Nuklearraketen als Untermalung der europäischen Krise

Übung der strategischen Abschreckungstruppen in Russland - Putin sendete Signale per Teufelszeug

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Samstagnachmittag fragte ein Reporter der Nachrichtenagentur Tass den russischen Präsidentensprecher, wann denn das Treffen im Lagezentrum des Kremls beendet sein wird? Dmitri Peskow antwortete knapp und - gemessen am Inhalt der Veranstaltung - fast doppeldeutig: »Es ist vorbei.«

Zum Glück war das, was die Präsidenten von Russland und Belarus, Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko, da veranstalteten, nur eine Übung. Im Ernstfall wäre es in der Tat »vorbei« gewesen - mit der Existenz der Menschheit. Denn die sogenannten strategischen Abschreckungskräfte Russlands sind - wie entsprechende Kräfte der USA und der Nato - der Endpunkt von Vernunft.

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Beteiligt waren Einheiten der Luft- und Raumfahrtstreitkräfte, der Marine sowie des Heeres. Sie zeigten exemplarisch, was Russland in Masse als glaubwürdige Drohung aufbieten kann. Eine ballistische Interkontinentalrakete vom Typ »Jars« wurde vom Kosmodrom Plessezk im Nordwesten Russlands gestartet. Ihre Atomgefechtsköpfe kann sie bis zu 12 000 Kilometer weit tragen. Diesmal traf man noch ein Ziel auf der Halbinsel Kamtschatka im Fernen Osten des Landes. In der Region Astrachan feuerten Militärs einen bodengestützten Marschflugkörper vom Typ »Iskander« ab. Derartige hochmobile und treffgenaue Waffensysteme sind auch nahe der Grenze zur Ukraine zu beobachten. Das atomgetriebene U-Boot »Karelia« startete in der Arktis eine »Sinewa«-Rakete. Im Ernstfall kann sie bis zu zehn nukleare Mehrfachsprengköpfe 8300 Kilometer ins Ziel tragen. Schiffe und U-Boote der russischen Nord- und Schwarzmeerflotte feuerten offenbar mehrere »Kalibr«-Flugkörper, deren Zielgenauigkeit und Vernichtungskraft aus dem Syrienkrieg bekannt sind. Auch eine Hyperschallrakete vom Typ »Zirkon« erprobt man, während anderenorts russische Bomber ihre Last ausklinkten. Dazu gehörte eine extrem gefährliche Rakete mit dem programmatischen Namen »Dolch«.

Die strategische Übung, so hieß es in Moskau, sei seit langem geplant gewesen. Man kann davon ausgehen, dass die russische Seite gemäß Protokoll des START-3-Vertrages den USA beabsichtigte Raketenstarts gemeldet hatte. Eine direkte Beziehung des Muskelspiels zu der sich verschärfenden Situation an der Grenze zur Ukraine aufzubauen, überließ Moskau den Medien. In den russischen las man, dass Putins Kriegsspiel in Südrussland zu keinem besseren Zeitpunkt hätte stattfinden können. Es sei die letzte Chance, durch Abschreckung die im Westen geplante und dem Kiewer Regime aufgetragene Offensive gegen den Donbass zu stoppen. Desinformation ist der Zündstoff unserer Tage.

Russlands Generalstabschef Walerij Gerassimow aber ist zu glauben, wenn er sagt, dass sein Land über alle Mittel verfüge, »um dem Feind eine garantierte Niederlage zuzufügen«. Gemeint ist: Niemand im Westen sollte glauben, dass man es heute noch mit den Streitkräften zu tun hat, die mit eingezogenem Schwanz aus jenen Ländern abzogen, die heute zur Nato gehören.

Erst im Dezember hatte Gerassimow betont, dass mehr als 95 Prozent der strategischen Nuklearträger kampffähig seien. Und er nannte eine Reihe von weiteren modernen oder modernisierten Atomwaffen, die demnächst in die Streitkräfte eingeführt würden. Nach dem Auslaufen oder der Kündigung der wesentlichen Abrüstungs- und Verifikationsverträge durch die USA haben die russischen Rüstungskonzerne ihre Chance genutzt und den Truppen all das angeboten, was bislang verboten war.

Die strategische Übung Moskaus fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem die Ost-West-Diplomatie offenbar ihr Pulver verschossen hat. Beide Seiten sind politisch ineinander verkeilt. Auch die Münchner Sicherheitskonferenz machte klar: Nur wer seine Macht demonstriert, wird beachtet.

Die direkte Leitung des jüngsten Kriegsspiels durch Putin sollte zeigen: Seht her, der russische Präsident hat den schwarzen Koffer mit dem Knopf zur Weltvernichtung immer in Reichweite. Das Signal in Richtung Washington und Nato lautet: Was immer ich unternehme - haltet euch raus! Ob er nur pokert oder tatsächlich damit begonnen hat, die bestehende Weltordnung in seinem Sinn zu reparieren, weiß vermutlich niemand.

Wissen aber muss man, dass auch die westliche Seite ihre militärische Präsenz überall in Europa massiv ausgebaut hat. Dabei geht es nicht nur um konventionelle Waffensysteme. Mit Sicherheit führen einige der um Europa kreuzenden US-Schiffe »Sonderwaffen« mit sich. Auch fliegen wieder B-52-Atombomber über die Ostsee. Diese Woche wurde berichtet, dass F-35A-Tarnkappenjets auf die Spangdahlem Air Base in Deutschland verlegt wurden. Sie sind für Atomwaffen optimiert. Die lagern in europäischen Arsenalen, auch in Deutschland.

Im Kalten Krieg ließen sich Missverständnisse über »rote Telefone« klären. Nach denen sucht man in den Stäben der militärischen Kontrahenten inzwischen vergeblich.

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