Null Entertainerqualitäten

Corona dominiert die Medien, aber in der Unterhaltungsindustrie spielt es kaum eine Rolle. Warum nur?

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 6 Min.
Medien und Corona – Null Entertainerqualitäten

Wer Nachrichten, Magazinsendungen und Talkshows guckt, könnte meinen, dass es kein anderes Thema mehr gibt als Corona. Sobald die Informationsformate im Fernsehen zu Ende sind und Spielfilme oder Serien laufen, ist von dem alles bestimmenden, pandemischen Virus aber plötzlich nichts mehr zu hören und zu sehen. Im Kino und auf Streamingplattformen ist es genauso. Corona ist auch nach zwei Jahren Pandemie noch nicht wirklich in der Unterhaltungsindustrie angekommen.

Das ist insofern interessant, als es gerade eine durchaus signifikante Zunahme von Pandemie-Geschichten gibt, die seit der Schweinegrippe 2010 in Buch und Film sowieso boomen – von der virusbedingten Zombie-Invasion im soundsovielten »Walking Dead«-Spin-off über die jüngste HBO-Serie »Station Eleven«, die zweite Staffel der enttäuschenden ZFD-neo-Serie »Sloborn« bis hin zum prominent durch alle Feuilletons gejagten Großroman »Zum Paradies« von Hanya Yanagihara. Bei Amazon, Netflix und Co sind hingegen sämtliche jüngeren Pandemie-Klassiker wie »Outbreak«, »12 Monkeys« und »Contagion« zu finden. Eine gewisse Sehnsucht nach einer kulturindustriellen Verarbeitung des Themas Pandemie scheint es also zu geben.

Zwar wartete Netflix schon im Oktober 2020 mit der Serie »Social Distance« auf, die quasi im Zoom-Format von Lockdown und Pandemie-Erfahrungen erzählt, und bei Amazon kam bereits im Mai 2020 der Covid-Schocker »Songbird« ins Programm, der im üblichen hollywoodesken Eskalationsmodus von einer Corona-Pandemie erzählt, die 80 Prozent der Bevölkerung tötet und innerhalb kürzester Zeit die gesamte soziale Ordnung zerstört. Aber in den ständig fortlaufenden unterhaltungsindustriellen Formaten spielt Corona überhaupt keine Rolle. Gerade mal in einem Tatort (»Die dritte Haut«, November 2021) ist Corona Teil der sozialen und kulturellen Realität, die abzubilden sich das Flaggschiff der öffentlich-rechtlichen Unterhaltung ja stets auf die Fahnen schreibt. Die Schauspieler tragen Masken.

In allen anderen öffentlich-rechtlichen Krimis und Unterhaltungsfilmen, egal ob Vorabendprogramm oder Primetime, in den privaten Daily-Soaps, im Hollywood-Kino vom letzten James Bond bis »Ghostbusters Legacy«, in den Qualitätsserien von HBO, Showtime und Netflix kommt Corona im Großen und Ganzen einfach nicht vor.

Eine Ausnahme bildet die vor ein paar Monaten auf Apple TV angelaufene zweite Staffel der starbesetzten »Morning Show«-Serie (unter anderem mit Jennifer Aniston und Reese Witherspoon), die im New Yorker News-Business spielt und davon lebt, aktuelle Themen in den Handlungsplot einzuweben. Dort entschied man sich, bereits fertig gedrehtes Material zu entsorgen, Drehbücher umzuschreiben und die Staffel inhaltlich neu zu konzipieren. Nach Angaben der Produzentinnen wurde ein Jahr Arbeit in die Tonne getreten. Das weist natürlich auch noch einmal auf den Umstand hin, mit wie langem Vorlauf viele TV-, Film- und Streaminginhalte produziert werden.

Für die Filmbranche sind die Sicherheitsvorkehrungen und Hygienekonzepte rund um Corona inklusive Drehstopps sowieso eine gigantische Hürde, um die aufwendigen Produktionen am Laufen zu halten, was auch dazu führt, dass viele Filme und Serien später fertig werden. So auch Julie Delpys popfeministische Netflix-Serie »On the Verge« über vier Frauen jenseits der 40, die in Los Angeles leben, die erst Monate später als geplant zu sehen war. Wobei hier Corona als Teil der Handlung noch geschickt, wenn auch minimalistisch eingearbeitet wurde. So verliert am Ende der Staffel die Hauptdarstellerin, eine Gourmetköchin, im Zuge einer eigentümlichen Atemwegserkrankung für ein paar Tage ihren Geschmackssinn, und in der Schlussszene wird im Radio der Ausbruch von Corona in Kalifornien vermeldet. Sollte es eine zweite Staffel geben, würden die laufenden Konflikte der einzelnen Figuren (vor allem das Hickhack mit kleingeistigen und frustrierten Ehemännern) zwangsläufig vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie weitererzählt werden.

