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Lieferengpass bei Brustkrebsarznei

Tamoxifen dürfte über Monate knapp sein - die Herstellung ist offenbar nicht profitabel genug

Die Lieferengpässe beim Krebsmedikament Tamoxifen könnten im schlechtesten Fall noch Monate anhalten.
Die Lieferengpässe beim Krebsmedikament Tamoxifen könnten im schlechtesten Fall noch Monate anhalten.

Viele Brustkrebspatientinnen haben schon von diesem Medikament gehört und es oft auch verschrieben bekommen: Tamoxifen. Das Anti-Östrogen blockiert die Bindestellen der weiblichen Hormone auf den Zellen, auch auf Krebszellen. Diese sind ebenfalls hormonabhängig. So sorgt Tamoxifen dafür, dass die Hormone nicht mehr wirken können. Oft kommt der Wirkstoff in der Nachbehandlung zum Einsatz und zwar meist über Jahre. Dadurch wird das Risiko eines Rezidivs, also des Wiederauftretens eines Tumors, gesenkt.

Derzeit bestehen für dieses Medikament allerdings umfangreiche Lieferengpässe, die im schlechtesten Fall noch Monate anzuhalten drohen, wie es heißt. Von dem Ausfall könnten bis zu 130 000 Frauen betroffen sein, denen Tamoxifen regulär verschrieben wird. Hinzu kommen Off-Label-Verordnungen bei Prostatakrebs oder bei Ovarialkarzinom - das heißt, hier wird das Medikament in einem Bereich angewendet, für den es nicht zugelassen, aber offenbar wirksam ist.

Auf einer Liste des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für versorgungsrelevante Wirkstoffe finden sich sieben Tamoxifen-Präparate, die bis zum Sommer, teilweise bis zum Jahresende nicht verfügbar sind. Bereits im vergangenen Jahr war der Wirkstoff nur eingeschränkt in bestimmten Dosen lieferbar.

Der Hersteller Ratiopharm kann seine Version aktuell nicht liefern, bei Hexal, Aliud und Heumann wird mit einem Ausfall von einigen Monaten gerechnet. Einzig das Unternehmen Aristo stellt das Medikament noch bereit - aber in der Branche gilt es als sicher, dass das nicht lange ausreichen wird. Vermutlich sind 85 Prozent des Marktes betroffen. 2019 wurden laut dem AOK-Arzneimittelversorgungsreport 45 Millionen Tagesdosen verordnet. Da es sich um ein Generikum handelt, also bei Tamoxifen eine patenfreie Herstellung möglich ist, liegen die Nettokosten je Dosis im Bereich von 20 Cent. Erstmals synthetisiert wurde der Wirkstoff in den 1960er Jahren.

Ein Lohnhersteller sei ausgefallen, hieß es vom Berliner Hersteller Aristo. Ein neuer Wirkstoffzulieferer müsse gefunden werden, das dauere. Preisangebote neuer Hersteller seien bis zu 60 Prozent höher gewesen. Deshalb wird auch Aristo nur bis zum Ablauf bestehender Verpflichtungen weiterliefern.

Als Alternative für Patientinnen und Patienten ist unter anderem in der Diskussion, Tamoxifen in einigen noch erhältlichen Dosierungen zu geben. Zudem stünden zum Beispiel drei sogenannte Aromatasehemmer zur Verfügung, die ebenfalls einen schützenden Effekt gegen bestimmte Tumorformen zeigen, aber eine höhere Nebenwirkungsrate haben. Letzteres könnte dazu führen, dass die Behandlungen auch häufiger abgebrochen werden.

Die genannten Alternativmedikamente wurden insgesamt bereits häufiger als Tamoxifen verordnet. Jedoch müsste eine Umstellung jeweils individuell für jede Patientin erfolgen. Aus Fachkreisen heißt es, dass der Wirkstoff als fester Bestandteil der Behandlungsschemata bei Mammakarzinom besonders bei Patientinnen vor der Menopause kaum zu ersetzen sei.

Für den Engpass gibt es verschiedene Erklärungen. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie registrierte einen Anstieg der Verschreibungen seit dem ersten Quartal 2020 - »im zeitlichen Zusammenhang mit den Lockdown-Maßnahmen aufgrund der Covid-19-Pandemie in Kombination mit einer geringen Flexibilität in den Herstellungsprozessen«.

Der Industrieverband Pro Generika wird in der Frage der Ursachen deutlicher: Aus Gründen fehlender Wirtschaftlichkeit sollen einige Zulieferer die Produktion eingestellt haben. Und die Suche nach Ersatz sei nicht einfach. Weil die regulatorischen Anforderungen hoch seien, könne das Monate bis Jahre dauern. Hinzu kommt, dass für die Herstellung Sonderproduktionsbereiche nötig sind, in denen die Belegschaften nicht durch Stäube gefährdet werden dürfen und jede Verunreinigung ausgeschlossen werden muss.

Zugleich wurde hoher Kostendruck beklagt. Pro Generika benutzt den Fall, um das Aussetzen von Preismoratorien, Festbeträgen und Rabattverträgen zu fordern. Mit diesen Instrumenten versuchen die gesetzlichen Krankenkassen, Einsparungen bei Arzneimitteln zu erzielen. Der Preis, den die Hersteller von den Krankenkassen etwa für eine 100er-Packung Tamoxifen erhielten, liege laut Pro Generika bei 8,80 Euro - dies sei nicht wirtschaftlich.

Vergangene Woche befasste sich nun auch der Beirat des BfArM mit Liefer- und Versorgungsengpässen bei Tamoxifen. Eine Handlungsoption ist laut den Experten, den Import aus dem Ausland zu erleichtern. Hier muss aber erst geklärt werden, welche Kontingente (am einfachsten aus der EU) überhaupt zur Verfügung stehen. Die Fachzeitschrift »Arzneimitteltelegramm« hält es allerdings für »unrealistisch«, auf diesem Weg nennenswerte Mengen Tamoxifen zu erhalten. Auch in anderen Ländern sei von einer Bedarfsplanung für den eigenen Markt auszugehen.

Zudem sollen Ärzte in den kommenden Monaten keine Rezepte auf Vorrat ausstellen. Vielmehr sollten Patientinnen und Patienten erst dann ein Folgerezept erhalten, wenn dies wirklich erforderlich ist.

Lieferengpässe sind schon seit mehreren Jahren ein ständig wiederkehrendes Problem im Pharmabereich. Auch deshalb war der BfArM-Beirat gegründet worden. Engpässe entstehen unter anderem dadurch, dass globale Lieferketten nicht unbedingt zuverlässig sind. Insbesondere bei der Herstellung von patentfreien Generika hat die westliche Pharmaindustrie die Zulieferung von Wirkstoffen Herstellern überlassen, die auf der Basis niedrigster Löhne und geringer Umweltauflagen arbeiten.

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