- Politik
- Proteste in Indien
»Die Bauernverbände bleiben wachsam«
Achin Vanaik über die Wahlen in den Hochburgen der Bauernproteste in Indien
Ist die Bauern-Bewegung noch am Leben? Und wenn ja, inwieweit kann sie einen Einfluss auf die Wahlergebnisse in Uttar Pradesh (UP) und im Punjab ausüben?
Nach der offiziellen Aufhebung der Gesetze sind alle Augen auf die Parlamentswahlen gerichtet, insbesondere in Uttar Pradesh (UP) und Punjab. Die Bauernverbände bleiben wachsam, denn auf ihre weitergehenden Forderungen ist die Regierung nicht eingegangen. Darüber hinaus hat die Freilassung auf Kaution des Sohnes eines BJP-Kabinettsministers für viel Ärger gesorgt. Er hatte im Oktober vorsätzlich mit einem Geländewagen mehrere Personen einer Protestveranstaltung überfahren. Dabei waren vier Bauern und ein Journalist ums Leben gekommen. Viele sind jetzt in großer Sorge darüber, wie wohl das endgültige Gerichtsurteil ausfallen wird. In Punjab wird die BJP bei den Wahlen mit Sicherheit schlecht abschneiden. In Western UP, wo die Agitation der Bauern am stärksten war und mehr als ein Viertel der Delegierten gewählt werden, wird die BJP voraussichtlich viel schlechter abschneiden als bei den Wahlen 2017, als sie dort sechzig Prozent der Stimmen erhielt. Die große Frage ist, ob sie in dem mit 200 Millionen Einwohnern größten Bundesstaat Indiens ihre Mehrheit erheblich einschränken oder sogar verlieren werden.Ist die ehemalige Basis der BJP durch die Bauernbewegung geschwächt worden?
Die BJP war in Punjab nie besonders stark. UP ist eine andere Sache. Der Kampf der Landwirte ist zwar Ausdruck einer allgemeinen Unzufriedenheit mit den wirtschaftlichen Verhältnissen. Aber es ist nicht so, dass die Oppositionsparteien eine wirtschaftliche Alternative dazu präsentieren würden. Sie stellen sich auch nicht ernsthaft gegen die »Hindutva«-Ideologie,Achin Vanaik ist emeritierter Professor für internationale Beziehungen und ehemaliger Leiter der Abteilung für Politikwissenschaft an der Universität Delhi. Er ist u.a. Autor des 2017 im britischen Verso-Verlag erschienenen Buches über den Aufstieg des hinduistischen Autoritarismus »The Rise of Hindu Authoritarianism: Secular Claims, Communal Realities«. Mit ihm sprach Dominik Müller.
Hat die Bauernbewegung die Einheit zwischen den Ausgebeuteten und Unterdrückten gefördert, gibt es eine Annäherung zwischen Bauern, Arbeiter*innen, Muslimen und Dalits (früher: »Unberührbare«)?
Pauschal ist das schwer zu beantworten, denn Indien ist eine Region, die flächenmäßig so groß wie Europa ist und eine viel größere soziale und kulturelle Vielfalt aufweist. Obwohl es im Zuge des Bauernaufstands zu Solidaritätsaktionen aus verschiedenen Teilen Indiens und sogar zu symbolischen eintägigen Streiks von Teilen der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmerschaft kam, muss man vorsichtig sein, wenn man längerfristige Schlussfolgerungen daraus ziehen will. Denn formelle Beschäftigungsverhältnisse machen nur sieben Prozent des Arbeitssektors aus, und davon sind nur drei Prozent gewerkschaftlich organisiert. Ja, in den Bundesstaaten Punjab, Haryana und Western UP gab es viel Unterstützung für die Bauernbewegung durch die breite Öffentlichkeit und eine Annäherung zwischen Hindus und Muslimen. In anderen Teilen Indiens ist davon nicht so viel zu sehen.Welchen Einfluss haben die jüngsten Entwicklungen auf die Politik der Regierungspartei BJP?
Der Aufstand der Landwirte ist für sie ein Rückschlag. Er hat ihre Bemühungen, den Agrarsektor weiter der Kontrolle großer Konzerne zu unterwerfen, ins Stocken gebracht, aber noch nicht beendet. Die BJP-Politiker wollen bei den Wahlen zum Unterhaus 2024 wieder an die Macht kommen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden sie weiter zwischen den Religionsgemeinschaften polarisieren und einen kriegerischen Nationalismus propagieren, der sich gegen Pakistan und China richtet.Einige Intellektuelle in Indien warnen davor, dass ihr Land auf dem Weg zu einem Völkermord sei. Würden Sie sich dieser Einschätzung anschließen?
Wahrscheinlicher ist die Fortsetzung kalkulierter, routinemäßiger Angriffe kleineren Ausmaßes durch nicht-staatliche Akteure auf Muslime, die von der Polizei und den lokalen und provinziellen Behörden in den von der BJP regierten Staaten ignoriert oder unterstützt werden. Die Modi-Regierung möchte allein schon wegen ihrer internationalen Glaubwürdigkeit offene Pogrome vermeiden. Wenn jedoch einige muslimische Gruppen versuchen, in ähnlicher Weise auf diese Hindutva-inspirierte Selbstjustiz zu reagieren, kann die Situation dramatisch und beängstigend eskalieren.Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.