Denn genau darum geht es ja letztlich: die schon vorhandenen Geschichten mit Corona als einem den Plot mitbestimmenden Teil weiterzuerzählen, ohne sich ausschließlich am Thema Pandemie abzuarbeiten und alle anderen Handlungsstränge aus der Kurve fliegen zu lassen. Oder lassen sich viele Geschichten dann gar nicht mehr erzählen? Funktioniert die High-School- oder College-Komödie noch, wenn es keine Partys mehr gibt? Hält der Krimiplot stand, wenn Restaurants geschlossen sind und der Zeuge den Verdächtigen wegen der Maske eh nicht erkennen würde? Sind Schauspieler mit Masken überhaupt gut zu verstehen? Will jemand wirklich eine Charakterdarstellerin agieren sehen, deren Mimik verdeckt ist? Oder geht es genau darum, Mittel und Wege zu finden, diese Rahmenbedingungen dramaturgisch einzuflechten und das Leben mit Corona so zu zeigen, wie es sich abspielt?

Wird es irgendwann Filme und Serien geben, die diese Zeit und all ihre Besonderheiten eingefangen haben? Oder steckt hinter der mangelnden Abbildung dieses Stücks Zeitgeschichte die langgehegte und mittlerweile eindeutig widerlegte Hoffnung, dass Corona ein kurzes Zwischenspiel ist, das es mal eben auszusitzen gilt? Kulturindustrielle Inhalte sollten schließlich nicht einfach in einer ahistorischen Blackbox zusammengebastelt werden, sondern in einem Spannungsverhältnis mit dem Hier und Jetzt stehen, zeitgeschichtliche Entwicklungen und Konflikte widerspiegeln und im günstigsten Fall in diese intervenieren.

Genau das scheint im Fall von Corona, einem der konfliktreichsten und meist debattierten zeithistorischen und dadurch auch ungemein politischen Ereignisse, gar nicht stattzufinden. Wie kann das sein?

Dabei ist es durchaus möglich, das Virus und seine Folgeerscheinungen in ein aktuelles Unterhaltungsformat einzubauen. Recht schlau und unkompliziert löst das der israelische Regisseur Hagai Levi im HBO-Serien-Remake (2021) von Ingmar Bergmanns Klassiker »Szenen einer Ehe«. Jede Folge beginnt am Set mit kompletter Crew und Schauspielern mit Masken, die auf Anfangsposition gehen, ihren FFP2-Schutz ablegen und dann loslegen. Dadurch hat die zeitlich explizit vor 2020 spielende Serie einen die ganze Staffel umspannenden Bezug zur Corona-Pandemie, und der Blick auf den von Hygienemaßnahmen gekennzeichneten Set ist die Schlusseinstellung der Serie.

Formate wie die Serien »Liebe in Zeiten von Corona« oder »Social Distance« spiegeln zwar die Verhältnisse zur Zeit der Pandemie wider, verknüpfen ihre Erzählungen aber nur bedingt mit jenen gesellschaftspolitischen Konflikten, die schon vorher existierten und von der Pandemie verschärft wurden. Die Auseinandersetzungen um tägliche Arbeitsverhältnisse, der Kampf gegen Rassismus und Sexismus, das Recht auf Stadt und viele andere Themen, die von Corona intensiviert, verändert oder umgeschrieben werden – wie durch jede andere wichtige und prägende zeithistorische Ereignislinie –, brauchen eine kulturindustrielle Bearbeitung inklusive der pandemischen Stellschrauben, die gerade unseren Alltag prägen. Genau das wäre aber der Anspruch an eine Kulturindustrie, die nicht von den Problemen während der Pandemie im Vorabendprogramm oder beim Kinobesuch ablenken, sondern diese aufarbeiten will und gestaltend eingreifen.

Wenn es Jahre dauert, bis dieses Thema wirklich im Film- und Unterhaltungsbereich auf eine substanzielle Weise angekommen und die Pandemie bis dahin womöglich längst zum endemischen und (hoffentlich) kaum mehr wahrnehmbaren Alltag geworden ist, wird etwas fehlen.

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