Unfassbar geistloses Eigentum

Es ist ein Internet-Phänomen, das für viele Laien schwer verständlich ist: die »Non-Fungible Tokens«, kurz NFTs. Sie versprechen Einzigartigkeit im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit. Was hat es mit diesen vermeintlich renditestarken digitalen Spekulationsobjekten auf sich?

  • Marlen van den Ecker
  • Lesedauer: 7 Min.

In der Krypto-Szene gelten sie seit einiger Zeit als bahnbrechende Technologie und auch der klassische Kunstmarkt horcht auf: NFTs - »Non-Fungible Tokens«, zu Deutsch etwa »Nicht ersetzbare Marken« - sollen die »Wertlücke« schließen, die sich aus der verlustfreien Kopierbarkeit digitaler Dinge ergibt. Die Akteur*innen versprechen sich davon neue Vergütungsmöglichkeiten und eine täuschungssichere Verwaltung digitaler Sammelobjekte. Ein NFT ist ein unfälschbares Zertifikat (eine numerische Folge, die die Herkunft bestimmter Transaktionen bestätigt), das durch einen stromintensiven Verschlüsselungsvorgang erzeugt wird. Dies erscheint als innovativ, aber unterm Strich ist es vor allem eines: ein vorletzter Versuch im digitalen Kapitalismus, die Fiktion des geistigen Eigentums aufrechtzuerhalten.

Einzigartige Kopien

Ob Original oder Kopie - bei Computerdateien ist das abgesehen vom Zeitpunkt ihrer Erstellung eigentlich egal. Beide Versionen sind identisch. Dateien können prinzipiell verlustfrei und unendlich oft weiterkopiert werden. Werden diese Kopien nun im Internet verteilt, lässt sich nur schwer sagen, wem eigentlich das Original gehört. Für einen Moment scheint die Utopie eines eigentumsfreien Raumes auf: Endlich wird alles verfügbar, gehört allen alles, sind sämtliche Artefakte - Bilder, Tonträger, Texte und so weiter - keine Spekulationsobjekte mehr für finanzstarke Kaufinteressenten. Doch der Schein trügt, denn in Wirklichkeit gehört wenigen vieles. Monopolartige Plattformen wie Spotify oder YouTube haben den freien Datenaustausch zwischen Usern zu ihren eigenen Gunsten gelenkt und behalten den Großteil der Erlöse aus den angebotenen kreativen Werken selbst ein. Die Urheber klagen zu Recht, dass ihre Arbeit schlecht oder gar nicht entlohnt wird.

Mithilfe von NFTs soll dieser digitalen Wertlücke aufseiten der Produzent*innen nun technisch begegnet werden: Den Urheber*innen »tokenisierter« Werke - darunter digitale, aber auch nachträglich digitalisierte Werke - wird ein einzigartiges, nicht kopierbares Zertifikat, das NFT, ausgestellt. »Token« sind so etwas wie Eintragungen in einem digitalen Grundbuch, der sogenannten »Blockchain«, welche sämtliche Handelsaktivitäten, Werte und Rechte aufzeichnet, und zwar verschlüsselt, fälschungssicher und über mehrere Computer dezentral verteilt. »Nichtfungible Token« sind im Gegensatz zu »fungiblen Token« nicht teilbar und ersetzbar, es gibt sie jeweils nur einmal. Bezahlt werden NFTs mit Kryptowährungen, insbesondere »Ether«, der Währung des Ethereum-Netzwerkes.

Urheberrechte und Nutzerrechte an dem künstlerischen Werk werden durch das NFT nicht gewährt, vielmehr wird das Werk nur durch das NFT »repräsentiert«. Das dem NFT zugeordnete Original, beispielsweise ein digitales Bild, gehört also nicht dem NFT-Käufer und wird in der Regel entsprechend kopiert und verbreitet. Lediglich das Zertifikat selbst, welches zum Beispiel durch ein digitales Bild repräsentiert wird, ist nicht kopierbar oder austauschbar. Davon erhoffen sich ihre Eigentümer in der NFT-Community soziale Anerkennung, vor allem aber einen lukrativen Weiterverkauf.

