Keine Entschädigung für Lockdown-Betroffene

Der Bundesgerichtshof hat gegen die Klage eines Brandenburger Gastronomen entschieden - zur Enttäuschung der Branche

Schloss Diedersdorf in Brandenburg ist offenbar eine gute Adresse für Ausflügler, Feierlustige und Tagungen. Auch der größte Biergarten des Bundeslandes mit 2000 Plätzen lockt hier wieder die Besucher. Aktuell müssen sie genesen, geimpft oder getestet sein. Übernachtet werden kann hier ebenfalls. So einladend wie das jetzt auf der Webseite aussieht, war es jedoch in den letzten zwei Jahren nicht immer. Während des ersten Lockdowns mussten Hotel und Restaurants schließen. Nur noch Speisen und Getränke zum Mitnehmen gab es.

Der Betreiber bekam Corona-Soforthilfen vom Land Brandenburg. Aber diese 60 000 Euro deckten die Ausfälle nicht ab. Eigentümer Thomas Worm und seine Tochter bezifferten ihre Einbußen mit 5438 Euro am Tag - durch entgangenen Gewinn und laufende Kosten. Die 60 000 Euro Soforthilfe hätten gerade einmal elf Tage abgedeckt. Deshalb klagte der Gastronom gegen das Land: Umsatz- und Gewinneinbrüche hätten seinen Betrieb und damit sein Eigentum beeinträchtigt. Er müsse vom Land entschädigt werden, weil die Soforthilfen die Einbußen nicht deckten. Außerdem wies der Kläger auf Ungerechtigkeiten im Infektionsschutzrecht hin: Laut einer dort enthaltenen Norm sei Entschädigung durch den Staat vorgesehen, und zwar für jene, die als Infizierte und mögliche Überträger des Virus in Quarantäne bleiben müssten und nicht arbeiten dürften. Wenn dies für Einzelne gelte, müsste es für ihn erst recht eine Entschädigung geben. Auch ohne einen Corona-Ausbruch in der Belegschaft habe er schließen und Einnahmeausfälle hinnehmen müssen.

In den Vorinstanzen - vor dem Landgericht Potsdam und vor dem Oberlandesgericht Brandenburg - hatte der Kläger mit dieser Argumentation keinen Erfolg. Beide Gerichte kamen zu dem Schluss, dass die Entschädigungsregelung aus dem Infektionsschutzgesetz hier nicht gilt. Für massenhafte Betriebsschließungen sei sie nicht gedacht, sondern nur ein Ausgleich für hilfsbedürftige Erkrankte - im Einzelfall.

Der Kläger beantragte Revision, und so musste der Fall im nächsten Schritt beim Bundesgerichtshof geklärt werden. Mündlich verhandelt wurde Anfang März, an diesem Mittwoch wurde nun das Urteil verkündet - und zwar erneut abschlägig. Im Zentrum stand die Frage, ob die Corona-Pandemie, von der die gesamte Gesellschaft betroffen ist, überhaupt auf dem Weg individueller Entschädigungsansprüche juristisch zu bewältigen ist.

Schon die Vorinstanzen hatten betont, dass es bei den Betriebsschließungen um Schäden durch die Pandemie selbst gehe - und ordneten diese als höhere Gewalt ein. Kein Gastronom oder Hotelbetreiber habe ein individuelles Sonderopfer erbracht, das einen besonderen Ausgleich erfordere. Betriebsschließungen im Lockdown seien rechtmäßig gewesen. Für wirtschaftliche Folgen sei der Sozialstaat mit seinen Sofort- und Überbrückungshilfen eingesprungen. Die Ausgestaltung solcher Ausgleichsmaßnahmen sei dem Gesetzgeber überlassen.

Bei dieser Einschätzung blieb der Bundesgerichtshof: Betroffene des Lockdown haben keinen Anspruch auf staatliche Entschädigung für ihre Einnahmeausfälle. Die Karlsruher Richter wiesen in dem Pilotverfahren die Klage gegen das Land Brandenburg ab. Und wiesen damit die Revision des Gastwirtes zurück, der zusätzlich zu den Soforthilfen 27 000 Euro Schadensersatz gefordert hatte.

Damit ist das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen. Möglich wäre nur noch eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht. Die Entscheidung hat grundsätzlichen Charakter. Die Land- und Oberlandesgerichte orientieren sich in aller Regel daran. Viele Gastronomen werden die Entscheidung als Rückschlag empfinden. Der Vorsitzende des 3. Zivilsenats des BGH wies darauf hin, dass es eine große Zahl von vergleichbaren Klagen in ganz Deutschland gebe.

Der Kläger aus Brandenburg sieht sich aber noch lange nicht am Ende seiner Möglichkeiten. Er wolle nicht aufgeben, hieß es auf seiner geschäftlichen Webseite. Man wolle die Begründung des Urteils prüfen - und dann darüber entscheiden, ob der Gang zum Bundesverfassungsgericht noch sinnvoll sei. »Wir sind der Meinung, es kann nicht sein, dass der Staat uns und die anderen Restaurants und Hotels zwangsweise schließt und uns dann dafür nicht entschädigen will.«

Das Bundesverfassungsgericht hat sich bisher nicht mit der Frage befasst, ob Lockdown-Betroffene möglicherweise eine Entschädigung bekommen müssen. Erst am Mittwoch hatten die Verfassungsrichter mitgeteilt, dass die Klage einer Hotelgruppe nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Diese hatte sich direkt ans Verfassungsgericht gewandt, hätte sich aber zunächst durch die Instanzen klagen müssen.

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