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Ideales Radio, aber leider von der »Titanic«

Alexander Pehlemann blickt auf DT 64 zurück

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 8 Min.
DT 64 – Ideales Radio, aber leider von der »Titanic«

Du hast mit deiner Publikationsplattform »Zonic« ein Projekt verwirklicht, das »Power von der Eastside« heißt. Worum geht es?

Alexander Pehlemann
Alexander Pehlemann, Jahrgang 1969, ist Autor, DJ, Radiomoderator und kultureller Netzwerker. Er ist Mitgründer von »Zonic«, einem Magazin für »kulturelle Randstandsblicke«. Seit 2009 lebt er in Leipzig. Pehlemann hat zum musikalischen Untergrund in der DDR publiziert, pflegt enge Bande zu osteuropäischen Subkulturen und hat mit »Power von der Eastside« jetzt ein DT 64-Projekt erarbeitet, das mit mehreren Veranstaltungen ab 24. März in der Berliner »Brotfabrik« zu Gast ist.

Das Motto lehnt sich an den Jingle des einstigen DDR-Jugendsenders DT 64 an, der viele Jugendliche im Osten geprägt hat, für den aber in der bundesdeutschen Medienlandschaft kein Platz war. Laut Artikel 36 des Einigungsvertrages sollte er am 31. Dezember 1991 verstummen. Dagegen gab es enormen Widerstand von über 80 Freundeskreisen in Ost und teils auch West. An dieses phänomenale Geschehen wollen wir erinnern.

Seit wann hast du DT 64 gehört?

Ich kehrte 1986 von einer Sportschule in Frankfurt (Oder), wo ich als Ringer trainierte, nach Torgelow zurück, fast am Oderhaff, nahe Polen. Bis dahin hatte ich Westradio gehört wie fast alle in der DDR, zum Beispiel die Indiecharts vom SFB. In Torgelow war ich auf einmal abgehängt. Anfangs kam dort nicht mal DT 64 rein. Auf Stimme der DDR stieß ich aber auf die »Beatkiste« mit Lutz Schramm, der dort auch schräge Sachen wie Foyer des Arts spielte und nun zu DT 64 ging, das ab März 1987 auch in unserer Region zu empfangen war. Da gab es Spezialsendungen wie sein »Parocktikum«, und die haben mich quasi audio-biografisch geprägt.

Warum?

Ich hatte ein Faible für Indie, Punk, Post-Punk, außerdem für osteuropäischen Untergrund. Das war Teil eines Weltbilds, das ich mir damals zusammenschob. Es speiste sich aus Interesse für sowjetische Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts, das unter dem Eindruck von Glasnost und Perestroika erwacht und wohl verbunden war mit der Hoffnung, es könnte sich auch bei uns etwas bewegen. DT 64-Redakteure wie Holger Lukas stellten damals schon Bands wie Telewisor aus Leningrad vor. Ihr bekanntester Song »Dein Vater ist ein Faschist« von 1988, der sich auf Mitarbeiter des Unterdrückungsapparats bezog, passt genau in die jetzige Eskalation. Telewisor spielten 2014 auch als eine von wenigen russischen Bands in der Ukraine und bezogen offen Stellung gegen Putin.

Was für ein Sender war DT 64 bis 1989?

Die Nachrichten hatten denselben Inhalt wie bei den anderen DDR-Sendern; die Ideologie war die gleiche. Tagsüber habe ich ihn gehört, weil es nichts anderes gab. Ich hatte einen Plattenspieler - aber was hätte ich auflegen sollen außer ein paar guten Platten, die ich vom Ungarischen Kulturzentrum mitgebracht hatte?! Spannend bei DT 64 waren die Spezialsendungen am Abend. Das war ja auch die Idee. Studien des Zentralinstituts für Jugendforschung hatten gezeigt, dass die DDR-Jugend dort, wo es keine »Zwangsbindung« an DDR-Sender gab, »weghörte«. Also entwickelte man einen Sender für sie: ein schnittiges Medium, wo schneller geredet und man auf Augenhöhe angesprochen wurde. Das klappte in gewissen Grenzen, obwohl es insgesamt nur wenige Momente des Aufbruchs gab.

