Zwischen harter und weicher Balance

Chinas außenpolitische Doktrin im Bezug auf den Ukraine-Konflikt

  • Ramon Schack
  • Lesedauer: 5 Min.

Kurz vor seinem Besuch in der chinesischen Hauptstadt, anlässlich der Eröffnung der Olympischen Winterspiele vor wenigen Wochen, schrieb Russlands Präsident Wladimir Putin in einem Gastbeitrag für die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua einen Artikel, in dem er den engen Schulterschluss zwischen Moskau und Peking als »eine zukunftsorientierte strategische Partnerschaft« rühmte, die nun begonnen habe.

Das folgende direkte Zusammentreffen des chinesischen Staatschefs Staatschef Xi Jinping und Putin in Peking wurde von der Unterzeichnung von Verträgen über umfangreiche wirtschaftliche Kooperationen begleitet, welche Russlands Position angesichts der westliche Sanktionen stärken sollen. Moskau wollte damit offensichtlich demonstrieren, in China alternative Abnehmer gefunden zu haben, die für Öl und Gas aus Russland lukrative Preise zu zahlen bereit sind. Putin drückt es in seinem Xinhua-Text so aus: »Zwischen unseren Ländern entsteht eine für beide Seiten vorteilhafte Energiepartnerschaft.«

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Auch für die chinesische Regierung ist es kein Novum, die westliche Vormachtstellung durch ökonomische Vernetzungen mit anderen Staaten, einschließlich Russland, zu unterminieren und ihrer Schlagkraft zu berauben. Ähnliches wurde schon mit dem Ausbau der chinesisch-iranischen Beziehungen demonstriert.

Grundsätze chinesischer Außenpolitik

Die chinesische Außenpolitik orientiert sich bereits seit einigen Jahrzehnten an den Begriffen »weiche Balance« (ruan zhiheng) und »harte Balance« (ying zhiheng). Diese dominierten bis in die 1980er Jahre hinein die maoistischen Doktrinen, welche sich an Strategien der bewaffneten Auseinandersetzung orientierten, flankiert von einer asymmetrischen Kriegsführung in der verteidigungspolitischen Doktrin. Mao Tse Tung hatte diese Doktrin in seinen Reden und Schriften mit solchen Aussagen wie »Völker der ganzen Welt, vereinigt euch, besiegt die US-Aggressoren und alle ihre Lakaien« zusammengefasst. Der phänomenale ökonomische Aufstieg der Volksrepublik hat jedoch eine grundsätzliche außenpolitische Neuorientierung hervorgerufen. Chinesische Theoretiker orientierten sich verstärkt an den Arbeiten vornehmlich US-amerikanischer Politikwissenschaftler zur Außenpolitik.

»Harte« und »weiche« Balance

Vor dem Einmarsch der russischen Truppen in der Ukraine vergangene Woche ließ der chinesische Außenminister Wang Yi auf der Münchner Sicherheitskonferenz erklären, die Ukraine sollte keine Frontlinie zwischen Großmächten sein, sondern vielmehr »eine Brücke der Kommunikation zwischen Ost und West«. Gleichwohl stellte der Außenminister fest, dass die Ostausdehnung der Nato das Hauptproblem in dem Konflikt darstellen würde. Diese Äußerungen gingen schon weiter, als offizielle Stellen in Peking bis dahin verlautbaren ließen.

Im Jahr 2014, zum Höhepunkt der Krim-Krise, analysierte der Theoretiker Liu Feng die Rolle der »soft power« und »hard power« in der Gleichgewichtspolitik. Liu Feng stellte fest, dass die Konzepte der »weichen« und »harten Balance« ebenso wie institutionelles Gleichgewicht (zhidu zhiheng) die ursprüngliche Bedeutung der Gleichgewichtspolitik erweitert haben. Weiches »Balancing«, so stellte Liu fest, gleiche die Macht der Hegemonie nicht durch Stärkung der eigenen Machtposition aus und verändere dementsprechend weder das Verhalten eines Hegemonen noch die existierende Machtstruktur. Liu bezog sich dabei natürlich auf die von den USA wahrgenommene Herausforderung der eigenen weltpolitischen Hegemonie, eben durch den explosiven Aufstieg der Volksrepublik.

Zunehmend stellte sich für die Volksrepublik also die Frage, ob die Politik der »weichen Balance«, mit der Peking gegenüber Washington begonnen hatte - wie zum Beispiel 2015, als China mit Russland im UN-Sicherheitsrat gegen die USA in der Syrienfrage gestimmt hatte - noch als taugliches Instrumentarium erscheint, um den neuen geopolitischen Realitäten gerecht zu werden. Bisher wurde die Hinwendung zu einer »harten Balance« in der chinesischen Außenpolitik nicht offen propagiert, was aber durch die Vertiefung der russisch-chinesischen Beziehungen sowie das Verhältnis Pekings zu Washington zunehmend der Fall ist. Dieses lässt sich auch an der aktuellen Krise um die Ukraine erkennen.

China und die Ukraine-Krise

In der Parteizeitung »Global Times« erschien während des Besuchs von Putin in Peking ein Artikel, wonach die Volksrepublik sich angesichts der Krise um die Ukraine demonstrativ auf die Seite Russlands stellte. »Wenn es darum geht, einem Vorgehen der USA Widerstand zu leisten, steht Russland nicht allein da«, war da zu lesen. »Denn wir wissen genau, dass eine Zerschlagung Russlands durch die USA China nichts Gutes bringen wird.«

Nicht zuletzt geht es Peking um die Stabilität der »Belt-and-Road«-Länder und -Regionen, in dem die Ukraine eine wichtige Rolle spielt. Nicht ausgeschlossen ist dabei, dass Peking sich auch mit einer russisch dominierten Ukraine mittelfristig arrangiert, solange eine gewisse Stabilität gewährleistet ist. Aktuell lässt Peking verlautbaren, dass Russland gezwungen sei, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um seine Rechte und Interessen zu schützen. Das äußerte der chinesische Außenminister Wang Yi nach einem Telefonat mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow.

Vor dem Angriff auf die Ukraine hatte der ukrainische Präsident sich an die Volksrepublik gewandt. Selenskyi, der sagte, dass Kiew sich selbst überlassen sei, da die Nato »Angst« habe, dem Land irgendwelche Garantien zu geben, ließ über den ukrainischen Botschafter in Japan die Bitte an Peking überbringen, seinen Einfluss auf Russland geltend zu machen, um den Angriff zu verhindern. »Wir würden es sehr begrüßen, wenn China seine Verbindungen zu Russland nutzt und mit Putin spricht und ihm sagt, dass es unangemessen ist, im 21. Jahrhundert in Europa ein solches Massaker anzurichten«, lautete die an Peking übermittelte Bitte.

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