warenmassen hergestellt werden, und trotzdem können vielen Menschen die Mittel fehlen, um sie sich anzueignen. Zweitens taucht der Handel mit Rohstoffen in dieser Perspektive lediglich als Steigerung des BIP auf, die Erschöpfung und Auslaugung von natürlichen Ressourcen finden dabei keine Berücksichtigung, etwa im Fall von Waldrodungen oder zur Freilegung von Flächen für Bergbau und Landwirtschaft. Drittens werden auch die ökologischen und sozialen Kosten der gegenwärtigen Massenproduktion nicht erfasst: Wenn Plastikschrott verkauft wird, wenn funktionierende Gegenstände aussortiert und durch neue ersetzt werden oder wenn infolge von Naturkatastrophen Häuser oder Straßen neu gebaut werden, wächst das BIP - denn auch Umweltzerstörung verursacht Wachstum. Gleichzeitig werden Trinkwasser, Luft und Böden durch industrielle Produktion verunreinigt, Berge von Elektroschrott häufen sich im Globalen Süden an und Menschen arbeiten unter gesundheitsschädlichen Bedingungen.
Es ist in unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem also ein Problem, wenn es kein Wachstum gibt, denn ökonomische Krisen haben verheerende Folgen für die Gesellschaft. Aber es ist zugleich ein Problem, wenn es Wachstum gibt. Um diesen Widerspruch zu verstehen, ist es notwendig, sich mit der Funktionsweise unserer Wirtschaft auseinanderzusetzen. Im »Kapital« untersucht Marx die Dynamik von Wachstum in kapitalistischen Wirtschaftssystemen und liefert eine analytische Bestimmung dieser Kategorie. Erstens: Marx zeigt, dass und warum Wachstum für die Profitmaximierung unerlässlich ist und dass Profitmaximierung Ziel jedes kapitalistischen Wirtschaftens ist, so dass es einen Kapitalismus ohne Wachstum nicht geben kann. Zweitens: Die Dynamik der Kapitalakkumulation, die auf Wachstum angewiesen ist, bringt unvermeidlich zerstörerische Folgen für Menschen und Natur mit sich.
Profit als Produktionszweck
Marx geht im »Kapital« der Frage nach, welche Merkmale die kapitalistische Produktionsweise kennzeichnen. Es gilt für alle Gesellschaften, dass die Menschen arbeiten müssen, um Güter und Dienstleistungen zu produzieren, die ihr Überleben sichern. Aber worin unterscheidet sich die kapitalistische Produktionsweise von den Wirtschaftssystemen in anderen historischen Epochen? Kurz gesagt: Die Reproduktion der Gesellschaftsmitglieder erfolgt in kapitalistischen Gesellschaften maßgeblich über den Kauf und Verkauf von Waren. Waren werden für den Markt hergestellt, auf dem die Menschen gegen Geld das kaufen, was sie brauchen. Auf diese Art sichern die Käufer*innen ihr Überleben: Sie kaufen jene Waren, die ihre Bedürfnisse befriedigen. Die Bedürfnisbefriedigung ist aber nicht der Zweck der Produktion. Vielmehr sind die Waren produziert worden, um durch ihren Verkauf eine größere Summe Geld zu erwirtschaften als jene Summe, die vorgeschossen wurde, um die zu ihrer Produktion nötigen Investitionen zu tätigen. Das ist das Ziel der kapitalistischen Produktion.
Der Prozess, wodurch dieses Ziel erreicht wird, definiert dann, was Kapital ist: Geld, das vorgeschossen wird, um Arbeitskräfte und Produktionsmittel - die zwei Bestandteile eines jeden Produktionsprozesses - zu kaufen. Am Ende des Produktionsprozesses steht eine Warenmasse, deren Verkauf eine Geldsumme einbringt, die höher ist als die vorgeschossene Geldsumme. Waren und Geld, die diese Bewegung durchlaufen, damit als Resultat mehr Geld da ist als am Anfang, sind nur verschiedene Formen von Kapital. Die Differenz zwischen End- und Anfangssumme ist der Mehrwert.
Mehrwert zu schaffen ist der Zweck kapitalistischen Wirtschaftens, deshalb wird investiert, produziert und deshalb werden den Menschen Güter zur Verfügung gestellt, die ihre Bedürfnisse befriedigen. Die Bedürfnisbefriedigung ist in diesem System ein Nebeneffekt, auch wenn eine der notwendigen Voraussetzungen für den Tausch die Brauchbarkeit der produzierten Waren ist: Wer ist schon bereit, für Dinge, die (für sie oder ihn) keinen Nutzen haben, Geld auszugeben? Auf diese Weise gewährleistet die kapitalistische Produktionsweise die Reproduktion der Gesellschaft. Die gesellschaftliche Reproduktion ist im Kapitalismus aber bloß ein Mittel zum Zweck der Mehrwertproduktion.
