»Morgen werden sich alle Afghaninnen erheben«

Frauenrechtsaktivistin Hoda Khamosh berichtet, wie schwierig und gefährlich es ist, sich in Afghanistan zu engagieren

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 5 Min.

Wie haben Sie begonnen, sich für Frauenrechte in Afghanistan zu engagieren?

Ich wurde im Iran geboren und bin mit zwölf Jahren nach Afghanistan gekommen, als die Frauen noch in Freiheit lebten. Da sah ich, dass nur wenige Frauen in den Städten zur Universität und auf die Ämter gingen, lernen konnten oder einfach nur einen Spaziergang machten. Auf dem Land, in abgelegenen Dörfern waren es sogar noch weniger. Im Grunde ging kein einziges Mädchen zur Schule. Ich habe versucht, Wege zu finden, damit Mädchen auch zur Schule gehen können und die Familien davon zu überzeugen, dass Frauen das Recht haben zu lernen, dass sie in ihrem Leben das Recht haben auf Freiheit, Bildung und Arbeit. Auf dem Land war die Mentalität sehr traditionell: Mädchen kommen zur Welt, heiraten und danach war ihr eigenes Leben in der Regel zu Ende.

Wie wollten Sie diesen Frauen helfen?

Interview
Hoda Khamosh ist Dichterin und Frauenaktivistin aus der Provinz Parwan nördlich von Kabul. Sie arbeitete als Radiosprecherin und engagiert sich seit 2015 für die Rechte der Frauen in Afghanistan. Vor der Machübernahme der Taliban unterrichtete sie Analphabetinnen. Im Januar reiste die 25-jährige Frauenrechtsaktivistin mit einer Delegation der Taliban zu offiziellen Gesprächen mit westlichen Diplomaten nach Norwegen – und ist aus Sicherheitsgründen vorerst dort geblieben. Ihr Wunsch aber ist zurückzukehren, um gemeinsam mit anderen afghanischen Frauen für ihre unveräußerlichen Rechte zu kämpfen. Mit Hoda Khamosh sprach Cyrus Salimi-Asl.

Ich habe begonnen, Mädchen zur Schule zu bringen: die Töchter meines Onkels, Nachbarskinder, Mädchen aus entlegenen Dörfern. Ich selbst ging dann zur Universität, aber meine Familie war auch sehr traditionell. In meinem Kopf verbarg ich den Wunsch, Journalistin oder Anwältin zu werden. Während des Studiums habe ich heimlich für einen Radiosender gearbeitet. Dann begann ich, selbst Gedichte zu veröffentlichen. Mit einigen Frauen, die meine Freundinnen wurden, habe ich später eine Nähwerkstatt gegründet, in der wir Kleider zum Verkauf auf dem Basar hergestellt haben. Das Geschäft lief gut. Die Rückkehr der Taliban machte alles zunichte, nicht nur für mich, sondern für die vielen Frauen, die inzwischen die Chance gehabt hatten, zur Schule zu gehen, zu studieren, zu arbeiten. Über Nacht gingen alle diese Errungenschaften wieder verloren. Wir konnten nicht mal das Haus verlassen ohne Begleitung durch einen männlichen Verwandten. All die, die lernen wollen, haben das Land verlassen. Wir Frauen in Afghanistan sind innerhalb unserer eigenen Familien zu etwas Wertlosem geworden. Die Hoffnungslosigkeit und Gewalt innerhalb der Familien nimmt von Tag zu Tag zu. Als wir gesehen haben, dass Frauen in der Regierung der Taliban keinen Platz finden, haben wir uns in Frauengruppen organisiert und entschieden zu demonstrieren.

Die Situation der Frauen in Afghanistan ist bedrohlich, seitdem die Taliban wieder an der Macht sind. Gab es am 8. März trotzdem spontane Proteste von Frauen?

Ich bin in verschiedenen Frauengruppen aktiv, und wir haben ein präzises Programm, aber alle haben Angst um ihr Leben und sind in Panik. Die Taliban gehen von Haus zu Haus, suchen nach Frauen, die protestieren und sich nicht beugen wollen. Erst gestern wurde eine der Frauen aus einer Gruppe tot aufgefunden. Wir versuchen, Protestaktionen zu organisieren. Aber es ist wirklich schwer, Frauen in dieser Situation zu motivieren, an diesem besonderen Tag auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren.

Was befürchten Sie jetzt für die afghanische Frauenbewegung unter den Taliban?

Die Taliban versuchen all die ins Gefängnis zu stecken, die sich gegen sie stellen. Sie haben 29 junge Frauen ins Gefängnis geworfen und gefoltert, damit die Frauen nicht mehr für ihre Rechte protestieren. Aber Afghanistan sind nicht nur diese 29 Frauen, wir sind Tausende von Frauen, die ihre Rechte einfordern. Und sollten die Taliban den Frauen ihre legitimen Rechte nicht zugestehen, werden sich morgen alle Afghaninnen erheben und für ihre Rechte kämpfen. Wir sind dabei, die Form unserer Proteste zu verändern. Auf der Straße zu protestieren, reicht allein nicht aus, wir haben noch viel größere Pläne, damit wir uns unsere Rechte holen.

Erhält die afghanische Frauenbewegung Unterstützung aus dem Ausland?

Bis jetzt haben wir keinerlei Hilfe erhalten. Wir waren unabhängig und werden auch unabhängig bleiben, es sei denn, andere Länder unterstützen uns politisch und stellen sich hinter uns. Der größte Erfolg unseres Protests ist, dass die Taliban noch nicht offiziell als Regierung anerkannt wurden. Die Nichtanerkennung der Taliban seitens Europa und der USA, das ist die Stimme der afghanischen Frauen. Die Frauen haben gezeigt, dass die Taliban nicht das sind, was sie vorgeben zu sein, und sie uns wirklich aufgezwungen wurden. Die offizielle Anerkennung der Taliban wäre ein Verrat an Afghanistan, an einer ganzen Nation, Verrat an der Zukunft der afghanischen Frauen.

Wie sollten die westlichen Staaten mit den Taliban umgehen, um die afghanischen Frauen zu unterstützen? Verhandeln?

Es gab ja schon Gespräche mit den Taliban. Ganze zwei Jahre sind vergangen, in denen mit den Taliban in Doha verhandelt wurde, aber es ist nicht möglich, allein mittels Gesprächen mit den Taliban zu einer Übereinkunft zu gelangen und darauf zu setzen, dass sie diese dann auch umsetzen. Es ist richtig, dass wenn die Europäische Union mit den Taliban spricht und dies und das einfordert, sagen diese »Jawohl, gerne«, weil sie dadurch an Legitimität gewinnen. Aber das, was sie tun, was sie in die Tat umsetzen, ist wichtig. Und ihre geäußerten Absichten müssen sie unter Beweis stellen, zum Beispiel: Sagen wir den Taliban, dass sie die Schulen wieder öffnen, aber für alle, ohne Unterschied. Der Lehrplan sollte von denen überprüft werden, die wirklich ein Interesse haben an der Ausbildung der Afghaninnen - und nicht von den Taliban. Wir wollen keinen Lehrplan, der auf das Jahr 2001 zurückgeht, und auch heute, im Jahr 2022, keinen, der, anstatt die Schülerinnen und Schüler auszubilden, Terroristen großzieht.

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