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Jenseits der planetaren Grenzen
Die chemische Verschmutzung der Erde ist außer Kontrolle geraten. Ein zwischenstaatliches wissenschaftlich-politisches Gremium soll es richten
Gefährliche Produkte des Menschen finden sich überall auf unserem Planeten: im Boden, in Flüssen und Seen, in den Weltmeeren und in der Luft. Durch Wind und Ozeanströmungen gelangen sie selbst in die entlegensten Winkel der Erde wie die Polarregionen, den Himalaja und Tiefseegräben und reichern sich dort, aufgrund der kalten Temperaturen, besonders stark an. Doch das Problem verschärft sich zunehmend: Laut einer im Januar im Fachjournal »Environmental Science and Technology« veröffentlichten Studie der schwedischen Wissenschaftlerin Linn Persson und ihres Teams ist die Produktion von Chemikalien seit 1950 um das 50-fache gestiegen, und die Europäische Umweltbehörde (EEA) prognostiziert, dass sie sich bis 2050 im Vergleich zu 2010 noch verdreifachen wird.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Rund 350 000 chemische Substanzen sind bereits im Umlauf: Kunststoffe, Pestizide, Medikamente und vielen andere Industrie- oder Alltagsprodukte. »Wir gehen davon aus, dass ein bis drei Prozent von ihnen problematische Eigenschaften für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit haben«, erklärt der Direktor des Instituts für Umweltchemie im Küstenraum am Helmholtz-Zentrum Hereon in Geesthacht, Ralf Ebinghaus. Die Geschwindigkeit, mit der neue Verbindungen in Umlauf gebracht werden, stelle ein großes Problem dar: »Um diese umfassend überwachen und bewerten zu können, fehlen uns schlicht die Möglichkeiten«, sagt er.
Persson und Kolleg*innen sehen darin ein klares Indiz dafür, dass die planetaren Grenzen für die Einbringung neuer Substanzen bereits überschritten sind. Sie beziehen sich dabei auf ein Konzept, das der Direktor des Stockholm Resilienz Zentrums, Johan Rockström, und 28 weitere Wissenschaftler*innen im Jahre 2009 entworfen haben. Danach dürfen in neun zentralen Bereichen bestimmte Schwellenwerte nicht über- oder unterschritten werden, um die Widerstandsfähigkeit der Erde als System nicht zu gefährden. Dazu zählt der Klimawandel genauso wie die Versauerung der Ozeane, die Unversehrtheit der Biosphäre oder der Süßwasserverbrauch. Anders als bei den anderen Bereichen, hatte die Wissenschaft bislang bei der Einbringung neuer Substanzen und der Belastung der Atmosphäre durch Aerosole noch keine Grenze definiert.
»Neue Substanzen« meint ebenso ganz neue Chemikalien wie neue Formen bereits existierender Substanzen oder in der Natur vorkommende chemische Elemente wie etwa Schwermetalle, die durch den Menschen mobilisiert und in Umlauf gebracht werden. Dabei gilt das Augenmerk all jenen, die langlebig, mobil oder weitverbreitet sind, sich in Organismen anreichern oder möglicherweise negativ auf vitale Prozesse des Erdsystems oder seiner Subsysteme auswirken, erklärten die Autor*innen um Rockström 2015 in einem Update. Auch die meisten Kunststoffe fallen darunter, nicht dagegen in anderen Rubriken gelistete Verbindungen wie die Treibhausgase.
Ein weiteres Indiz für ihre These sehen Persson und Kolleg*innen darin, dass chemische Schadstoffe auch weit weg von ihrem Entstehungsort gefunden werden und viele von ihnen mit physikalischen Systemen der Erde oder den Ökosystemen interagieren. Werner Brack vom Umweltforschungszentrum (UFZ) weist in einem umfangreichen Artikel in der Fachzeitschrift »Environmental Sciences Europe« zudem auf die Unumkehrbarkeit des Prozesses hin. Ein Beispiel dafür ist die Problematik des Plastikmülls.
Als Ausweg aus der Krise plädiert das Forscher*innenteam um Persson für eine vermehrte Kreislaufwirtschaft, eine strengere Regulierung von Chemikalien und klare Obergrenzen, ein internationales Chemikalien- und Plastikabkommen sowie die Schaffung eines globalen wissenschaftlichen Gremiums zur chemischen Verschmutzung nach Vorbild des IPCC.
Schon lange setzen sich Wissenschaftler*innen verschiedener Länder für ein derartiges Panel ein. UFZ-Forscher Brack verweist darauf, dass sich zwei Initiativen von Wissenschaftler*innen schon länger mit dem Thema beschäftigten. Wichtig sei aber ein offizielles zwischenstaatliches Gremium, das als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik agiere, um einen engeren Austausch zu ermöglichen und notwenige politische Maßnahmen in Gang setzt. »Mittels internationaler Gremien wie dem IPCC oder IPBES (Weltbiodiversitätsrat - d. Red.) kommt das jeweilige Thema auf die weltweite Agenda, auch wenn das Gremium selber keine politische Entscheidungsgewalt hat. Die liegt bei den Uno-Mitgliedsstaaten. Doch ich halte die Einrichtung dieser Gremien für wichtige Meilensteine«, sagt er. Auch Länder wie Großbritannien, die Schweiz oder Uruguay unterstützten diese Forderung.
Auf der fünften Konferenz der Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA) vom 28. Februar bis 2. März in Kenia wurde nun ein derartiges Panel beschlossen, ebenso wie eine Resolution zur Lösung des Plastikproblems. Diese sieht die Gründung eines internationalen Komitees von Regierungsvertreter*innen vor, die bis 2024 einen Vertrag aushandeln sollen, der rechtlich verbindliche Verpflichtungen für alle Vertragsstaaten enthält.
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»Wir brauchen einheitliche Regelungen weltweit, in dem Stil wie die Minimata-Konvention, die Konvention von Montreal oder die Stockholm-Konvention«, sagt Brack. »Außerdem brauchen wir massive Unterstützung für die Länder des Südens, um die Praktiken zu beenden, dass wir dort zu schlechteren Umweltstandards produzieren lassen.« Ein besonderes Problem stellten langlebige Stoffe dar und solche, die kontinuierlich ausgebracht werden und sich durch eine hohe Wirksamkeit auszeichnen. Erste Fortschritte sind zumindest in Europa bei den Polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS), wie sie in vielerlei Produkten, wie Outdoorjacken, beschichteten Pfannen oder Feuerlöschschäumen vorkommen. Ein Teil von ihnen wird innerhalb der EU ab 2023 reguliert, einen entsprechenden Antrag für den Rest der Stoffgruppe bereitet das Umweltbundesamt gerade gemeinsam mit anderen EU-Ländern vor.
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