Kampfansagen der »Liebe«

Die emotionalen Manipulierspielchen des Kanye West: Stalken und Belästigen in Social-Media-Echtzeit

Schon des Öfteren durfte man in den vergangenen Jahren den mentalen und toxisch-maskulinen Zusammenbrüchen Kanye Wests in den sozialen Medien beiwohnen.

Unvergessen ist die Twitter-Tirade des HipHop-Superstars gegen Kim Kardashian und ihre Familie, die er in einer bizarren Rant-Reihe im August 2020 abfeuerte. Er warf seiner damaligen Noch-Ehefrau darin unter anderem vor, dass sie die erstgeborene Tochter des Paares North West eigentlich abtreiben wollte. Ihre Mutter, Kris Jenner, verglich er mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un - und gab ihr den Spitznamen »Kris Jong Un«. Nachdem Kim Kardashian in jenem Sommer kurz danach noch bei einer tränenreichen Aussprache mit dem Rapper gesichtet wurde, reichte sie wenige Monate später die Scheidung ein. Bis heute wird gemunkelt, dass auch seine öffentlichen Aus- und Zusammenbrüche in den sozialen Medien einen Anteil am Scheitern der Ehe gehabt haben werden.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Seit über einem Jahr geht das Paar also getrennte Wege - doch West scheint die Trennung immer noch nicht überwunden zu haben. Nachdem er im Januar eher wegen seiner Kurzzeit-Liasion mit der Schauspielerin Julia Fox aufgefallen war, die mehrere Wochen lang auch auf skurrile Weise medial begleitet wurde, pflastert er seit über einer Woche seinen Instagram-Account mit bizarren und teilweise aggressiven Postings. Feindliche Ansagen gegen die Sängerin Billie Eilish, konstruiert aus Fake-Headlines, machten den Anfang.

Es folgten wütende Tiraden gegen den neuen Freund von Kardashian, den Komiker Pete Davidson, die sich in eine regelrechte Online-Hetzjagd verwandelten. West untersagte Davidson in Großbuchstaben den Kontakt zu seinen Kindern, und kündigte an, schon bald wieder mit seiner Frau und Familie vereint sein zu wollen. Außerdem veröffentlichte er Screenshots von Textnachrichten, die Davidson ihm - wohl um die Wogen zu glätten - geschickt hatte. Auch private Textkonversationen, in denen Kardashian ihren Noch-Ehemann bat, mit seinen Tiraden aufzuhören und Davidson nicht zu gefährden, machte West öffentlich.

Zum Valentinstag zeigte er ein Foto von einem mit Rosen beladenen Truck, den er zum Haus von Kardashian geschickt hatte. »My Vision is Krystal Clear« stand wie eine Drohung auf dem Wagen. Hass, Wut, Love Bombing, Gaslighting - West bediente die ganze Palette missachtenden Verhaltens, die problematische und toxische Ex-Partner auffahren.

Zwischendurch löschte West seine Bilder und Kommentare, entschuldigte sich bei Kardashian, seiner Familie und seinen Fans, gelobte Besserung und verwies auf seine mentale Gesundheit. Er wolle niemanden »belästigen« und verstehe, dass einige seiner Online-Aktionen durchaus beängstigend wirken, beteuerte er - nur, um kurz darauf die nächsten Tiraden zu veröffentlichen.

Jede dieser Kampfansagen generierte weit über hunderttausend Likes - kein Wunder bei 14 Millionen Follower*innen in dem sozialen Netzwerk. Die Fans reagierten teils belustigt, teils bestärkend, und wieder andere kritisierten das feindselige Verhalten des Rappers. Klar wurde aber direkt: Obsessives Verhalten des verlassenen Partners und Stalking wird immer noch romantisiert - so, als wären derartige Belästigungen gleichzusetzen mit dem vermeintlich noblen »um die Liebe kämpfen«.

Dabei weist Wests Verhalten in erster Linie vor allem auf klassische Gaslighting- und Manipulationstechniken hin. Nach wütenden Tiraden folgen Lovebombing und dann Entschuldigungen und vermeintliche Einsicht - nur, damit nochmal nachgelegt wird, falls die Beteuerungen nicht das Ergebnis liefern, das gewünscht wird. In diesem Fall: Dass die Frau dem abstrusen Werben nachgibt und dem gehörnten Mann wieder willig in die Arme fällt.