Marx macht anhand des bisher Ausgeführten ein Spezifikum des kapitalistischen Wirtschaftens sichtbar: die Maßlosigkeit dieses Prozesses. »Der Gebrauchswert ist also nie als unmittelbarer Zweck des Kapitalisten zu behandeln. Auch nicht der einzelne Gewinn, sondern nur die rastlose Bewegung des Gewinnens«, schreibt er im ersten Band des »Kapital«. Denn es gibt keinen der Logik des Kapitals innewohnenden Grund, diese quantitative Zunahme irgendwann als ausreichend zu betrachten. Jede Geldsumme ist beschränkt und nur durch die Wiederholung der Bewegung von Investition, Produktion und Verkauf, der Kapitalbewegung, kann aus Geld mehr Geld gemacht werden - »die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos.«
Akkumulation und Krise
Die Kapitalbewegung, die Marx beschreibt, ist kein vereinzelter Akt, an dessen Ende das Kapital ruht. Vielmehr beginnt der Kreislauf immer wieder von vorn: Das erwirtschaftete Kapital wird erneut investiert, um einen neuen Produktionszyklus einzuleiten und daraus erneut ein Surplus (Mehrwert) zu generieren. Voraussetzung ist natürlich, dass alles gut läuft und keine Probleme oder Stockungen an irgendeiner Stelle auftreten, die den Prozess der Geldvermehrung behindern.
Die Wiederholung dieses Kreislaufs, bei dem ein Teil des Mehrwerts in den neuen Produktionszyklus reinvestiert wird, stellt die Akkumulation des Kapitals dar. Mit jedem Zyklus wächst das Kapital, das vorgeschossen wird. Das kann Zweierlei bedeuten: Entweder nimmt dadurch der Produktionsumfang absolut zu, und mehr Rohstoffe, Energie, Maschinen und Arbeitskräfte werden im gleichen Verhältnis zueinander eingesetzt, um eine größere Warenmasse herzustellen, deren Verkauf eine höhere Summe einbringen wird. Oder das Verhältnis zwischen den genannten Bestandteilen des produktiven Kapitals verändert sich zuungunsten der Arbeitskraft.
An dieser Stelle ist ein weiteres zentrales Merkmal von kapitalistischer Produktion zu berücksichtigen: Kapitalist*innen produzieren privat und stehen in Konkurrenz zueinander. Sie planen nicht im Vorfeld gemeinsam, was und wie viel sie produzieren, sondern produzieren jede*r für sich und spekulieren darauf, dass sie zahlungskräftige Käufer*innen auf dem Mark finden und sich gegen andere Anbieter*innen durchsetzen können, um ihre Waren zu verkaufen und nicht pleite zu gehen. Sie befinden sich im Kampf gegeneinander und versuchen, jeweils möglichst große Marktanteile zu erobern.
Konkurrenz der Privateigentümer
Im Konkurrenzkampf ist nicht so sehr die oben erwähnte Zunahme im Umfang der Produktion entscheidend. Vielmehr setzt sich eine andere Dynamik durch: Produzent*innen behaupten sich, indem sie billiger als die anderen produzieren, das heißt produktiver sind. Die Hauptmethode zur Steigerung der Produktivität ist der Einsatz effizienterer Technologien, wodurch mehr Produkte in der gleichen Zeit erzeugt werden können als vorher. Marx beschreibt die Tendenz, dass bei Produktivitätssteigerung deshalb der in Produktionsmittel investierte Kapitalteil in einem Produktionsbereich zunimmt, während die Investitionen in Arbeitskräfte im Verhältnis dazu sinken.
Angesichts dessen, dass die Konkurrenz der Lebensraum des Kapitals ist, steht es den Kapitalist*innen nicht frei, den Produktionsprozess produktiver zu gestalten oder nicht: Wenn die einzelnen Privatproduzent*innen sich in Konkurrenzkampf behaupten wollen, dürfen sie die technologischen Entwicklungen in ihrer Branche nicht versäumen, vielmehr sollten sie Vorreiter*innen sein. Voraussetzung dafür ist, dass sie Mehrwert schaffen, um neue Investitionen zu tätigen, die ihnen garantieren, auf der Höhe der technologischen Entwicklung zu bleiben. Möglichst viel Geld und Mehrwert zu erwirtschaften ist daher nicht eine Option unter anderen, sondern eine Notwendigkeit.