Was änderte sich ab Herbst 1989?

Der Sender strampelte sich ganz schnell frei und machte dann für meine Begriffe ideales Radio. Er surfte auf der Welle der Zeit, griff Ereignisse direkt im Moment des Geschehens auf, reflektierte sie, beteiligte die Hörer. Auf einmal wurde er eine wichtige Informationsquelle. Zudem thematisierte er die eigene Rolle und den eigenen Umbruch. Wir gingen damals mit den Moderatoren, die ja quasi Vertraute waren, durch die sich rasant wandelnde Zeit. Allerdings waren das dann sehr bald gewissermaßen Sendungen von der »Titanic«, weil ja absehbar war, dass DT 64 dem Untergang geweiht war.

Wann wurde den Hörern das bewusst?

Sie hätten es wissen können mit Vorliegen des Einigungsvertrags, der ja regelte, dass Ende 1991 Schluss ist. Viele begriffen es erst, als im September 1990 der RIAS in einer Art Handstreich mehrere Sendefrequenzen von DT 64 übernahm. Das war vielleicht auch ein verzweifelter und hilfloser Versuch, DT 64 zu retten und als Berliner Lokalradio zu privatisieren. Nach 24 Stunden war er gescheitert. Für viele Hörer war es aber ein Schlüsselmoment. Ihnen wurde die Gefahr eines drohenden Verlusts greifbar, und sie entschieden: Ich bin bereit, für den Sender auch ein persönliches Risiko einzugehen.

Du hast ab 1990 in Greifswald studiert. Wie wurdest du vom Hörer zum Aktivisten?

In der Stadt hat sich im Herbst 1991 eine Hörerinitiative gegründet und als Erstes ein Sit-in organisiert. Wie wir zueinandergefunden haben, kann ich nicht mehr genau sagen. Es war jedenfalls eine sehr heterogene Gruppe, was die DT 64-Bewegung ja insgesamt auszeichnete. Dafür, dass diese sich formierte, gab es einige entscheidende Momente. Schon während des RIAS-Frequenzcoups gab es live auf dem Sender die Forderung: Lasst uns Vereine der Freunde des Jugendradios gründen. Im Juli 1991 gab es den ersten in Chemnitz. Man begriff: Wir brauchen Strukturen, Fax, Telefon, Vernetzung. In Dresden organisierte dann der SPD-Landtagsabgeordnete Benedikt Dyrlich eine von DT 64 übertragene Anhörung, zu der ganz viele Leute kamen. Da wurde klar: Viele sind gewillt zu kämpfen. Dyrlich ist übrigens sorbischer Lyriker. Er brachte wohl das Bewusstsein einer Repräsentanz von Minderheit mit. DT 64-Hörer waren ja auch eine Minderheit - eine »Massenminderheit«, die aktiv wurde.

Wurde über Aktionsformen gestritten? Es gab ja Hungerstreiks und Besetzungen von Staatskanzleien - das ganz große Besteck.

Manche Leute kamen schon aus politischen Kämpfen und brachten Aktionsformen mit. Einige Leipziger zum Beispiel fuhren beim Frequenzcoup zum Ministerrat nach Berlin und begannen einen Hungerstreik für DT 64. Eine von ihnen hatte Gleiches auch schon getan, um vor der Runden Ecke Leipzig Druck zur Öffnung der Stasiakten zu machen. Wie genau Aktionen entstanden, was geplant und was spontan war, gilt es noch herauszufinden. Manches verlief ja teils hart an der Grenze zur Gewalt. Generell wollte man aber nicht in diese Sackgasse geraten, auch um das positive Medienecho nicht zu gefährden.

Vor welchen Problemen standet ihr?

