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Flutkatastrophe mit Ansage
Hochwasserschutz- und Vorhersage in NRW mangelhaft
Die Luftaufnahmen aus Erftstadt-Blessem gehören zu den eindrücklichsten Aufnahmen der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021, bei der 184 Menschen in Deutschland starben. Durch einen Krater, der sich an die Häuser der Erftstädter herangefressen hatte, wurden zehn Häuser total zerstört. Schuld daran ist eine Kiesgrube der Rheinische Baustoffwerke GmbH (RBS), einer Tochterfirma des Energiekonzerns RWE. Recherchen des WDR-Magazins »Westpol« haben ergeben, dass die Kiesgrube nie über einen ausreichenden Hochwasserschutz verfügte. In einem Gutachten für die nordrhein-westfälische Stadt Erftstadt kommt Professor Lutz-Heinrich Benner zu einem eindeutigen Urteil. Die Schäden an den Häusern seien »einzig und allein dem Tagebau nördlich von Blessem geschuldet«. Ursache sei die »absolut fehlerhafte Konstruktion des Hochwasserschutzwalles, gegründet auf lose angeschüttetes Material«, so der Ingenieurgeologe.
Auch andere Experten wie der Bergbau-Gutachter Michael Clostermann bemängeln den Hochwasserschutz in Erftstadt. Dieser entspreche »nicht den Anforderungen an ein technisches Hochwasserschutzbauwerk nach dem Stand der Technik«. Ein Sachverständiger für die Bezirksregierung Arnsberg kommt ebenfalls zu einem eindeutigen Urteil. Der Hochwasserdamm im Süden des Kies-Tagebaus sei »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« nicht den Anforderungen entsprechend. Der Hochwasserschutzwall habe, wie RWE dem WDR mitteilte, nachweislich und behördlich abgenommen den Auflagen entsprochen. Beanstandungen gab es bei zehn Terminen vor Ort bis zum Frühjahr 2021 nicht. Dirk Jansen vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sprach in diesem Zusammenhang von einer »Katastrophe mit Ansage«. Schon 2011 habe ein Gutachten den Böschungen der Grube einen »sehr kritischen Zustand« attestiert. Selbst in »normalen Zeiten« sei es zu Böschungsbrüchen und Wasserüberströmen gekommen. Es hätte also absehbar sein müssen, was ein extremes Hochwasser bedeute. Für Jansen ist auch klar, dass die Kiesgrube nur wegen der Grundwasserabpumpung für die benachbarten Braunkohle-Tagebaue so tief abgebaggert werden konnte. Das »Blessem-Desaster« sei auch »ein Kollateralschaden der Braunkohlengewinnung«, so der Geschäftsleiter des nordrhein-westfälischen BUND.
Erftstadt-Blessem ist nicht das einzige Problem, das Landespolitiker in Nordrhein-Westfalen ausgemacht haben. Am Freitag sorgte die Aussage eines Mitarbeiters des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) für Erstaunen im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Der Referatsleiter erklärte, dass es wenig Personal gäbe, das sich mit Hochwassermodellen auskenne. Zur Zeit der Flut im vergangenen Jahr sei der einzige Mitarbeiter, der sich mit einem neuen Vorhersagesystem auskenne, im Urlaub gewesen. Eine Vertretung für ihn habe es nicht gegeben. Außerdem gäbe es im Umweltministerium keine festgelegten Warn- und Meldeketten, so der Referatsleiter.
Stefan Kämmerling, der für die SPD im Untersuchungsausschuss sitzt, nannte diese Aussagen im Nachgang »irritierend und verstörend«. Es sei »erschütternd«, dass es für den einzigen Experten für Hochwassermodelle keine »adäquate fachliche Urlaubsvertretung« gegeben habe. Die Landesregierung sei dadurch »auf beiden Augen blind« für das Hochwasser gewesen. Es grenze fast an »Organisationsversagen«, dass Personalmangel für das schlechte Krisenmanagement mitverantwortlich sei.
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