Mehrwert zu erwirtschaften setzt wiederum voraus, dass immer mehr Waren produziert werden, die gekauft werden. Ob sie sich aber tatsächlich verkaufen lassen, ist ungewiss: Während sich auf der einen Seite die Produktionskraft entwickelt, ist auf der anderen Seite die Konsumtionskraft der Gesellschaft begrenzt. Die Konsument*innen sind nämlich entweder Lohnarbeiter*innen, die über mehr oder weniger begrenzte Mittel verfügen, um Waren zu kaufen; oder sie sind Kapitalist*innen, die nur dann kaufen, das heißt in Produktionsmittel investieren, wenn Aussicht auf Profit bestehen. Dieser Widerspruch liegt der kapitalistischen Produktionsweise zugrunde und ist Ursache für ihre Krisenhaftigkeit.
Produktivität und Arbeitskraft
Die Konkurrenz prägt zwar das Handeln der einzelnen Kapitalist*innen, sie stellt aber nur die Erscheinungsform der Dynamiken dar, die dem System innewohnen. Hinter der äußeren Erscheinung sind die inneren Gesetze der kapitalistischen Dynamik Gegenstand der Marx’schen Analyse. Und für diese Dynamik ist unter anderem der Zusammenhang zwischen Produktivkraftsteigerung und dem Wert der Ware Arbeitskraft zentral: Marx führt zunächst aus, wie die Steigerung der Produktivkraft zu vermehrten Profiten führt, weil sie eine Methode zur Senkung des Werts der Arbeitskraft ist. Die Arbeitskraft ist im Kapitalismus eine Ware wie jede andere auch, das heißt, sie besitzt einen Gebrauchswert und einen Wert, zu dem sie auf dem Arbeitsmarkt gekauft wird. Für Kapitalist*innen ist die Arbeitskraft aber die wichtigste Ware, weil sie durch ihren Konsum Wert schafft: Wenn sie eingesetzt wird, also wenn gearbeitet wird, entsteht neuer Wert.
Der Wert der Ware Arbeitskraft sinkt dann, wenn die zur Reproduktion der Arbeitskraft nötigen Waren produktiver hergestellt und folglich günstiger werden. Produktivitätssteigerungen lassen sich, wie oben beschrieben, dadurch erzielen, dass Technologien eingesetzt werden, mit deren Hilfe billiger produziert werden kann. Dem kapitalistischen Produktionsprozess wohnt deshalb - wie gesagt - die Tendenz inne, dass bei den Investitionen der Kapitalteil für Maschinen zunimmt im Verhältnis zu jenem für die Arbeitskräfte. Die arbeitenden Individuen sind aber nach Marx Quelle von Wert und somit von Mehrwert. Wenn verhältnismäßig mehr in Maschinen und Rohstoffe als in Arbeitskräfte investiert wird, ergibt sich daraus, dass das Verhältnis zwischen produziertem Mehrwert und Investitionen schrumpft: Marx spricht diesbezüglich vom tendenziellen Fall der Profitrate.
Wie nun dieser Tendenz begegnen? Indem absolut mehr produziert wird. Der Mehrwert in absoluten Zahlen kann erhöht werden, indem der Umfang der Produktion ausgeweitet wird: absolut mehr Produktionsmittel, absolut mehr Arbeitskräfte. Das Kapital muss den Maßstab der Investitionen, des Warenausstoßes und des Konsums vergrößern, um der Tendenz einer Verringerung der Profite entgegenzuwirken. Das kann allerdings nicht jedes Einzelkapital, die kleineren haben weniger Chancen als die größeren.
Nachhaltigkeit muss profitabel sein
Die einzelnen Kapitalist*innen sind dabei die Vollstrecker*innen der Kapitalbewegung, Personifikationen des Kapitals. Sie stehen, wie oben dargestellt, unter dem Zwang, nach den Gesetzen des Kapitals zu handeln. Appelle an die ökologische Eigenverantwortung der Unternehmer*innen sind deshalb unzureichend, weil sie die systemischen Zwänge übersehen, denen die Kapitalist*innen unterliegen. Wenn einzelne Unternehmer*innen beschließen, nach ökologischen Standards zu produzieren, bedienen sie lediglich Nischen für ökologisch bewusste Zielgruppen, die in der Regel auch finanziell in der Lage sind, teurere Ökoprodukte zu kaufen.