Vermarktet werden NFTs zwar als digitale Zeichen für Eigentumsrechte an einem Originalkunstwerk, sind unterm Strich aber bloß eine Art Eigentumssymbol - ohne tatsächliche Verfügungsrechte. Ein Beispiel: Eine Zeitungsseite in ausgedruckter Form ist streng genommen immer ein Unikat, auch wenn davon Tausende Kopien existieren. So ist die Kopie, die Sie als nd-Leser*in möglicherweise gerade in Ihren Händen halten, faktisch einzigartig, selbst wenn die anderen Kopien genauso aussehen und riechen und sich anfühlen mögen. Prinzipiell kann diese Papierseite knapp werden, wenn die heutige Zeitungsauflage nicht ausreicht. Angenommen, ich wollte nun meine »eigene« Zeitungsseite tokenisieren - schließlich halte ich einen Ausdruck meines selbst geschriebenen Artikels in der Hand, und wer weiß, was das treue nd-Publikum für dieses Original irgendwann zu zahlen bereit ist -, dann könnte ich mir ein NFT erstellen, das genau diese Zeitungsseite repräsentieren soll. Im Anschluss könnte ich diese digitale Echtheitsurkunde verkaufen, ohne damit die Urheberrechte an meinem Text zu verlieren und ohne dass die konkrete Zeitungsseite vor meiner Nase den Besitzer wechselt.

Verheizung von Geld (und Strom)

Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, wenn es um Dinge geht, die durch das NFT repräsentiert und scheinbar künstlich verknappt werden sollen, um mit ihrem Verkauf Geld zu machen: Digitale Bilder, Gegenstände in Videospielen, Domain-Namen, … you name it. Das NFT des allerersten Twitter-Posts brachte im Frühjahr 2021 beispielsweise umgerechnet 2,5 Millionen Euro ein, das NFT des ersten Quellcodes für das World Wide Web über 5 Millionen Euro. Vor allem NFTs digitaler Kunstwerke werden teuer versteigert, etwa für die unrühmlichen Affenbilder des »Bored Ape Yacht Club«, die zurzeit ab einem Wert von 52 Ether (circa 200 000 Euro) gehandelt werden.

Der Hype nahm ab dem Frühjahr 2021 richtig Fahrt auf, als der Digitalkünstler Beeple nach vielen teuer verkauften digitalen Werken ein NFT für eine Collage seiner Werke im Wert von 69 Millionen US-Dollar versteigern ließ. Die Collage mit dem Titel »Everydays« kann zwar nach wie vor online angesehen und als Bilddatei abgespeichert werden, aber der Käufer des NFT gilt als ihr alleiniger Eigentümer. Mit dem NFT erwarb der Käufer also das Eigentum an der Original-Beeple-Collage, allerdings ohne damit die ausschließliche Verfügung über das Werk zu erwerben. Diese Trennung von Eigentum und Verfügung ist neu, denn bisher ist die Verfügungsmacht üblicherweise der Sinn von Eigentumsrechten: Sie erlaubt es dem Eigentümer, andere vom Zugriff auf die entsprechende Sache auszuschließen. Dies leistet das NFT jedoch nicht, es ist ein Eigentumstitel ohne jeden materiellen Inhalt.

Der Medienrummel rund um Beeples »Everydays« und prominente Trendsetter, die zum Mitwirken auf NFT-Märkten animierten, lösten eine regelrechte Goldgräberstimmung auch jenseits der Krypto-Netzwerke aus. Hunderttausende von Usern haben seitdem in Form von Kryptowährungen Abermillionen Dollars oder Euros in NFTs investiert - mit der Hoffnung, dass es sich später auszahlen würde. Aber was in der Krypto-Szene als dezentral verteilte Wertanlage gefeiert wird, ist letztlich sogar noch ungerechter verteilt als das klassische Geldvermögen: Schätzungen zufolge gehören weniger als einem Zehntel der NFT-Besitzer 80 Prozent des Vermögens, das mit NFTs verdient wurde.

