Gegen die Vereinnahmung durch Rechts

Musiker Siegfried Fietz wird von Nazis vereinnahmt – und wehrt sich

  • Lena Fiedler
  • Lesedauer: 2 Min.
Der Musiker Siegfried Fietz möchte sich nicht damit abfinden, dass sein berühmtestes Lied von Nazis und Querdenken gesungen wird.
Der Musiker Siegfried Fietz möchte sich nicht damit abfinden, dass sein berühmtestes Lied von Nazis und Querdenken gesungen wird.

Was ist zu tun, wenn man als Musiker Beifall von Menschen erhält, mit denen man rein gar nichts zu tun haben möchte? »Ich möchte nicht, dass ihr meine Lieder singt«, heißt ein alter Song von Jan Delay. Das war noch lustig gemeint, heute geht es ernster zu. Der Liedermacher Siegfried Fietz wehrt sich dagegen, dass sein bekanntes Lied »Von guten Mächten wunderbar geborgen« auf Corona-Demos gespielt wird – von Leuten, die nicht davor zurückschrecken, sich Judensterne anzuheften, weil sie behaupten, sie würden verfolgt, weil sie eine Maske tragen sollen. Das gefällt dem evangelischen Kirchenmusiker aus Mittelhessen überhaupt nicht.

Sein Lied (über neun Millionen Abrufe auf Youtube) ist die Vertonung eines Gedichts des Theologen Dietrich Bonhoeffer, das der 1944 im KZ schrieb. Er war als Mitglied der Bekennenden Kirche Teil des bürgerlichen Widerstands gegen Hitler, wurde nach dem gescheiterten Attentat im Juli 1944 verhaftet und im April 1945 hingerichtet. In seinem Gedicht heißt es: »Gott ist bei uns am Abend und am Morgen / Und ganz gewiss an jedem neuen Tag. /Lass warm und hell die Kerzen heute flammen / die du in unsre Dunkelheit gebracht.« Es war der letzte Text, den Bonhoeffer schrieb.

Nazis, Querdenker und Impfgegner missbrauchen das Lied für ihre sogenannten Spaziergänge und Videos. Bonhoeffers Nachfahren haben es schwer, dagegen vorzugehen, denn der Text an sich ist frei nutzbar. Wer das Lied aber in Videos benutzt, macht sich angreifbar. Das ist die Möglichkeit für Fietz, aktiv zu werden. Der heute 75-Jährige veröffentliche das Lied 1970. Die Rechte der Melodie liegen bei ihm und seinem Verlag. Gemeinsam mit seinem Sohn sucht er nach seinem Lied im Netz und mahnt jeden ab, den er finden kann – mit Erfolg. Viele der Videos sind wieder verschwunden.

Fietz ist nicht der erste Musiker, der sich gegen die Vereinnahmung durch Rechts wehrt. 2014 erwirkte die Band Wir sind Helden beim Landgericht Erfurt eine einstweilige Verfügung gegen die Nutzung eines ihrer Lieder bei Wahlkampfveranstaltungen der NPD in Thüringen. Seine Fans kann man sich nicht aussuchen – oder eben doch.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!