Kampf um die Hoheit auf See

Russlands Marine greift in den Ukraine-Krieg ein. Die Schiffe werden strategisch eingesetzt, auch wenn die Sperrung des Bosporus eine Hürde ist

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor zwei Tagen lief die russische Raketenkorvette »Wasili Bykow« in den Hafen von Sewastopol ein. Sie ist mit ihren Stealth-Eigenschaften eines der modernsten Schiffe der russischen Marine – und offenbar unbeschädigt. Dabei wurde das Schiff, so hieß es, vor gut einer Woche vor der ukrainischen Küste von mindestens einer Rakete getroffen, was aber offensichtlich eine Falschmeldung war. Tatsächlich wurde nämlich nicht die »Bykow« getroffen, sondern ein ukrainisches Handelsschiff. Und zwar von einer russischen Rakete. Der Ukraine-Krieg, so scheint es, hat längst die See erreicht.

Bereits Anfang März soll ein estnischer Stückgutfrachter namens »Helt« gesunken sein. Nach Angaben des Eigners Igor Ilves werden vier Besatzungsmitglieder vermisst, zwei weitere konnten sich auf ein Schlauchboot retten. Letzte Position des Handelsschiffes: fünf Kilometer südöstlich von Odessa. Ursache war offenbar ein Minentreffer. Wenn das stimmt, dann hat der Krieg eine neue schreckliche Facette bekommen. Noch gibt es nur Gerüchte, laut denen die Ukraine bestimmte Abschnitte vor ihrer Küste vermint hat, um amphibische Landungen der russischen Streitkräfte zu erschweren. Dass ein solches Szenario möglich ist, sollen Satellitenaufnahmen beweisen. Sie zeigen mindestens 14 russische Schiffe, darunter mehrere Landungsschiffe in drei Gruppen gegliedert.

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Über eine amphibische Operation bei Odessa wird seit Anfang des Krieges spekuliert. Auch der Präsident von Belarus, Alexander Lukaschenko, sprach von Planungen für eine solche Attacke. Bekannt ist, dass die russische Marine kurz vor dem Angriff auf die Ukraine noch eine Abteilung von sechs Landungsschiffen, die eigentlich zur Nord- und zur Baltischen Flotte gehören, ins Schwarze Meer verlegt hat. Auch ein U-Boot gehörte zum Verband, der angeblich nur zu einer nautischen Orientierungsfahrt aufgebrochen war.

Seit dem 28. Februar ist die russische Schwarzmeerflotte allerdings von jeglicher Verstärkung abgeschnitten. An diesem Tag stoppte die Türkei nämlich die freie Durchfahrt von Militärschiffen der kriegführenden Parteien, die ihren Heimathafen nicht im Schwarzen Meer haben. Für sie sind der Bosporus und die Dardanellen dicht. Ankara bezog sich dabei auf die Montreux-Konvention von 1936. Man wolle, so der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan, alle Möglichkeiten nutzen, um zu verhindern, dass der russisch-ukrainische Konflikt weiter eskaliert.

Russland ist empört und Moskaus Argumentation grotesk; sie ist dieselbe, die man dem eigenen Volk vorsetzt. In der Ukraine, so heißt es, laufe eine militärische Sonderoperation des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation zur Entmilitarisierung und Entnazifizierung des Nachbarlandes. Das sei kein Krieg. Daher gebe es auch keine Kriegserklärung. Folglich habe die Türkei keinen Grund, das Montreux-Abkommen in Anspruch zu nehmen.

Istanbul verweigerte der »Admiral Kasatonow« als erstem russischen Schiff die Durchfahrt. Die Fregatte ist mit »Kalibr«-Marschflugkörpern ausgestattet und wäre ein Aktivposten bei einem Angriff gegen die Ukraine gewesen. Doch nicht nur die russische Schwarzmeer-Flotte ist ohne Nachschub. Auch die russischen Kriegsschiffe im Mittelmeer sind ohne die Lieferung von Treibstoff, Wasser, Nahrung und Munition von der Marinebasis Sewastopol nicht mehr besonders kampfstark.

Eigentlich will Moskau – nach einer langen Zeit erzwungener Abstinenz – im Mittelmeer wieder den Nato-Flotten Paroli bieten. Das war schon im Kalten Krieg eine höchst gefährliche Konfrontation. Immer wieder kam es zu Zwischenfällen. Die gibt es auch aktuell. Jüngst beschwerte sich die US-Marine, dass einige ihrer Seeaufklärer von russischen Jägern höchst rüde attackiert worden seien.

Seit Februar übt eine Flugzeugträgergruppe mit der »USS Harry S. Truman« im Mittelmeer. Sie kooperiert mit dem französischen Träger »Charles de Gaulle«. Beide Giganten werden begleitet von mehr als 15 Überwasserschiffen und U-Booten. Dem hat die russische Flotte nichts entgegenzusetzen.

Der Mangel an geeigneten Trossschiffen war schon zu Sowjetzeiten ein Schwachpunkt von Moskaus Marine. Früher konnten die russischen Kampfschiffe Limassol auf Zypern, Valetta auf Malta und die spanische Enklave Ceuta nutzen. Auch Ägypten, Libyen und Montenegro hatten nichts gegen ein gelegentliches Einlaufen russischer Kriegsschiffe. Doch die vom Westen gegen Russland beschlossenen Sanktionen haben die Lage grundlegend geändert. So kann sich Russlands Mittelmeer-Kampfgruppe nur auf die Basis im syrischen Tartus verlassen. Platz ist da vermutlich genug, denn die russischen Nachschuboperationen ins Kriegsland Syrien sind zum Erliegen gekommen.

Auch im hohen Norden zeigt Russlands Marine Präsenz. Sie will vor allem die gerade in Norwegen laufende Nato-Übung »Cold Response« im Blick behalten. Vor welchen Küsten die Atommächte gerade ihre nuklear bestückten U-Schiffe verstecken, ist nicht bekannt. Mit einer Ausnahme: Die USA schickten mindestens zwei ihrer »Endzeit«-Boote zur Übung ICEX 2022 vor die Nordflanke Russlands. Beteiligt sind auch die Luftwaffe und die Marine Kanadas sowie britische Marineeinheiten. Es gehe um »die Erforschung, Erprobung und Bewertung der operativen Fähigkeiten in der Arktis«, teilte die US Navy lakonisch mit.

Bei alledem darf man nicht vergessen, dass Russland Ende Februar seine Atomstreitkräfte alarmiert hat. Falls Präsident Wladimir Putin, Verteidigungsminister General Sergei Shoigu und Generalstabschef Walery Gerasimow also glauben, den ultimativen Code in ihre Atomkoffer eingeben zu müssen – Moskaus Marine wäre ein wesentlicher Bestandteil der dann aktivierten Abschreckungskräfte.

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