Letzter Ausweg Militär

Kanada will ein Notstandsgesetz gegen Truckerproteste anwenden

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Regierung von Kanada will zum ersten Mal in der Geschichte des Landes die Notstandsvollmachten des »Emergencies act« anwenden. Das hat Premierminister Justin Trudeau am Montagabend erklärt. Der sichtlich verzweifelte liberale Regierungschef will damit endlich die Besetzung der Innenstadt von Ottawa rund um das kanadische Parlament durch Hunderte LKW-Fahrer des sogenannten Freedom Convoys und ihrer überwiegend rechten und rechtslibertären Unterstützer*innen beenden.

Seit Wochen demonstrieren in Kanada Tausende gegen Corona-Beschränkungen und Impfvorschriften, auch mit Blockaden der Zufahrten ins Zentrum der Hauptstadt. Auslöser war eine Anfang Januar in Kraft getretene Verordnung, wonach auch Fahrer, die aus den USA zurückkehren, einen Impfnachweis vorlegen müssen.

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Das 1988 beschlossene Notstandsgesetz gibt dem Premier für 30 Tage Vollmachten. Er kann etwa Bankkonten der Protestierenden einfrieren, Versammlungen verbieten und die Reisefreiheit einschränken. Dies sei nur der letzte Ausweg, er wolle »nicht das Militär rufen«, erklärte Trudeau. Genau dies hatte der Polizeichef von Ottawa angesichts der Überforderung seiner Behörde mit der Räumung des Truckerprotestes zuvor aber gefordert.

Vergangene Woche schon hatte die Stadt Ottawa den Notstand ausgerufen und versucht, die Versorgung des Truckerprotests mit weiterem Treibstoff und Nachschub zu unterbinden. Unterdessen versuchten genervte Anwohner*innen, mit Sitzblockaden zu verhindern, dass sich weitere Fahrer dem Protest anschließen, der von rechten Spendern aus der ganzen Welt unterstützt wird. Zu Anfang der Woche störten Gegner des Protests auch die Chatkanäle der Trucker.

»Wird sind an diesem Punkt angelangt, weil der Premier die Belagerung von Ottawa wochenlang zugelassen und nichts getan hat«, kritisierte Jagmeet Singh, Vorsitzender der linksliberalen New Democratic Party. Die konservative Opposition im Parlament unterstützt den Freedom Convoy, obwohl eine knappe Mehrheit ihrer Anhänger (53 Prozent) laut einer Umfrage der Meinung ist, es sei für die Protestler Zeit, nach Hause zu gehen.

Die Anwendung der Notstandsvollmachten geht einher mit Kontrollvorgaben: Innerhalb von 60 Tagen nach Auslaufen oder Beendigung angeordneter Maßnahmen muss eine Untersuchung zu den Umständen der Notstandserklärung eingeleitet werden. Ein entsprechender Bericht muss dem Parlament spätestens nach 360 Tagen vorgelegt werden.

Am Wochenende hatten die Behörden eine Blockade auf der Ambassador-Brücke von Ontario nach Detroit aufgelöst – offenbar auch nach Druck aus dem Weißen Haus. Über die Brücke werden rund 25 Prozent des Handels zwischen den USA und Kanada abgewickelt. Die Autofabriken in Detroit hatten ob der tagelangen Zulieferererblockade bereits teilweise ihre Produktion einstellen müssen.

Lesen Sie auch: Wehrhafte Demokratie in Aktion - Moritz Wichmann über das Vorgehen gegen die kanadischen Trucker-Proteste

Nur Stunden vor Trudeaus Ankündigung, den Notstand auszurufen, hatte das Parlament einen Antrag der Konservativen abgelehnt, mit dem die seit Mitte Januar geltende Impfpflicht für Trucker und Transportarbeiter ab Ende Februar beendet werden sollte. 90 Prozent der Arbeiter im Sektor sind geimpft. Die Erklärung Trudeaus fällt in eine Zeit sinkender Corona-Infektionen in Kanada, ein Auslaufen der Eindämmungsmaßnahmen ist laut Gesundheitsbehörde absehbar. Aktuell sind rund 83 Prozent der Kanadier über fünf Jahre vollständig zweifach geimpft, die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 178.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.