- Kultur
- »Europiana« von Jack Savoretti
Glücklich in der Italo-Disco
Mit seinem Album »Europiana« lässt Jack Savoretti eine selige Zeit wieder aufleben
Man kann sich ausmalen, wie dieser Künstlername entstanden ist. »Fabio Roscioli, das geht gar nicht«, hat der Plattenboss gepoltert, »damit verkaufen wir keine einzige Scheibe nördlich des Brenners. Es muss international klingen.« Dann hat er eine Kunstpause eingelegt und hinzugefügt: »Und stilvoll.« Der Talentscout vom Plattenlabel, der den Sänger in einer Diskothek in Rom entdeckt hatte, hat die Augen gerollt, während der Produzent die Stirn runzelte und »also so was wie Bryan Ferry« in die Runde warf. Ein paar Namensvorschläge später hat man sich dann auf Ryan Paris geeinigt; klang ähnlich und würde auch den Franzosen gefallen. Alle haben herzlich gelacht, sogar der Plattenboss, und der Abend endete erst nach mehreren Flaschen Asti Spumante. Wie schön war doch das Dolce Vita! »Dolce Vita«? Moment mal, so könnte man auch den Song nennen ... Ja, es muss herrlich gewesen sein, Anfang der 80er Jahre Italo-Disco-Hits zu erschaffen.
Die »Diese eG« wurde im Mai 2019 auf Initiative des Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrats Florian Schmidt (Grüne) als eine Art Vorkaufs-Feuerwehr gegründet. Um Vorkaufsrechte ausüben zu können, sprang sie bei Häusern ein, die landeseigenen Wohnungsunternehmen zu teuer waren.
Die Bewohner sollen vor durch die spekulativen Preise erwartbaren Eigenbedarfskündigungen und großen Mietsteigerungen geschützt werden, viele leisteten hohe Einlagen in die Genossenschaft.
Die Zuschüsse des Senat flossen nicht so wie erhofft, was die Genossenschaft in Finanzierungsschwierigkeiten brachte. Vom Kauf des Hauses Rigaer Straße 101 musste sie deswegen zurücktreten. nic
Künstlerisch wertvoll war diese Musik nicht, aber eine Riesen-Gaudi. Denn das war wichtig: Dass es Spaß machte. In jenen Jahren vor dem Mauerfall erlebte Westeuropa eine nie gekannte Leichtigkeit. Statt auf dem Schlachtfeld trat man allenfalls noch beim Grand Prix Eurovision de la Chanson gegeneinander an – mit Dirigent und Violinenbegleitung. Lieber aber kultivierte man die Liebe. Die französischen Filme »La Boum – die Fete« und »La Boum 2 – die Fete geht weiter« vereinten Europas Teenagerschaft. Die Jungs träumten von Sophie Marceau und die Mädchen auch – die einen wollten sie als Freundin haben, die anderen so sein wie sie. Alle aber fanden im Kino zueinander und konnten dort paarweise schwelgen und manchmal auch knutschen.
Und wenn es dort mit dem Küssen nicht klappte, mochte man danach in der Diskothek sein Glück versuchen. Italo-Disco-Hits wie »I Like Chopin«, »Self Control«, »Happy Children«, »The Night« und natürlich »Dolce Vita« strahlten jenes Tiramisu-süße Aroma aus, das jede Willenskraft, jeden rationalen Gedanken ausschaltete. Und das länderübergreifend. Der Einfachheit halber sang man meist englisch. Und wenn Italo-Disco mal aus Spanien kam (wie »Fotonovela« von Ivan), störte das auch keinen. Hatte nicht schon Julio Iglesias in 14 verschiedenen Sprachen gesungen? Das war Europa!
Von Portugal bis Dänemark liebte man die Mischung aus bezirzenden Schlagermelodien und gleichförmigen Discofox-Rhythmen (»Eins, zwei, tap. Eins, zwei, tap …«). Es lag eine romantisch-naive Unschuld in diesen Liedern. Alles würde gut werden, egal wie.
So funktionierte Italo-Disco als Sedativ und Stimulans zugleich. Solche Klänge kommen einem heute natürlich vollkommen absurd vor. Noch absurder aber ist es, dass ausgerechnet ein Engländer namens Jack Savoretti diese pathetische Musik wieder aufleben lässt und ihr den noch pathetischeren Namen »Europiana« gibt. Das mag daran liegen, dass er einen italienischen Vater und eine deutsch-polnische Mutter, also Europa quasi in den Genen hat. Vielleicht auch daran, dass er in der Kindheit mit seinen Eltern eine Odyssee durch Europa erlebte, ehe er in Lugano – dort, wo die Schweiz am italienischsten ist – auf der »American School in Switzerland« eine Art Identitätsgefühl entwickelte. Aber eben kein nationales, sondern ein Sammelsurium aus europäischen und amerikanischen Einflüssen. Er sei eine »transatlantische Promenadenmischung«, hat er einmal von sich behauptet.
So klangen seine ersten Alben in den späten 00er und frühen 10er Jahren dann auch. Es war Folk, der Kontinente überschritt. Und wie verhält sich »Europiana« dazu? Früher adaptierte Jack Savoretti Americana-Klänge für europäische Ohren. Heute revitalisiert er Italo-Disco für Menschen, die gerne kalifornischen Yacht-Rock hören, also hochmelodischen Kuschelrock.
Das Ergebnis ist Musik, die nicht nur Länder-, sondern auch Kitschgrenzen überschreitet. In England, wo manchen langsam dämmert, dass ohne die EU nicht nur Gastarbeiter fehlen, hat man »Europiana« auf Platz 1 der Verkaufscharts gehievt. Auf dem europäischen Festland ist man noch nicht so weit. Vielleicht ist es auch dieser Krieg, der einen zwingt zu begreifen, was Europa einst ausmachte.
Jack Savoretti: Europiana (EMI)
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