Es ist seit einiger Zeit deutlich zu beobachten, dass Ökosiegel und fair gehandelte Produkte bei den Kaufentscheidungen der Konsument*innen stärker ins Gewicht fallen. Und selbstverständlich berücksichtigen Produzent*innen solche Tendenzen, wenn sie dadurch höhere Profite erwirtschaften können. Die Orientierung an kurzfristigen Preisbewegungen auf dem Markt ist aber keine erfolgversprechende Strategie im Kampf gegen die Klimakrise: Viele recycelbare oder emissionsfreie Produkte werden mit Rohstoffen hergestellt, die zum Beispiel zur Entstehung von Monokulturen oder gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen im Bergbau führen. Die Wirtschaft befriedigt unter kapitalistischen Bedingungen das Bedürfnis der Konsument*innen nach ökologischeren Produkten, indem ökologische Schäden einfach zeitlich und räumlich verlagert werden.
Auch staatliche Interventionen haben nur einen bedingten Effekt. Wenn beispielsweise durch nationale Gesetzgebung bestimmte Standards bezüglich der Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz, zum Einsatz von gesundheitsschädlichen Stoffen im Produktionsprozess oder zum Recycling von Abfällen festgelegt werden, können die Folgen geringere Erträge und höhere Kosten sein. Das macht ein Unternehmen weniger konkurrenzfähig, seine Waren werden teurer als die der Konkurrenz, die in Ländern ohne ähnliche Regulierungen produziert. Die Verlagerung des Produktionsstandorts ist oft die Folge. Alle Staaten sind aber auf eine florierende inländische Industrie angewiesen: Sie garantiert Beschäftigung und damit Steuerzufluss. Es ist daher nicht verwunderlich, dass staatliche Politik zögerlich ist, wenn es um die Durchsetzung umweltschonender Maßnahmen geht, die zusätzliche Kosten für die Unternehmen verursachen.
Der Zwang, mehr und günstiger zu produzieren - in der Hoffnung auf Rückfluss von Geld und Mehrwert, die im Konkurrenzkampf nötig sind, um kontinuierlich und verstärkt investieren zu können - hat jenseits des monetären Aspekts auch eine stoffliche Seite: Mehr Produktion verlangt wachsende Mengen an Rohstoffen und Energie und erzeugt zusätzliche Abfälle. Dasselbe gilt für die Herstellung der eingesetzten Produktionsmittel. Ressourcenerschöpfung und zunehmender Energieverbrauch, die Auslaugung von Böden sowie die Verschmutzung und Zerstörung von naturbelassenen Gebieten sind, ebenso wie Mehrwert und Profit, Resultate der Akkumulation.
In einigen Fällen sind Produktionsmethoden und Technologien heutzutage verhältnismäßig weniger umweltschädlich, als sie es noch vor einigen Jahrzehnten aufgrund des damaligen Stands von Wissenschaft und Technik waren. Die Zunahme ihrer Anwendung in absoluten Zahlen verursacht jedoch, dass der Rohstoff- und Energiebedarf ebenso wenig abnimmt wie die Abfallmenge. Ganz im Gegenteil: Seit Beginn der Industrialisierung ist ein kontinuierlicher Zuwachs der Energienachfrage zu beobachten. Die Steigerung des BIP ist dafür nur ein partieller Indikator, denn es berücksichtigt lediglich die Wertsteigerung und nicht die größere Stoffvernutzung, sowohl von Rohstoffen als auch von ausgestoßenen Schadstoffen, die sich dahinter verbirgt.
Alte Probleme, neue Antworten
Es ist also zu fragen, inwiefern der Einsatz neuer Technologien nur eine Antwort auf Probleme darstellt, die von älteren Technologien verursacht worden sind. Schon im 19. Jahrhundert betrachtete der späte Marx die Anwendung von künstlichem Dünger in der Agrikultur als ein Beispiel dafür: Pestizide und genetisch manipuliertes Saatgut versprechen Erträge bei ärmeren Böden. Diskussionen zur Frage der kapitalistischen Anwendung von Technologien wurden in marxistischen Kreisen in der Vergangenheit intensiv geführt. Daran anzuknüpfen ist meines Erachtens für eine kapitalismuskritische Klimabewegung von großer Bedeutung.
Auch auf der Seite der Konsumtion tauchen eine Reihe von Fragen auf. Der Konsum verändert sich historisch und hat im Kapitalismus eine spezifische Ausprägung und Funktion: In einem System, in dem die Produktion wachsen muss, muss auch ein bestimmtes Konsumverhalten gefördert und aufrechterhalten werden. Dazu zählen Phänomene wie Mode, Werbung oder geplante Obsoleszenz (geplante Haltbarkeit von Produkten). Angesichts dessen ist eine Reflexion unserer Bedürfnisse notwendig.