Zum Beispiel: unklare Zuständigkeiten. Über die Medienlandschaft im Osten sollten die zu bildenden Länder mit den zu bildenden Sendern und deren Gremien entscheiden. Nichts davon gab es im Herbst 1990. Diejenigen, die für DT 64 kämpften, wussten nicht, an wen sie ihre Forderungen adressieren sollten: an die Politik? Die Sender? Als später der MDR den Sender übernahm und danach zu Sputnik machte, geschah das auf Initiative von »König« Kurt Biedenkopf, also der Politik. In Brandenburg wiederum hätte diese DT 64 in den ORB gerettet, aber der Sender sagte: Wir sind unabhängig, wir wollen die Fusion mit dem SFB, und DT 64 wollen wir nicht.

Ging es nur um den Erhalt eines Senders?

Es ging darum, sich als Einzelner in einer im Umbruch befindlichen Gesellschaft zu artikulieren. Wir kämpften für einen Sender, der uns aus dem Herzen sprach und, was ganz wichtig ist, uns ein Podium gab, um das Wort zu ergreifen.

Aber irgendwann was das vorbei.

Das war ganz bitter. Im Norden war bald klar: Wir haben verloren. Aber der Entzug kam schrittweise. Man konnte DT 64 noch ein Jahr über Mittelwelle hören, dann über Satellit. Man traf sich bei Freunden mit Sat-Schüssel, um verbliebene Spezialsendungen wie »Grenzpunkt Null« oder »Blood Brothers Broadcasting« zu hören. Als die abgesetzt wurden, fiel für mich Radio als Medium für lange Zeit weg.

Was wurde aus der Bewegung?

Der DT 64-Freundeskreis in Greifswald existierte weiter. Wir schufen uns neue Aktionsfelder: ein Café und eine Stadtzeitschrift, die nach einer Sendung von DT 64 benannt war. Ich gründete 1993 mit einem Freund aus der DT 64-Initiative das Magazin »Zonic«, das bis heute existiert. All das führte dazu, dass ich, der ich eigentlich immer nach Berlin wollte, in Greifswald Wurzeln schlug. Anderswo war es ähnlich. In Dresden war der Freundeskreis bis spät in die 90er Jahre aktiv und begleitete den mittlerweile umbenannten Sender mit der Zeitschrift »SpuDTnik« so lange, bis sich dieser kommerziell glatt geschliffen und von den Idealen der einstigen Hörerschaft entfernt hatte. Das Erbe findet sich übrigens auch bei den freien Radios, die teils als Piratenradio anfingen. Menschen aus der DT 64-Bewegung sind heute bei Radio Frei in Erfurt, Radio T in Chemnitz, Radio Corax in Halle. Es gab eine »mediale Selbstermächtigung«, nach dem Motto: DT 64 fällt weg, da machen wir unser Radio eben selbst. Das gilt auch für mich. Sobald sich die Möglichkeit ergab, habe ich eigene Sendungen gestaltet. Was ich heute bei Radio Blau in Leipzig und für übernehmende Stationen mache, ist die Fortsetzung einer Radioidee, die mir damals eingepflanzt wurde. Ich bin da absolut geprägt und trage das weiter.

Mit welcher Intention schaust du zurück?

Es geht darum, ein historisches Phänomen zu beschreiben und dabei verlorene Chancen in Erinnerung zu rufen. Es geht darum, das Wissen darüber fundiert in die Geschichtsschreibung einzuspeisen, und zwar nicht als Projekt eines Einzelnen, sondern im Bemühen, ehemalige Netzwerke einzubinden und Material zu erfassen, das bisher nicht aufbereitet ist. Und ein wenig ist es sicherlich auch ein Spiel des »Was wäre, wenn«. Was wäre aus DT 64 geworden, wenn es weitergegangen wäre? Wir - Hörer und Moderatoren - sind ja inzwischen alle 30 Jahre älter geworden. Wäre der Sender jetzt noch immer ein Jugendradio, oder wäre er mit uns gealtert? DT 64 war Popkultur, und es zeigt sich ja heute, dass Popkultur lebensprägend sein kann. »Power from the Eastside« ist also viel mehr als nostalgischer Rückblick. Es ist auch ein Versuch, die Fragen anzureißen: Kann man gemeinsam in Popkultur alt werden und was meint Radio heute?

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