Kremlchef Putin versetzt Abschreckungswaffen in Alarmbereitschaft

Kurswechsel: Scholz erklärt neue Linie der Bundesregierung / Russische Armee dringt in zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw vor / Ampel-Fraktionen und Union fordern gemeinsam mehr Unterstützung für Ukraine

  • Lesedauer: 6 Min.

Moskau. Der russische Präsident Wladimir Putin hat angewiesen, die Abschreckungswaffen der Atommacht in besondere Alarmbereitschaft versetzen zu lassen. Das ordnete Putin am Sonntag in einem vom Kreml verbreiteten Video an. Er sprach von Abschreckungswaffen und nannte nicht explizit Atomwaffen. »Die Spitzenpersönlichkeiten der führenden Nato-Staaten lassen aggressive Äußerungen gegen unser Land zu, deshalb befehle ich dem Verteidigungsminister und dem Chef des Generalstabs die Streitkräfte der Abschreckung der russischen Armee in ein besonderes Regime der Alarmbereitschaft zu versetzen.«

Kurswechsel: Scholz erklärt neue Linie der Bundesregierung

Russland treibt seinen Feldzug gegen die Ukraine trotz neuer Sanktionen des Westens voran. Heftige Kämpfe wurden am Sonntag aus der Hauptstadt Kiew und der Millionenmetropole Charkiw gemeldet. Hunderttausende Ukrainer waren auf der Flucht.
Sowohl Moskau als auch Kiew zeigten sich offen für Verhandlungen, doch blieb unklar, was daraus wird. In Berlin begann am Sonntagvormittag eine Sondersitzung des Bundestags, in der Kanzler Olaf Scholz eine Regierungserklärung abgeben wollte.

Die Bundesregierung hatte am Samstag wegen des russischen Angriffs in zweifacher Hinsicht eine Kehrtwende vollzogen: Sie will doch Waffen an die Ukraine liefern, nämlich 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ »Stinger« aus Bundeswehrbeständen. Und sie einigte sich mit westlichen Verbündeten nun doch auf einen Ausschluss russischer Banken aus dem internationalen Finanz-Kommunikationssystem Swift.

Beides hatte Scholz zunächst nicht gewollt. Am Samstag sagte er aber: »Der russische Überfall auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende.« Es sei auch für Deutschland Pflicht, die Ukraine nach Kräften zu unterstützen bei der Verteidigung »gegen die Invasionsarmee von Wladimir Putin«. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj begrüßte dies. »Weiter so, Kanzler Olaf Scholz«, twitterte er.

Der Ausschluss russischer Finanzinstitute aus Swift gilt als die bislang weitreichendste Reaktion und könnte dazu führen, dass der Handel zwischen Russland und dem Westen weitgehend eingeschränkt wird. Betroffen werden nach Angaben der Bundesregierung alle
russischen Banken sein, die bereits von der internationalen Gemeinschaft sanktioniert sind.

Hinzu kommen sollen - soweit erforderlich - weitere russische Banken. Damit sollten diese Institute von den internationalen Finanzströmen abgeklemmt werden. Zudem soll es zusätzliche Sanktionen gegen die russische Zentralbank und auch Oligarchen aus dem Umfeld Putins geben. Die Bundesregierung bereitet zudem offenbar eine Sperrung des
deutschen Luftraums für russische Maschinen vor.

Ukrainische Seite lehnt Gespräche in Belarus ab

Eine russische Delegation ist nach Kremlangaben für Verhandlungen mit der Ukraine nach Belarus gereist. »Gemäß der getroffenen Vereinbarung« seien Vertreter etwa vom Außenministerium, Verteidigungsministerium und von der Präsidialverwaltung in der Stadt Gomel eingetroffen, sagte der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitri Peskow, am Sonntag der Agentur Tass zufolge. »Wir sind bereit, diese Verhandlungen in Gomel zu beginnen«, sagte Peskow. Die ukrainische Seite lehnte Gespräche in Belarus ab.

Russland habe als Bedingung gefordert, dass die Ukraine ihre Waffen niederlege, schrieb der Sprecher des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf Facebook. Er warf der russischen Seite vor, daraufhin demonstrativ nach Gomel gefahren zu sein. Die Ukraine solle für das Scheitern von Verhandlungen verantwortlich gemacht werden.

