Neue Epoche mit Einheitsmeinung in den russischen Medien

Im Ukraine-Krieg unterliegen Zeitungen, Radio und TV strikten Sprachregelungen und harten Strafandrohungen. Mehrere kritische Anbieter haben den Betrieb eingestellt

  • Roland Bathon
  • Lesedauer: 4 Min.

Einschränkungen der Pressefreiheit sind in Russland nicht neu und haben in den letzten Jahren zugenommen. Der kritische TV-Sender Doschd oder die Onlinezeitung Meduza wurden etwa von den Behörden als ausländische Agenten wegen teilweise nichtrussischer Finanzierung gebrandmarkt. Sie mussten beispielsweise Beiträge mit einem Hinweis des Stils »hier spricht ein Agent« kennzeichnen. Auch die Übernahme unliebsamer Medien durch regierungsnahe Eigentümer mit Austausch der Redaktion gehört seit Jahren zum Repertoire der Mächtigen.

Dennoch gab es bis Februar 2022 ein kritisches Presseangebot, das zumindest online über einen nennenswerten Marktanteil verfügte. Es stellte sich den mächtigen Staatsmedien entgegen, die den TV- und Radio-Markt dominieren. Es wäre aber falsch, dieses Pressesegment als »prowestlich« zu qualifizieren, denn kritische Berichte gab es dort nicht über die eigene Regierung.

Mit dem Krieg kam es zu einem harten Kurswechsel der russischen Politik gegenüber Medien. Bei Missachtung offizieller Sprachregelungen wurde erst mit hohen Geldstrafen gedroht, zum Beispiel bei Verwendung von Vokabeln wie »Krieg« für den russischen Angriff auf die Ukraine statt des offiziellen Begriffs »Militäreinsatz«. Auch durfte nur noch das russische Verteidigungsministerium als »zuverlässige Quelle« für das Geschehen betrachtet werden.

Friedhofsruhe in der Presselandschaft

Anbieter, die weiter kritisch über den Feldzug im Nachbarland berichteten, werden online geblockt oder abgeschaltet. Binnen Wochenfrist sprachen die Behörden 17 Netzsperren aus, fünf Medien stellten den Betrieb ein. So verwandelte sich der liberale Teil der russischen Presse in wenigen Tagen in einen Friedhof: Unter anderem wurde die unter jungen, politisch interessierten Russen führende Onlinezeitung »Meduza« von der Aufsichtsbehörde Roskomnadzor blockiert; ein Verbot war nicht möglich, da sie ihren Sitz vorsorglich in Lettland hat. Der einzige liberale TV-Sender Doschd wurde auf Aufforderung der Generalstaatsanwaltschaft gesperrt und stellte zwei Tage darauf seine Arbeit ein; mehrere Redakteure hatten zuvor Russland fluchtartig verlassen. Die traditionsreiche und kritische Radiostation Echo Moskwy, die bereits seit 1990 existiert, wurde von den Behörden aus dem Äther verbannt und dann vom Vorstand aufgelöst; dieser bestand in seiner Mehrheit aus Vertretern des Staatskonzerns Gazprom. Die politische Onlinezeitung »znak.com« aus Jekaterinburg mit ebenfalls jungem Publikum stellte wegen zahlreicher Einschränkungen ihrer Berichterstattung den Betrieb ein.

Die vier verbliebenen oppositionellen Zeitungen wie die »Nowaja Gaseta« entschieden daraufhin, das Thema Ukraine-Krieg aus ihrer Berichterstattung auszublenden und sich damit nachrichtentechnisch selbst ins Aus zu schießen. Gleichzeitig mit den Sanktionen wurden die russischsprachigen Angebote mehrerer westlicher Sender, wie der BBC oder der Deutschen Welle gesperrt oder aufgegeben. Unzufriedene Russen sehen diese jedoch auch nicht als »unabhängige« Medien, sondern eher als Sprachrohr der jeweiligen Regierung.

Haftstrafen von bis zu 15 Jahren

Die Anbieter, die »nur« gesperrt wurden, jedoch noch aus dem Ausland senden, können technisch versiertere Russen noch über sogenannte VPN-Umgehungen konsumieren. Hier gaukelt das System der Webseite einen ausländischen Standort vor, so dass in Russland gesperrte Inhalte noch zu empfangen sind. Die Nutzung solcher VPN-Dienste wurde vom Kreml bereits 2017 gesetzlich verboten. Wer in Russland keine Gesetze brechen will oder für die Nutzung solcher Dienste nicht die nötigen Kenntnisse besitzt, dem bleibt neben dem Einheitsbrei der Staatsmedien und ihrer Mitläufer nun nur noch eine Handvoll Zeitungen, die momentan versucht, sich am Rande des noch Legalen entlang zu lavieren. Das bedeutet jedoch auch, bei der Ausgewogenheit der eigenen Darstellung Abstriche zu machen. Zu nennen sind hier einige Regionalanbieter wie Fontanka und Bumaga in St. Petersburg, die Produkte der Medienholding RBK oder die Moskauer Zeitung »Nesawissimaja Gaseta«.

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Doch auch Medien, die sich im Zweifelsfall so weit wie nötig anpassen, wandeln bei ihrer Berichterstattung auf einem Drahtseil, nachdem die Regierung seit Kriegsbeginn eine extreme Linie fährt. Ein neues russisches Gesetz führte am 4. März eine Haftung der Anbieter für sogenannte »öffentliche Verbreitung wissentlich falscher Informationen über den Einsatz der Streitkräfte der Russischen Föderation« ein. Es drohen Haftstrafen von bis zu 15 Jahren. Zeitungen wird damit die Möglichkeit genommen, sich gegen den Einsatz des russischen Militärs im Nachbarland auszusprechen oder Abweichendes zu ministeriellen Verlautbarungen zu berichten. Der Pluralismus in der Medienlandschaft Russlands ist tot.

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