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»Ruxit« mit Ansage
Russland verlässt den Europarat nach 26 Jahren - bevor es ausgeschlossen werden konnte
Russland und der Europarat: ein Drama in vielen Akten, das nun bald sein Ende finden wird. Mehrmals stand die Russische Föderation kurz davor, doch nun wird sie den Europarat endgültig verlassen. Am Dienstagabend war Moskau dem offiziellen Rausschmiss zuvorgekommen und hatte seinen Austritt verkündet. »Das einigende Potenzial des Europarates wurde von den EU- und Nato-Staaten zerstört«, hieß es in einer Erklärung des russischen Außenministeriums. Damit kündigt Russland automatisch auch die Europäische Konvention der Menschenrechte. »Der Austritt unseres Landes wird die Rechte und Freiheiten der russischen Bürger nicht beeinträchtigen«, betonte das Ministerium.
Ebenfalls am Dienstag hatte die Parlamentarische Versammlung des Rates einstimmig dafür votiert, dass »die Russische Föderation nicht länger Mitgliedsstaat der Organisation sein sollte«. Der »nicht zu rechtfertigende und grundlose Angriff« auf die Ukraine habe zu der Entscheidung geführt, »das gemäß Artikel 8 der Satzung vorgesehene Verfahren zum Ausschluss« einzuleiten. Damit verliert der im französischen Straßburg beheimatete Rat sein größtes und wohl auch schwierigstes Mitglied. Der 1949 gegründete Europarat sollte ursprünglich die westlichen Staaten im Kalten Krieg einigen und wacht heute über Menschenrechte und Demokratie in ganz Europa, inklusive der Türkei und der Kaukasus-Staaten. Der Rat ist kein EU-Organ und steht deshalb allen europäischen Ländern offen. Bis auf Belarus, Kosovo und den Vatikan waren bislang alle Staaten Europas im Rat vertreten. Russland trat dem Gremium erst 1996 bei.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Überraschend kommt der »Ruxit« nicht. Das Verhältnis zwischen Russland und dem Europarat war seit Längerem gestört. Der Bruch kam spätestens mit der russischen Annexion der Krim im Jahre 2014. Damals entzog der Europarat den 18 russischen Abgeordneten das Stimmrecht, obwohl die Statuten so eine Sanktion gar nicht vorsahen. Die russischen Abgeordneten boykottierten danach alle Sitzungen des Gremiums. Schließlich stellte Moskau 2017 auch seine Zahlungen an den Rat ein. Erst 2019 fand man einen Kompromiss, der Russland wieder zum vollwertigen Mitglied machte.
Immer häufiger landete das autokratische Russland vor dem ebenfalls zum Rat gehörenden Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Derzeit betreffen ein Viertel aller Verfahren Russland, da sich auch russische Staatsbürger*innen an das Gericht wenden können. Somit sind mehr als 17 000 Verfahren gegen Russland beim EGMR anhängig. Damit ist Russland einsamer Spitzenreiter, vor der Türkei und der Ukraine.
Allerdings wandte sich auch Russland an das Gericht, wenn es Rechte verletzt sah. So im Juli 2021, als man Beschwerde gegen die Ukraine einlegte, die demnach die Russisch sprechende Minderheit im Land diskriminierte und nicht vor Übergriffen schützte und zudem die Trinkwasserversorgung der Krim unterbrochen habe. Die Vorwürfe waren nicht aus der Luft gegriffen. Tatsächlich hatte die Ukraine den nördlichen Krim-Kanal geschlossen, der die trockene Halbinsel mit Wasser versorgt hatte. Auch die Schikanen gegen die Russisch sprechende Bevölkerung waren kein Hirngespinst russischer Propagandisten. So trat in diesem Jahr ein bereits 2019 verabschiedetes Gesetz in Kraft, welches »das Russische abwürgen« soll, obwohl die Bevölkerung im Osten und Süden des Landes überwiegend russischsprachig ist, wie selbst die konservative »FAZ« einräumen musste. Doch zukünftig müssen die Betroffenen aus Odessa oder Charkiw selbst das Gericht anrufen.
Der Überfall auf die Ukraine läutete den letzten Akt des Dramas ein. Kurz nach dem Einmarsch russischer Truppen hatte das Ministerkomitee des Rats am 25. Februar beschlossen, Russland »das Recht auf Vertretung im Ministerkomitee und in der Parlamentarischen Versammlung« mit sofortiger Wirkung zu entziehen. Das war noch kein Rauswurf, denn Moskau blieb weiterhin Mitglied. »Die Suspendierung ist eine vorübergehende und keine endgültige Maßnahme, welche die Kommunikationskanäle offen lässt«, hieß es in der offiziellen Erklärung. Doch die Kanäle werden nun geschlossen. Auch wenn Russland am Dienstagabend erklärte, weiterhin »offen für ein pragmatisches und gleichberechtigtes Zusammenwirken mit den Mitgliedern dieser Organisation« zu sein. Der Abschied Russlands aus dem Europarat ist mehr als ein symbolischer Akt.
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