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Ihre Kommunikation ist Schweigen
Und noch mehr Liebe im Wettbewerb der Berlinale: Zwischen Alt und Jung und auf dem Dorf
»Eine unmögliche Liebe zwischen einem Dieb und einer Dame« heißt es im Programmtext der Berlinale. Die Dame ist die 60-jährige Schauspielerin Anna (Sophie Rois), die gerade einen schlechten Arbeitstag hinter sich hat: Ein Kollege wurde bei einer Hörspielprobe zudringlich. Am selben Abend wird ihr auch noch die Handtasche geklaut. Der Dieb, der 17-jährige Adrian (Milan Herms), ist ein Waisenkind, das eine Sprachstörung hat. Für eine Schultheaterinszenierung braucht er dringend einen Sprechcoach. Und ausgerechnet Anna soll ihm nun die richtige Aussprache beibringen. Beim Üben der Vokale - A E I O U - verlieben sie sich ineinander. Skandalös?
»A E I O U - Das schnelle Alphabet der Liebe« ist der neue Film der Regisseurin Nicolette Krebitz - einer der zwei deutschen Beiträge im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale (neben Andreas Dresens »Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush«). Verglichen mit Krebitz’ vorherigem Film »Wild« (2016), der eine Liebesbeziehung zwischen einer Frau und einem Wolf zeigte, scheint die Liebe zwischen Anna und Adrian weniger unmöglich. Eigentlich haben die Sprechtrainings-stunden in Annas Wohnung und die schüchterne Liebe ihre eigene Ästhetik. Doch die Geschichte verliert an Reiz, sobald die Regisseurin entscheidet, dass die Berliner Altbauwohnung für diese Romanze nicht genügt und dass es daher noch eine Reise nach Südfrankreich sowie eine Menge Diebstahl, Kasino und Detektivspiel braucht.
Manche vergleichen diesen Film mit Michael Hanekes »Die Klavierspielerin« (2001), in dem Isabelle Huppert die Hauptrolle spielt. Außer dem Altersunterschied und der Lehrerin-Schüler-Konstellation hat Hanekes Werk jedoch nichts mit dieser Geschichte gemein. »A E I O U« will witzig und lässig sein und die Liebe feiern. Haneke möchte alles zerlegen, was sonst überall gefeiert wird, allem voran die Liebe (und das macht er grandios, um das einmal klarzustellen). Er ist für sein Kino der »emotionalen Vergletscherung« bekannt. Sogar im liebevollsten und sanftesten Film, den er je gedreht hat, der auch schlicht »Liebe« heißt, erstickt ein Mann seine geliebte Frau mit einem Kopfkissen.
Eine andere Form der ungewöhnlichen Liebe zeigt der chinesische Wettbewerbsfilm »Yin Ru Chen Yan« (»Return to Dust«) des Regisseurs Li Ruijun. Zwei Familien arrangieren eine Hochzeit zwischen Youtie Ma (Wu Renlin) und Cao Guiying (Hai Qing). Ma ist ein Bauer, der seine Zeit lieber mit seinem Esel als mit den Familienmitgliedern verbringt. Guying ist eine Frau, die in einem Stall gelebt hat, von ihren Mitmenschen misshandelt wurde, dadurch gehbehindert ist und jetzt eine Blasenschwäche hat.
Nun teilen sich die zwei Fremden ein armseliges Zimmer. Ihre Kommunikation ist Schweigen. Doch allmählich entsteht zwischen den beiden eine äußerst zärtliche Liebe, die einzigartig ist - im Vergleich zu zahllosen Liebesgeschichten, in denen es vor Geschehen und Körperlichkeit nur so wimmelt. Der höchste Akt der Liebe in diesem Film ist, dass der eine dem anderen Weizenkörner auf die Hand drückt, sodass sie blumenförmige Spuren auf der Haut hinterlassen.
Als Feldarbeiter*innen werden Ma und Guiying vom Verwalter ausgebeutet, von anderen Dorfbewohner*innen gemobbt und vom Staat aus dem Haus verdrängt. Doch in ihrer Welt herrscht Frieden und Menschlichkeit. Wenn die alten Häuser im Dorf abgerissen werden sollen, bauen sie sich mit einfachsten Materialien ein neues Zuhause. Ihre Sorge ist eher, was mit dem Schwalbennest an der Fassade des alten Hauses passiert, wenn mit dem Abriss begonnen wird.
Tatsächlich geschieht nicht viel. Das 131-minütige Drama zeigt hauptsächlich harte Arbeit auf dem Land. Und wie ein Mann, eine Frau und ein Esel dabei ein harmonisches Miteinander finden.
»A E I O U - Das schnelle Alphabet der Liebe«: Deutschland/Frankreich 2022. Regie und Buch: Nicolette Krebitz. Mit: Sophie Rois, Udo Kier, Milan Herms, Nicolas Bridet. 104 Min. Do 17.2., 20.30 Uhr: Berlinale Palast; Fr 18.2., 12 Uhr: Friedrichstadt-Palast.
»Yin Ru Chen Yan« (Return to Dust): China 2022. Regie, Buch: Li Ruijun. Mit: Wu Renlin und Hai Qing. 131 Min. Mi 16.2., 17.30 Uhr: Cubix 9; Fr 18.2., 17.30 Uhr: Urania; Sa 19.2., 17 Uhr: International.
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