Selenskyj zeigte sich aufgeschlossen für Verhandlungen. Allerdings lehnte er Gespräche in Belarus ab. Das Land beteilige sich an Kampfhandlungen gegen die Ukraine, sagte Selenskyj zur Begründung. Er sei offen für alle Orte, »von denen aus keine Raketen auf die Ukraine geschossen werden«. Er habe Warschau, Budapest, Istanbul und Baku als Verhandlungsstädte vorgeschlagen. Ein Berater Selenskyjs hatte die russischen Angaben als Taktik zurückgewiesen.

Der Kreml teilte weiter mit, eine Delegation sei bereits am Freitag zu Verhandlungen in die belarussische Hauptstadt Minsk gereist. Die ukrainische Seite habe sich aber nach einer Pause nicht mehr gemeldet. Daraufhin seien die Angriffe in der Ukraine wieder aufgenommen worden.

Russische Armee dringt in zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw vor

Die russische Armee ist nach ukrainischen Angaben bis ins Zentrum der zweitgrößten Stadt Charkiw vorgedrungen. Die Kämpfe dauerten an, erklärte der Gouverneur der gleichnamigen Region im Nordosten der Ukraine, Oleg Sinegubow, am Sonntag auf Facebook. Er rief die rund 1,4 Millionen Einwohner auf, ihre Häuser nicht zu verlassen. Im Süden der Ukraine kesselte die russische Armee nach eigenen Angaben zwei große Städte ein.

Die Kämpfe in Charkiw begannen am Sonntagmorgen und betrafen mehrere Orte im Stadtgebiet. Ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete von heftigen Straßenkämpfen. Seit dem Vormittag seien Maschinengewehrfeuer und Explosionen zu hören. Er habe zudem mehrere verlassene russische Panzerfahrzeuge und ein ausgebranntes Wrack gesehen, berichtete der Reporter. Die Straßen waren menschenleer.

Im Süden der Ukraine rückte die russische Armee nach eigenen Angaben auf die Großstädte Cherson und Berdjansk vor. »In den vergangenen 24 Stunden haben die russischen Streitkräfte die Städte Cherson und Berdjansk vollständig eingeschlossen«, erklärte der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau, Igor Konaschenkow. Cherson hat 290.000, Berdjansk 110.000 Einwohner.

Nach Angaben des Sprechers haben russische Soldaten auch die Kontrolle über Henitschesk, eine Hafenstadt am Asowschen Meer, und einen Flugplatz in der Nähe von Cherson übernommen.

Die Hauptstadt Kiew war nach Angaben der Stadtverwaltung am Sonntagmorgen weiterhin unter der Kontrolle der ukrainischen Streitkräfte. Es gab demnach aber Kämpfe mit »Saboteuren«.

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Ampel-Fraktionen und Union fordern gemeinsam mehr Unterstützung für Ukraine

In einem gemeinsamen Entschließungsantrag für den Bundestag fordern die Koalitionsfraktionen und die Union weitere Unterstützung für die Ukraine - finanziell und humanitär, aber auch militärisch. Die Bundesregierung solle »prüfen, ob weitere militärische Ausrüstungsgüter der Ukraine zur Verfügung gestellt werden können«, heißt es in dem Antrag, der am Sonntag in der Sondersitzung des Bundestags beschlossen werden soll.

In dem Papier nehmen die Fraktionen auch eine Erhöhung des Wehretats ins Visier: Sie fordern die Bundesregierung auf, »die Modernisierung der Bundeswehr mit dem Ziel voll ausgestatteter und voll einsatzbereiter Streitkräfte weiter voranzutreiben«, heißt es in dem Antrag. Dabei gehe es darum, »bestehende Fähigkeitslücken umgehend zu schließen und die notwendigen finanziellen Ressourcen dafür zeitnah und langfristig bereitzustellen«.

In dem Antrag fordern die Fraktionen die Regierung zudem auf, »die Aufnahme Flüchtender und Schutzsuchender aus der Ukraine in Deutschland zu ermöglichen« und die europäischen Nachbarländer »bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtenden und Schutzsuchenden zu unterstützen«.

Der militärische Überfall Russlands auf die Ukraine wird in dem Antrag in schärfstem Ton verurteilt. »Mit diesem mutwilligen, grundlosen und unentschuldbaren Angriff versucht die russische Führung, die europäische Friedensordnung zu zerstören«, heißt es in der Vorlage. »Es handelt sich dabei um nichts weniger als eine historische Zäsur. Die internationale Gemeinschaft wird entschlossen zusammenstehen. Die russische Führung wird einen hohen Preis dafür zahlen müssen.« Agenturen/nd

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