- Politik
- Ukraine-Krieg
Kadyrow hetzt seine Bluthunde auf die Ukraine
Berüchtigte Truppen des tschetschenischen Oberhauptes kämpfen für Moskau. Sie treffen auf Widerstand - aus Tschetschenien
Die Kamera blickt durch ein Flugzeugfenster, draußen erhellt ein Scheinwerfer spärlich die tiefschwarze Nacht, allmählich wird die Turbine leiser: Das an Bord eines gerade gelandeten Fliegers gedrehte Video, welches einen Tag vor Moskaus Überfall auf die Ukraine durch Tschetscheniens soziale Medien geisterte, zeigt eigentlich nichts Ungewöhnliches. Dann sagt eine Stimme: »So Allah will, sind wir in ein paar Minuten vor Ort!« Es ist die Stimme von Ramsan Kadyrow, dem wegen seiner Grausamkeit berüchtigten Oberhaupt der Republik im Nordkaukasus. Tschetschenische Medien rätselten: War Kadyrow gerade mit Truppen in der Ukraine eingetroffen?
Die Annahme lag nahe: Mehrmals hatte der Tschetschene in den vergangenen Monaten ein hartes Durchgreifen gegen Kiew gefordert. Mit entsprechendem Auftrag hätte er die Ukraine längst Tschetschenien angeschlossen - oder das Land zumindest eingenommen, prahlte Kadyrow bereits im Dezember des vergangenen Jahres während einer Pressekonferenz. »Ich hätte die ukrainische Frage längst gelöst«, zitiert ihn die Nachrichtenagentur Ria Novosti.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Einen Tag nach Kriegsbeginn ließ Kadyrow 12 000 schwarz gekleidete Kämpfer der tschetschenischen Nationalgarde zu einem martialischen Appell in Tschetscheniens Hauptstadt Grosny antreten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj müsse Wladimir Putin anrufen und diesen um Verzeihung bitten, forderte Kadyrow. Geschehe dies nicht, könne er mehr als 70 000 Kämpfer in die »heißesten Brennpunkte« der Ukraine schicken. Die Kämpfer bekräftigten ihre Zustimmung mit dröhnenden »Allahu Akbar«-Rufen. Am Abend zuvor hatte sich Kadyrow in Moskau bereits mit dem Leiter der russischen Nationalgarde getroffen. Das Flugzeug-Video stammt wahrscheinlich von dieser Reise.
Einen Tag nach dem Furcht einflößenden Aufmarsch in Grosny bestätigte Ramsan Kadyrow mit einem Video die Anwesenheit tschetschenischer Kämpfer in der Ukraine. In dem Clip aus seinem Telegram-Kanal hissen die Soldaten vor einem Stützpunkt der ukrainischen Nationalgarde eine tschetschenische Flagge. Dem Medienportal Kawkaski Usel zufolge handelt es sich um eine Basis in Hostomel, 30 Kilometer nordwestlich von Kiew. Um den Flughafen der Stadt toben derzeit erbitterte Kämpfe, im Nachbarort Butscha zerstörten ukrainische Streitkräfte Mitte der Woche mehrere russische Panzer.
Für Kiew ist das Auftauchen der bärtigen Männer aus dem Kaukasus ein bedrohliches Zeichen: Kadyrows Kämpfern eilt ein furchterregender Ruf voraus. Sie gelten als harte und brutale Kämpfer, viele haben bereits als Halbwüchsige in den Tschetschenienkriegen das Töten gelernt.
Ihren Einsatz in der Ukraine begründet das tschetschenische Oberhaupt offiziell so: Die Kämpfer sollten Putins Befehle ausführen und das ukrainische Volk verteidigen, so Kadyrow. »Wir wollen nicht, dass Russland durch die Ukraine angegriffen wird«. Später legte er noch ein finsteren Grund nach. Die Tschetschenen hätten auch die Aufgabe, »persönliche religiöse Rechnungen« zu begleichen, zitiert ihn Kawkaski Usel.
Bereits in der Frühphase des Ukrainekrieges 2014-2015 griffen Tschetschenen ins Kampfgeschehen ein - auf beiden Seiten der Front. Die Kämpfe waren eine erbitterte Fortsetzung der Tschetschenienkriege auf ukrainischem Boden. Auf Seite der moskautreuen Separatisten im Donbass stand dabei Kadyrows Bataillon Smert (Tod). Die etwa 300 Mann starke Einheit kämpfte beispielsweise in der Schlacht um Ilowajsk 2014 und nahm an der Besetzung des Donezker Flughafens 2014 bis 2015 teil. Offiziell war der Einsatz allerdings nie: Kadyrow stritt die Entsendung tschetschenischer Kämpfer in die Ukraine stets ab - erhielt allerdings einen russischen Orden für seine Verdienste bei der »Angliederung der Krim«.
Gegen Kadyrows Soldaten traten auf ukrainischer Seite die nach Ikonen des tschetschenischen Unabhängigkeitskampfes benannten Freiwilligenbataillone Dschochar Dudajew und Scheich Mansur an. In den Einheiten kämpften tschetschenische Exilanten aus Westeuropa und der Ukraine, welche zuvor gegen die Russen und das moskautreue Kadyrow-Regime Widerstand geleistet hatten. Beide Gruppen schworen ihren verhassten Todfeinden Blutrache.
Auch an den aktuellen Kämpfen beteiligen sich auf ukrainischer Seite Exiltschetschenen. Zwischen 200 und 300 Mann sollen die ukrainische Hauptstadt Kiew verteidigen, erklärte ein Diasporasprecher.
Konkrete Informationen über Kadyrows Kämpfer und ihre Rolle in den Kampfhandlungen fließen spärlich: Als belegt gelten Sichtungen des Bataillons Jug (Süden), der Sondereinheit Achmat-Grosny (Grausamer Achmat) und von Teilen des Bataillons Sewer (Norden). Zusammengerechnet sind das etwa 1200 Mann. Am ersten März räumte Kadyrow erste Verluste ein. Zwei Soldaten seien getötet und sechs verletzt worden, schrieb er auf Telegram.
Ukrainische Berichte über die Vernichtung einer Gruppe tschetschenischer Kämpfer sowie die Tötung der Kommandanten von Sewer und Achmat-Grosny wies Kadyrow dagegen zurück. Er haben mit ihnen telefoniert. Sie seien voller Kampfgeist und hätten keinen einzigen Kratzer davongetragen. »Sie sind Lebendiger als alle Lebendigen!«
Russlands bisheriges Vorgehen in der Ukraine findet Kadyrow »uneffektiv« und »zu langsam«. Die Armee solle zu einer groß angelegten Offensive im gesamten Land übergehen und die Großstädte stürmen, forderte er am vierten Tag der Invasion. »Im Krieg tötet und zerstört man«, so Kadyrow in seinem Telegram-Kanal. Sei die ukrainische Regierung zu keinem Dialog bereit, müsse man das Begonnene zu Ende führen. Er warte auf einen entsprechenden Befehl Putins.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.