Ein außerordentlich gutes Bild in dem ganzen Reigen gibt seit jeher Kim Kardashian ab: Obschon sie eine der größten Leidtragenden in diesem ganzen öffentlichen Theater ist, gibt sie sich stets souverän und stark. Am Ziel, mit der Hilfe von Mediatoren und Anwälten eine möglichst friedvolle und vielleicht sogar freundschaftliche Einigung mit West zu allen familiären Belangen zu finden, hält sie nach wie vor fest. Auch nahm sie in der Vergangenheit ihren (damaligen) Partner West oft in Schutz, wenn er mal wieder negativ auffiel - so auch nach seiner berüchtigten Twitter-Tirade im Sommer 2020 gegen sie. In einem öffentlichen Statement bat sie damals um Verständnis für Wests Verhalten, und verwies auf seine bipolare Erkrankung.

Kardashian wurde wie West schon selbst oft als Witzfigur im Entertainment ausgelacht - allerdings nicht, weil sie wie der Rapper als exzentrisches Genie mit Hang zum Wahnsinn abgestempelt wurde, sondern weil ihr immer wieder vollkommene Talentlosigkeit vorgeworfen wurde. Dabei hat die Geschäftsfrau mehr als einmal bewiesen, dass sie vor allem Publicity und die Gratwanderung, ihre Familie gleichermaßen zu vermarkten aber auch zu beschützen, formvollendet beherrscht - auch ihr Standing, dass sie gegenüber West kontinuierlich verteidigt, beweist das sehr gut.

Und es schien Anfang dieses Jahres zunächst, als wäre das ehemalige Power-Paar auf einem guten Weg, die Trennung harmonisch abzuwickeln. Als die Nachricht kam, dass Kanye ein Haus auf der anderen Straßenseite von Kardashians Anwesen in Kalifornien gekauft hatte, hatte es den Anschein, als hätten beide eine friedliche Strategie in der zukünftigen Co-Elternschaft für die gemeinsamen Kinder ausgehandelt. Auch, dass West damit zeigte, dass er im Leben seiner Kinder präsent sein möchte, machte einen guten und engagierten Eindruck. Doch nun, nach allem, was West in den letzten Tagen so von sich gegeben hat, drängt sich eventuell ein anderes Bild auf: Nämlich eines, in dem der Ex-Partner räumliche Nähe vielleicht auch deshalb sucht, um kontrollierend auf die Familie einzuwirken.

Nun kann man lang und breit über Wests gesundheitlichen Zustand spekulieren. Klar aber ist: Psychische Gesundheit darf keine Entschuldigung für besorgniserregendes und missbräuchliches Verhalten sein. Missbrauch bedeutet dabei nicht nur, dass jemand körperlich angegriffen wird. Missbrauch hat viele Facetten, und auf Wests Social Media-Präsenz kann man derzeit in Echtzeit verfolgen, wie er vonstatten gehen kann. Eine Person öffentlich mit Liebesnachrichten zu bombardieren, die einen gebeten hat, einen in Ruhe zu lassen, ist nämlich nichts anderes als Belästigung. Dazu gehören auch die Versuche, Beziehungen mit neuen Partnern sabotieren zu wollen.

Deswegen ist Wests Gebaren in den sozialen Medien auch nicht gleichzusetzen mit einer tragischen Liebesgeschichte - und nicht mit einer unterhaltsamen und erheiternden Berg- und Talfahrt eines freidrehenden Künstlers mit globaler Prominenz. Es geht um Missbrauch, der auf der unfassbar misserfolgsverprechenden Idee basiert, eine ehemalige Partnerin mit mentalen und emotionalen Manipulier-Spielchen zurück in eine Beziehung zu zwingen. Ausgeübt von einem Mann, der über viel Geld und viel Einfluss verfügt, und damit noch mehr Mittel hat, seine baldige Ex-Frau vor der ganzen Welt öffentlich zu demütigen. Dass dies mit Fan-Beifall und Boulevard-Häppchen zum »Scheidungsdrama« zwischen Kardashian und West begleitet wird, macht es dabei nicht unterhaltsamer, sondern nur noch bedenklicher.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.