Darüber hinaus ist mit der Versteigerung von NFTs ein immenser Energieverbrauch verbunden. Schätzungen zufolge verbraucht die Erstellung eines einzigen Tokens um die 140 Kilowattstunden - das ist mehr als der durchschnittliche Stromverbrauch eines Ein-Personen-Haushalts in einem Monat. Das ist einerseits teuer und hinterlässt andererseits einen fetten CO2-Fußabdruck. Noch dazu verschleißt der Vorgang die notwendigen Hardwarekomponenten, insbesondere Grafikkarten, innerhalb weniger Monate bis zum Ausfall. Bei den derzeitigen Verhältnissen bedeutet dies: Während viele Leute nicht wissen, wie sie diesen Winter ihre Strom- und Gaskosten finanzieren sollen, lassen gut begüterte Krypto-Fans fröhlich ihre Grafikkarten heiß laufen.

Stolze Eigentümer vs. blöde Rechtsklicker

Den vermögenden Kunst- und Popkulturbegeisterten, die sich in die NFT-Welt verirrt haben, geht es vor allem darum, ein kleines bisschen vom Zauber eines originalen Kunstwerks abzubekommen. Um solchen Sehnsüchten gerecht zu werden, gibt es zum NFT-Kauf neuerdings auch physische Urkunden, Zuwendungen der Künstler und sonstige Fanartikel hinzu. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Kauf von NFT wiederum nicht vom Offline-Kunsthandel. Auch dort geht es um Einzigartigkeit, Echtheit, erhoffte Vermögenswerte und (herab-)würdigende Blicke der Standesgenossen.

Aber es tut sich Widerstand auf, wenn auch bislang meist unbemerkt: die normalen User, in der NFT-Welt abschätzig »Rechtsklicker« genannt, weil sie die digitale Dateien mit einem Rechtsklick der Computermaus kopieren oder abspeichern. Im September 2021 hatten sich unter einem Social-Media-Post, in dem jemand mit seinem NFT eines Affen-Cartoon-Bildes prahlte, ein paar NFT-Gegner zusammengetan, die das Bild abspeicherten, weiterverbreiten und lautstark verkündeten, dass ihnen das Bild jetzt auch gehöre. »Rechtsklicker« wie Sie und ich sind für NFT-Jünger Frevler, die einfach nicht verstehen wollen, dass es ganz etwas anderes ist, eine digitale Kopie auf dem Rechner zu haben anstatt einem NFT für die Originaldatei. Dabei begreifen die Käufer der NFTs selbst oft nicht, dass sie das Ding gar nicht besitzen, was sich alle anderen per Rechtsklick gönnen können, sondern nur eine nicht kopierbare Zeichenfolge in einer dezentralen Datenbank.

Finanzialisierung des Alltags

Belanglos ist die Auseinandersetzung mit NFTs trotz dieser Verrücktheit keineswegs, weil sie einige wichtige Erkenntnisse über allgemeine Tendenzen in der kapitalistischen Gesellschaft zu Tage fördert. Zum einen zeigen sie, dass die Finanzialisierung des alltäglichen Lebens auch vor verlustfrei kopierbaren digitalen Dingen nicht Halt macht - bis irgendwann alle denkbaren Vermögenswerte in Finanzinstrumente verpackt worden sind. Hierbei zeigen NFTs mustergültig, dass der Kauf auf Spekulation, unabhängig vom Spekulationsobjekt, nur so lange funktioniert, wie die Fantasie um den Wert selbst und um künftige Wertsteigerungen aufrechterhalten werden kann.

Auch dem Problem der gerechteren Urhebervergütung können NFTs letztlich nicht begegnen. Beispielsweise gibt es seit dem NFT-Boom zahlreiche Fälle, bei denen Künstler*innen zu ihrer Verwunderung davon erfahren, dass ihre Kunstwerke ohne ihr Zutun auf NFT-Märkten zu finden sind. Nicht zuletzt sind NFTs ein Beleg dafür, dass es den privilegierten Käufer*innen digital geschützter Urkunden vor allem um ein wirklich knappes Gut geht: soziale Geltung.

Marlen van den Ecker ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich »Strukturwandel des Eigentums« an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sie promoviert zur Soziologie des geistigen Eigentums im digitalen Kapitalismus.

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