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  • Sanktionen gegen Russland

Wenn Shampoo zum Luxusgut wird

Viele Russen spüren die ersten Folgen der westlichen Sanktionen in ihrem Alltag

  • Roland Bathon
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Abwertung des Rubels und Boykottmaßnahmen westlicher Hersteller haben in Russland erhebliche Auswirkungen für die Verbraucher. Doch im Gegensatz zur Textil- und Autobrache werden die meisten bekannten Marken der westlichen Konsumwelt im Lebensmittel- und Hygienebereich nicht aus dem Sortiment russischer Geschäfte verschwinden.

Zwar haben westliche Branchenriesen wie P&G, Unilever, PepsiCo und Mars ihren Rückzug aus dem Russlandgeschäft verkündet. Doch viele Produkte werden speziell für den russischen Markt im Land selbst hergestellt. Sie werden auch weiter in Russland verfügbar sein.

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So nimmt der US-amerikanische Limonadenhersteller PepsiCo beispielsweise zwar seine süßen Softdrinks in Russland vom Markt, will im Land aber weiter Milch und Babynahrung herstellen. Auch von einem Rückzug weiterer bekannter Handelsmarken im Besitz des Konzerns ist nicht die Rede.

Für russische Verbraucher sind das trotzdem keine guten Nachrichten: Denn die verbleibende Vielfalt hat ihren Preis. Alles wird teurer. So hat der US-Konsumgüterkonzern P&G für seine Produkte, zu denen bekannte Waschmittelmarken, Rasierzubehör oder Duschgel gehören, die Preise um durchschnittlich 40 Prozent erhöht, schreibt die russische Tageszeitung »Kommersant«. Für einige Produkte fällt der Aufschlag sogar noch größer aus. So sollen Shampoos und andere Haarpflegeprodukte sogar bis zu 63 Prozent teurer werden. Branchenfachleute begründen den massiven Preisanstieg in der Zeitung mit einer kostspieligen Umstellung der Logistik, der wachsenden Inflation und dem fallenden Rubelkurs.

Auch Hamsterkäufe haben teilweise schon begonnen. Denn viele Russen wollen ihr Geld vor dem drohenden Wertverfall retten und schnell in Vorräte investieren. In vielen Geschäften wurde wegen des Ansturms bereits der Verkauf bestimmter Produkte eingeschränkt. Vielerorts sind beispielsweise nur noch fünf Packungen Reis oder Linsen zu erwerben.

Die Verfügbarkeit der Waren variiert zwischen den Landesteilen. So sind in vielen kleineren Städten die Auslagen der Geschäfte weiterhin gut gefüllt. Doch aus Metropolen wie Moskau dringen mittlerweile auch Meldungen von leergekauften Regalen und ersten Lieferschwierigkeiten. Schwerer zu bekommen sind demnach vor allem Säuglingsnahrung, Produkte der Damenhygiene oder Kontaktlinsen. Einfache und preiswerte Varianten dieser Waren sind in vielen Geschäften ausverkauft. Meist sind nur hochpreisige Ausführungen erhältlich, die dann mit dem Zwei- bis Dreifachen des Vorkrisenpreises zu Buche schlagen.

Unter den gestiegenen Preisen leiden vor allem die Ärmsten in der russischen Bevölkerung, welche sich bestimmte Produkte kaum noch leisten können. Denn die russischen Löhne steigen nicht mit. Zudem fallen wegen der Sanktionen auch frühere Einnahmequellen weg. Viele, die nicht so gut verdienen, haben Zweit- und Drittjobs, welche nun der beginnenden Krise zum Opfer fallen. Ein Beispiel sind etwa studentische Nachhilfejobs, welche gekündigt oder nicht verlängert werden. Gerade Studenten leben in Russland oft unter prekären Verhältnissen.

Wer allerdings hofft, diese Entwicklung würde die Russen in ihrer Mehrheit gegen den Ukraine-Krieg und die Politik von Präsident Wladimir Putin aufbringen, könnte sich täuschen. Denn als Urheber dieser, für alle spürbaren Verschlechterung der Lebensverhältnisse wird in der breiten Bevölkerung der Westen wahrgenommen. So findet infolge der ersten Krisenauswirkungen eher eine Solidarisierung vieler Russen mit ihrer antiwestlichen Führung statt. Eine Distanzierung ist bisher Fehlanzeige. Dies scheinen zumindest aktuelle Umfragen zu zeigen. Umfrageinstitute messen seit dem Beginn des Ukraine-Krieges eine steigende Zustimmung zu Putin Regierungsführung. Diese ist natürlich auch auf die Meinungshoheit der regierungsnahen, kriegsbejahenden Medien zurückzuführen. Zudem kritisieren unabhängige Soziologen und westliche Meinungsforscher tendenziöse Fragestellungen der Untersuchungen.

Vertreter des politischen Establishments oder andere reiche Russen dagegen treffen die Teuerungen und der Rückzug der Konzerne infolge der westlichen Sanktionen kaum. Sie können begehrte Waren bei Auslandsreisen kaufen oder benötigte Produkte schlicht in nicht sanktionierten Drittstaaten bestellen. Aus diesem Grund steigt unter gut begüterten Russen auch die Nachfrage nach Kreditkarten des chinesischen Bezahlsystems UnionPay. Mit diesem können Kunden auch nach dem Ausfall westlicher Kreditkarten wie Visa oder American Express infolge von Sanktionen weiterhin nach Herzenslust einkaufen.

Manch eine gut betuchte Familie in Moskau entlässt auch einfach einen Teil ihrer Haushaltsangestellten. Die Leidtragenden sind die Entlassenen und jene, welche deren frühere Arbeit nun zusätzlich übernehmen müssen – wohl wissend, dass sie ansonsten leicht ersetzt werden können. Auch Sanktionen gegen Russland haben eine ganz offen kapitalistische Seite, weit weg von den Luxusjachten von Oligarchen.

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