Milliarden unbezahlte Stunden

Frauen bekommen nicht nur im Job weniger Lohn. Sie leisten nach wie vor auch das Gros der unentgeltlichen Sorgearbeit

Gender-Pay-Gap und Verteilung der unbezahlten Arbeit hängen eng miteinander zusammen. Denn hierzulande wie international werden drei Viertel der mit Haushalt, Kinderbetreuung und Pflege Angehöriger zusammenhängenden Arbeit von Frauen verrichtet. Diese Tätigkeiten sind zwingende Voraussetzung für das Funktionieren von Gesellschaften, erfahren aber kaum Wertschätzung.

Nach Berechnungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO können 42 Prozent aller Frauen, aber nur 6 Prozent der Männer im erwerbsfähigen Alter wegen Fürsorge- und Pflegeaufgaben keiner Erwerbsarbeit nachgehen. Eine Folge: Fast zwei Drittel aller Menschen weltweit, die im Alter keinerlei eigene Bezüge haben, sind einer 2020 veröffentlichten Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam zufolge Frauen.

Insbesondere in Ländern des Globalen Südens kommt hinzu, dass Frauen viel Zeit für die Beschaffung von Feuerholz und Wasser aufwenden müssen. Zudem verrichten sie den größten Teil der Arbeit in der Landwirtschaft. Zugleich haben sie aufgrund patriarchaler Strukturen vielfach keinen oder nur geringen Zugriff auf Einkünfte, die Familien mit ihrer Arbeit erzielen.

Oxfam hat den Wert der von Frauen weltweit geleisteten unentgeltlichen Arbeit in der erwähnten Untersuchung auf jährlich 10,8 Billionen US-Dollar beziffert – bei Zugrundelegung des im jeweiligen Land geltenden Mindestlohns. Die Summe entspricht laut Oxfam dem Dreifachen des weltweiten Umsatzes im IT-Sektor. Die Zahl der unentgeltlichen Arbeitsstunden von Frauen schätzt Oxfam auf 12,5 Milliarden – täglich.

Nach ILO-Angaben arbeiten Männer im globalen Durchschnitt täglich knapp sechs Stunden und 44 Minuten pro Tag und werden für 80 Prozent dieser Zeit entlohnt. Frauen arbeiten demnach im Schnitt siebeneinhalb Stunden täglich, der Anteil der entlohnten Tätigkeiten liegt aber bei nur 41 Prozent.

Mutterschaft ist mit das höchste Armutsrisiko für Frauen. Frauen mit Kindern verdienen im Schnitt 42 Prozent weniger als Frauen ohne Nachwuchs. Hinzu kommt, dass Mütter in gut oder hoch bezahlten Jobs es sich leisten können, weiter berufstätig zu sein. Die Betreuung ihrer Kinder übernehmen meist nicht die Väter, sondern andere Frauen. Die wiederum sind häufig Migrantinnen, die in vielen Fällen ihre eigenen Kinder in den Herkunftsländern zurücklassen müssen, um ausreichend Geld für deren Versorgung verdienen zu können.

Dass es auch in Deutschland noch erhebliche Defizite gibt, was die Grundlagen für eine gleichberechtigte ökonomische Teilhabe von Frauen betrifft, wird im vergangene Woche zum Equal Pay Day veröffentlichten Report des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zur Gleichstellung von Frauen und Männern konstatiert. Zwar haben sich Qualität und Quantität der Kinderbetreuungsangebote erheblich verbessert, die Erwerbsbeteiligung der Frauen ist kontinuierlich gestiegen. Doch nach wie vor steigt die Teilzeitquote bei Frauen enorm, sobald Kinder geboren werden. Laut WSI-Report arbeiten bei 55 Prozent der kinderlosen Paare beide Partner in Vollzeit, und bei 38 Prozent die Frauen in Teilzeit.

Bei Paaren mit minderjährigen Kindern sind hingegen nur in einem Viertel der Fälle beide Eltern voll berufstätig, während in fast 68 Prozent der Fälle die Frau in Teilzeit arbeitet. Nur bei etwa zwei Prozent der Familien mit Kindern reduziert der Vater seine Erwerbsarbeit, bei weiteren vier Prozent arbeiten beide Eltern in Teilzeit. Die Entscheidung dafür, wer in Teilzeit arbeitet, ist meist eine ökonomische: Derjenige, der im Job weniger verdient, reduziert oder bleibt ganz zu Hause. Das ist meist die Frau.

Der Anteil von Frauen in Teilzeitjobs dürfte indes dazu führen, dass sich das Problem weiblicher Altersarmut weiter verschärft. Aktuell beziehen Frauen laut WSI-Report im Schnitt ein um 49 Prozent niedrigeres Alterseinkommen als Männer. Neben der gesetzlichen Rente sind bei dieser Rechnung auch betriebliche und private Alterssicherung berücksichtigt.

Die Corona-Pandemie droht derweil bereits erreichte Fortschritte bei der gerechten Verteilung von häuslicher und Erwerbsarbeit wieder zunichtezumachen, fürchtet Yvonne Lott, Mitautorin des Reports.

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