Für hohe Löhne, gegen Preistreiber

An mehreren Stellen in seiner »State of the Union« gab sich US-Präsident Joe Biden recht linkspopulistisch

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Einigkeit zur Unterstützung der Ukraine, der vorsichtige Abschied von der Corona-Pandemie, Appelle an die Demokraten, sein im Kongress aufgelaufenes Programm doch noch zu verabschieden, sowie der Vorschlag überparteilicher Initiativen - das waren die Punkte, die Joe Bidens Rede zur Lage der Nation dominierten. Die befände sich »in guter Verfassung«, erklärte Joe Biden und ratterte dann die positiven Wirtschaftsdaten des Landes und des schnellen Post-Corona-Aufschwungs herunter: 6,5 Millionen neue Jobs seien allein 2021 geschaffen worden, so viele wie noch nie zuvor, vergangenes Jahr habe das Wirtschaftswachstum 5,7 Prozent betragen und sei damit so stark wie seit 40 Jahren nicht mehr.

40 Jahre, die Zahl bemühte Biden kurz danach erneut: In den vergangenen vier Jahrzehnten habe die »Trickle down«-Ökonomie zu geringem Wachstum und mehr sozialer Ungleichheit geführt. Damit setzt Biden seine politischen Angriffe auf die neoliberale Angebotsökonomie aus dem vergangenen Jahr fort. Der US-Präsident hat laut den Datenjournalisten von FiveThirtyEight aktuell nur eine Zustimmungsrate von 41 Prozent, weil seine Beliebtheit unter der relativ hohen Inflation im Land, aber auch der Inflationsberichterstattung der US-Medien leidet.

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Trotzdem blieb er in der alljährlichen Ansprache an die Nation seiner bisherigen Linie treu und fördert nach Kräften eine Ökonomie, welche die »produktive Kapazität« des Landes erhöhen soll. Dazu griff Biden auf die schon in Vor-Trump-Zeiten genutzte Parole und Programmatik von »Buy American« zurück.

Die US-amerikanische Industrie soll unter anderem durch ein Gesetz zum Wettbewerb mit China gefördert werden. Das Onshoring, also die Rückführung von Jobs in die USA, soll in Verbindung mit verstärkter Forschung angekurbelt werden - etwa bei der Fertigung von Mikrochips. Eine geplante Fabrik in Ohio etwa warte nur auf Fördermittel, so Biden in seinem Appell an die Parlamentarier, das in verschiedenen Versionen bereits in beiden Kammern des Kongresses verabschiedete Gesetzespaket bald auch endgültig auf den Weg zu bringen.

Zur Lösung des Inflationsproblems kamen gewissermaßen linkspopulistische Töne von Biden: »Eine Art, Inflation zu bekämpfen ist es, Löhne zu senken und die Amerikaner ärmer zu machen. Ich habe eine bessere Idee: Kosten senken statt Löhne.« Mit »Kosten« sind die für Medikamente, Klimaschutzinvestitionen und die hohen Beiträge für die Kinderbetreuung gemeint. Die Rede war so auch ein Appell an die Demokraten-Senatoren Kyrsten Sinema und Joe Manchin, doch noch zumindest die Kernpunkte von Bidens »Build-Back-Better«-Agenda durchs Parlament zu lassen, was die beiden vom konservativen Flügel derzeit blockieren. In einer Gegenrede zur Biden-Ansprache für die progressive »Working Families«-Partei betonte die linke Demokratin Rashida Tlaib, »niemand hat härter für Bidens Agenda gekämpft als Progressive«.

Linkspopulistisch war auch Bidens Ankündigung einer Untersuchung gegen Schifffahrtsunternehmen wegen Pandemie-»Preistreiberei«. Dies stärker als Grund für die Inflation im Land anzuprangern ist schon länger eine Forderung linker Ökonomen. In dieselbe Kerbe schlug - neben erwartbarer Freiheitsrhetorik - Bidens Ankündigung, in Sachen Ukraine-Krieg eine Taskforce des Justizministeriums zur Beschlagnahme der Vermögenswerte russischer Oligarchen aufzustellen: »Yachten, Jets, Luxusapartments - wir werden Jagd machen auf eure unrechtmäßig erworbenen Besitztümer«.

In Sachen Corona-Politik gab Biden die folgende vorsichtige Linie aus: »Sicher voranschreiten zu einem normaleren Leben«. Das war keine Hurra-Freiheit-Rhetorik und ein weniger eindeutiger Kurswechsel als es sich manche Demokraten-Strategen angesichts von Covid-Maßnahmen-Müdigkeit in der Bevölkerung zuvor lautstark gewünscht hatten. Doch Biden erklärte vor einem maskenfreien Saal ebenfalls, schon in den »nächsten Wochen« könne man auch an den Orten auf das Maskentragen verzichten, wo dies aktuell noch nötig sei.

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