Hongkong am Corona-Scheideweg

Millionenmetropole erlebt derzeit schlimmste Welle seit Ausbruch der Pandemie

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 3 Min.

Für eine der wohlhabendsten Städte der Welt sind die derzeit auf sozialen Medien kursierenden Fotos beschämend: Bis zu 100 Patienten im Seniorenalter harren im Freien auf Liegebetten aus, da das überfüllte Caritas Medical Center über keine Kapazitäten mehr verfügt. Nur Wärmedecken schützen die Menschen vor den feuchtkühlen Februartemperaturen. Ohne Frage: Im mittlerweile 25. Pandemiemonat ist Hongkongs Corona-Lage so angespannt wie nie zuvor.

Denn während der fünften Welle haben die täglichen Infektionszahlen erstmals ein exponentielles Wachstum erreicht. Vor einem Monat lag der Sieben-Tages-Schnitt in Hongkong noch bei rund zehn Covid-19-Fällen, derzeit sind es bis zu 2000 Ansteckungen - Tendenz stark steigend. Das Virus kam im Januar über Einreisende in die Quarantänehotels der Sonderverwaltungszone, von wo es nun auf die Bevölkerung übergesprungen ist.

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Die Wirtschaft übt zunehmend Druck dahingehend aus, dass Hongkong seine Nulltoleranzstrategie gegenüber dem Virus graduell lockert. Anreize gäbe es zur Genüge: Schließlich ist die 7,4-Millionen-Einwohner-Stadt nicht nur eine internationale Bankenmetropole, sondern auch einer der bedeutendsten Warenumschlagplätze der Welt. Der Ehrenvorsitzende für kleinst- und mittelständische Unternehmen, Danny Lau, sagte erst kürzlich gegenüber Bloomberg: Die Regierung wisse, dass Null Covid nicht mehr funktioniere, dennoch müsse man den Signalen aus Peking folgen.

Denn die dortige Zentralregierung gibt längst auch den epidemiologischen Ton an. Erst am Mittwoch ließ Chinas Staatschef Xi Jinping über die staatlich kontrollierten Medien ausrichten, dass die Eindämmung des Virus in Hongkong höchste Priorität genieße: «Alle notwendigen Maßnahmen» werden dazu ergriffen.« In einem ersten Schritt hat die benachbarte chinesische Provinz Guangdong Testkits sowie Laborkapazitäten für Hongkong bereitgestellt sowie Personal entsandt, um temporäre Isolationszentren zu errichten. Denn nach wie vor muss sich jeder Infizierte - ganz gleich, ob mit oder ohne Symptome - in eine zentrale Quarantäne begeben.

Doch immer offener zweifeln die Menschen in der Sonderverwaltungszone an, ob die Null-Covid-Strategie angesichts der hochinfektiösen Omikron-Variante überhaupt noch aufrechtzuerhalten sei. Immerhin scheint jedoch der Blick auf das chinesische Festland zu bestätigen, dass es zumindest möglich ist: Dort wurden innerhalb der 1,4-Milliarden-Bevölkerung nur mehr knapp über 40 Fälle pro Tag registriert. Die Wachstumskurve wurde also in der Volksrepublik nicht nur abgeflacht, sondern de facto auf null gedrückt.

»Wieso war die Null-Covid-Strategie der Sonderverwaltungszone Hongkong nicht so effektiv?«, fragte am Mittwoch Chinas Staatssender CGTN in einer Nachrichtensendung. Die naheliegende Antwort: Hongkong habe eben keinen Lockdown verhängt - eine Strategie, die sich in China wiederholt als Allzweckmittel herausgestellt hat. Gabriel Leung, Mediziner an der Universität von Hongkong, pflichtet bei: »Wir brauchen soziale Abstandsregeln, die mindestens dreimal so stark sind wie derzeit, um das Virus zurück auf null bringen zu können.«

Dabei haben bereits die jetzigen Regeln die Metropole in eine regelrechte Geisterstadt verwandelt: Öffentliche Treffen mit mehr als zwei Personen sind verboten, auch in Privatwohnungen dürfen die Beteiligten nur mehr aus zwei Haushalten kommen. Und wer einer Aufforderung zum Testen nicht folgt, muss mittlerweile umgerechnet mehr als 1100 Euro zahlen.

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