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Putin und die Mütter
Kriegsheldenpropaganda ist das Letzte, was in diesen Wochen gebraucht wird
Am 8. März hatte Wladimir Putin einen seiner spezielleren Auftritte seit Kriegsbeginn. Russlands Präsident beglückwünschte in einer Fernsehansprache die Ehefrauen, Bräute, Mütter und Schwestern der russischen Soldaten zum Internationalen Frauentag. »Ich verstehe, dass Sie sich Sorgen um Ihre Angehörigen machen«, fügte er hinzu. »Sie können stolz auf die Soldaten sein, so wie das ganze Land auf sie stolz ist. Und sich gemeinsam mit Ihnen um sie sorgt.« Am gleichen Tag wurden beispielsweise in St. Petersburg Frauen verhaftet, die gegen den Krieg protestierten.
Man könnte darüber spekulieren, ob Putin so etwas tatsächlich ernst meint oder ob es der übliche Zynismus in Kriegszeiten ist. Denn inzwischen wurden - die Angaben sind unterschiedlich - mehrere Tausend russische Soldaten getötet, die auf Putins Befehl ins Nachbarland einmarschiert sind. Kriegsheldenpropaganda - egal, auf welcher Seite - hat immer etwas Abstoßendes.
Dieser Krieg ist viel mehr als ein regionaler Konflikt. Er ist Teil einer weltumspannenden Krisenlage. Die Pandemie ist noch längst nicht überwunden und wird durch die europaweiten Fluchtbewegungen wohl wieder verschärft. Der Klimawandel tobt immer öfter seine zerstörerischen Kräfte aus. Bei manchen Bildern ist es schwer zu sagen, ob sie Orkanschäden oder Bombentreffer zeigen. In jedem Fall haben Menschen ihren Anteil daran.
Der Krieg und die damit zusammenhängenden Sanktionen erschüttern die globalen Wirtschafts- und Finanzsysteme. Die Preissteigerungen für Energie und Rohstoffe sind nur erste Anzeichen dafür. Es braucht nicht viel, dass daraus schwere soziale Spannungen entstehen. In dem einen Land sind es Hungerrevolten, im anderen Proteste gegen galoppierende Lebenshaltungskosten. Am Anfang der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich standen stark erhöhte Kraftstoffpreise. Es sind schlechte Zeiten für gute Nachrichten.
Statt all diese Probleme entschieden anzugehen, fließen jetzt Unsummen in Tötungstechniken und Abschreckungsstrukturen. Die Linke im engeren wie im weiteren Sinne steht vor neuen Fragen. Mancher möchte die alten Gewissheiten verteidigen. Aber wo sind die neuen? Dem geht das »nd« ab sofort in der Debattenserie »Linke, Krieg und Frieden« nach.
Immerhin, jetzt unterhielten sich erstmals seit Langem die Chefdiplomaten aus Moskau und Kiew. Noch werden die Stimmen am Verhandlungstisch vom Gefechtslärm übertönt. Vielleicht steckt mehr Kraft für den Frieden in den einfachen Menschen. In den Frauen und Müttern, die hier wie dort unter dem Krieg leiden. Der Schriftsteller Wolfgang Borchert, der im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront schwer verwundet wurde, schrieb kurz vor seinem Tod 1947 den eindringlichen Antikriegstext »Dann gibt es nur eins!«. Darin heißt es: »Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins: Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!«
Wir wissen, dass Wladimir Putin sehr gut Deutsch spricht. Ob er diesen Borchert-Text kennt, wissen wir nicht. Wolfgang Hübner
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