Audiovisuelle Popliteratur

Lange hat keine Serie mehr eingeschlagen wie »Euphoria«. Die Studie der Generation Z brilliert auf vielen Ebenen

  • Livia Sarai Lergenmüller
  • Lesedauer: 4 Min.
»Euphoria«, das ist kaputte Lebensrealität in schönen Bildern.
»Euphoria«, das ist kaputte Lebensrealität in schönen Bildern.

Rue ist seit Kindertagen mit Medikamenten gegen ihre bipolare Störung vollgestopft. Während sie ihren krebskranken Vater pflegte, begann sie, seine Medikamente zu schlucken, und landete so bereits im Alter von 16 Jahren mit einer Überdosis im Koma. Nach einem Sommer im Entzug kehrt sie an ihre Highschool zurück – hier setzt die Serie »Euphoria« ein. Gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester und ihrer Mutter lebt Rue in einer Kleinstadt in den Staaten und hat eigentlich nicht vor, clean zu bleiben. Bis sie die neue Mitschülerin Jules kennenlernt und sich verliebt.

»Euphoria«, mit der Regisseur Sam Levinson sein Serien-Debüt gibt, kommt auf den ersten Blick als eine klassische Coming-of-Age-Serie daher. Neben Rue und Jules sind auch Maddy, Cassie, Kat und Nate in den Hauptrollen alle mehr oder weniger Teil des gleichen Freund*innenkreises. Jede Folge widmet sich einer der Protagonist*innen und gibt tiefere Einblicke in ihre Leben zwischen Liebe, Sex, Familiendrama, Ängsten und Drogen. Besonders fällt dabei die Neujustierung altbekannter Figurenmuster auf. Klassische Rollen, wie wir sie aus anderen Highschool-Formaten kennen, werden gelungen auf neue, moderne Weise inszeniert.

Wie es sich für eine Highschool gehört, gibt es die Cheerleader-Schönheit, die hier jedoch in Konfrontation mit ihrem problematischen Bedürfnis nach Bestätigung steht, und statt auf das dicke Mädchen mit der Hornbrille herabzuschauen, sind beide befreundet. Diese wiederum durchlebt zwar das klassische Makeover, findet darin jedoch nicht die erhoffte Befreiung, und anstatt sich Bestätigung in einer Beziehung zu suchen, verlässt sie ihren Freund und wird stattdessen erfolgreiche Online-Domina. Der toxisch-männliche Quarterback kämpft mit dem Doppelleben seines lieblosen Vaters, die neu an die Schule gekommene Jules ist trans, thematisiert wird dies jedoch nur am Rande.

Ohnehin werden Sexualität und Gender unkommentiert fluid erzählt. So wird Jules› Geschlechtsidentität nicht verschwiegen, jedoch lange Zeit überhaupt nicht problematisiert, zu Beginn lediglich durch die Injektion einer Hormonspritze angedeutet. Ohne die Realität zu beschönigen, beschreibt die Serie ihr Trans-Sein als das, was es ist: Eines von vielen Puzzlestücken ihrer Identität. Definitiv Teil der Geschichte, jedoch ohne dass diese sich primär darum dreht.

Auch Sexualität wird wandelbar dargestellt. Während Jules sich von älteren Männern angezogen fühlt, kann sie sich auch in Mädchen ihres Alters verlieben. Rue hingegen zeigt, im Gegensatz zu ihren Freundinnen, wenig Interesse an Sex, verliebt sich jedoch in ihre neu gewonnene beste Freundin. Die Beziehung der beiden bleibt lange Zeit im Graubereich zwischen platonischer und romantischer Anziehung.

Mit gelungener Selbstverständlichkeit zeigt »Euphoria« das große, fluide Spektrum von Sexualität und Identität. Zugleich schönt die Serie jedoch nichts und ist von harten Drogen- und gewalttätigen Sexszenen geprägt. Dass Männer Frauen beim Sex ungefragt würgen und ihren Kopf selbst beim ersten Mal auf die Matratze drücken, scheint in der von Mainstream-Pornografie geprägten Sexualität der Generation Z selbstverständlich. Als Cassie zu Beginn der Serie ihren Mitschüler erschrocken anschreit, er solle ihr nicht wehtun, und sich dieser entschuldigt, wirkt das schon fast wie ein Lichtblick.

Die zweite Staffel setzt die Konfrontationstherapie fort: Rues Sucht wird zu einer schwer ertragbaren Odyssee; Kats Umgang mit dem Druck, in dieser Welt nicht normschön zu sein, wird ergebnisoffen problematisiert; an Cassies Verhaltensmuster, sich durch männliche Zuneigung zu legitimieren, zerbrechen Freundschaften.

Schauspielerin Zendaya, die Rue spielt, schrieb zum Start der zweiten Staffel auf Instagram: »Ich möchte für alle noch mal betonen, dass ›Euphoria‹ für ein reifes Publikum gedacht ist. Diese Staffel, vielleicht sogar noch mehr als die letzte, ist zutiefst emotional und beschäftigt sich mit Themen die triggernd und schwer anzuschauen sind. Bitte nur anschauen, wenn ihr euch damit wohlfühlt.« Und tatsächlich werden die Unsicherheiten und Emotionen junger Menschen derart ehrlich und vielschichtig behandelt, dass es mitunter schwer zu ertragen ist.

Ohne Zweifel ist »Euphoria« ein erzählerisches Meisterwerk und jede Folge ein Kunstwerk. Hervorragend gespielt, schaffen Regie und Schnitt Folgen, die so visuell anspruchsvoll und dicht erzählt sind, dass man kaum mehr als zwei Folgen hintereinander aushält. Doch auch das Make-up von Doniella Davy, Kostüm und Requisite sind außergewöhnlich. »Euphoria« schafft eine glitzernde, oft auch unrealistische, überästhetische Welt, die jedoch ihre volle Hässlichkeit zeigt, sobald die erste Fassade bröckelt.

Ein Hochglanzdrama, das in bildgewaltiger Sprache und auf konfrontativ ehrliche Art eine Gruppe dekadenter Jugendlicher und ihre kaputte amerikanische Lebensrealität zeigt. Dabei gelingt es, mit altbekannten Klischees zu brechen und eine zeitgemäße Perspektive auf das Teenager-Dasein und Freundschaft einzunehmen.

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