Eine Konsumkritik, die die Gesamtheit kapitalistischer Verhältnisse in den Blick nimmt, ist deshalb nicht vorrangig auf eine Veränderung des Konsumverhaltens ausgerichtet, etwa zugunsten von Einkäufen in Biomärkten, teuren und vermeintlich ökologisch produzierten Waren oder Elektroautos. Es geht ihr vielmehr darum, auch den Bereich der Konsumtion als Ausdruck der Klassenverhältnisse und der spezifischen Form von Herrschaft im Kapitalismus zu analysieren. Auch zu Konsumgesellschaft und Bedürfnissen haben an Marx orientierte Autor*innen wichtige theoretische Beiträge geliefert.
Green New Deal als Lösung?
Bestimmte Kapitalfraktionen scheinen gegenwärtig den Ernst der Lage begriffen und sich den Kampf gegen den Klimawandel auf die Fahnen geschrieben zu haben. Denn die selbstverschuldeten ökologischen Probleme verursachen mittlerweile enorme Kosten und die Vernichtung einer der Grundlagen der Mehrwertproduktion, der Natur, ist perspektivisch auch für die Kapitalakkumulation problematisch - mögen die gegenwärtigen Profite noch so hoch sein.
Was ist aber von einem grünen Kapitalismus oder einem Green New Deal zu halten? Die Logik des Wachstums infrage zu stellen ist von Kapitalseite kaum zu erwarten; das käme einer Selbstauflösung gleich. Deshalb wird die Frage des Klimawandels auf allerlei technische Fragen reduziert: Wie ein kontinuierlich steigender Energiebedarf durch erneuerbare statt fossile Energiequellen befriedigt werden kann, wie neue Technologien entwickelt und vermarktet werden können, die CO2-Emissionen absaugen, wie neue Warenmassen mit geringeren Emissionen hergestellt werden können oder wie am Prinzip der individuellen Mobilität durch den Ersatz von Verbrennungsmotoren durch elektrische festgehalten werden kann. Bei all diesen Entwicklungen und Veränderungen darf an Einem nicht gerüttelt werden: Unternehmen müssen weiterhin Profite machen und wachsen.
Einige Kapitalfraktionen werden ohne Frage enorme Kosten für eine ökologische Transformation tragen müssen und dadurch hohe Verluste riskieren, andere werden versuchen, Profit aus der Krise zu schlagen, sie zu »monetarisieren«. Wie bei anderen Transformations- und Krisenphasen gibt es also Gewinner*innen und Verlierer*innen. Grundsätzlich gilt: Das Kapital ist kurzsichtig. Unter dem Druck der Konkurrenz sind kurzfristige Profite entscheidend, sie bestimmen das Spiel, ganz unabhängig davon, welche mittel- und langfristigen ökologischen Zerstörungen damit verbunden sind. Wenn mit Blick auf den Klimaschutz oder aufgrund bereits zerstörter und damit fehlender Ressourcen anders produziert werden muss oder soll, ist das im gegenwärtigen System nur möglich, wenn damit Profite gemacht werden können. Wenn Klimaschutz aber heißt, bestimmte Entscheidungen zu treffen, die die Profite senken, zum Beispiel auf bestimmte Materialien zu verzichten oder die Produktion zu drosseln, ist klar, dass das nicht geschehen wird.
Der Punkt ist, dass die miteinander in Konkurrenz stehenden Einzelkapitale am Ende gar keine wirkliche Möglichkeit haben, sich für oder gegen wirklichen Klimaschutz zu entscheiden. Von ihnen kann keine grundlegende Alternative ausgehen, weil ihr Überleben und Gedeihen an der Befolgung der Logik des Kapitals hängt. Deshalb müssen die von der Kapitalseite vorgeschlagenen Lösungen genau analysiert werden: In der Regel laufen sie auf eine Modernisierung des Kapitalismus hinaus, die - der Logik des Kapitals folgend - nach wie vor auf Profitmaximierung und Wachstum fußt. Um die ökologischen Krisen aber in den Griff zu bekommen, müssen andere, radikalere Veränderungen umgehend in die Wege geleitet werden.
Der Text ist eine redaktionell gekürzte Fassung des Beitrags von Valeria Bruschi für den Sammelband »Das Klima des Kapitals. Gesellschaftliche Naturverhältnisse und Ökonomiekritik«, der dieser Tage im Dietz-Verlag Berlin erscheint.
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