Kostbares für Millionen

Wie man einen Verlag erfindet - und was sich Stefan Zweig und Anton Kippenberg dabei schrieben und dachten

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 5 Min.

Sie sprachen von »Flugschriften«. Vorerst. Irgendein Name musste ja her. Noch war alles bloß eine Idee, ein Traum, der nach seiner Verwirklichung suchte. Eine Buchreihe sollte es sein, so niveauvoll wie das gesamte Programm, gediegen und schön, nur viel, viel billiger, bloß 20 Pfennige das Stück. Stefan Zweig gefiel der Gedanke, er drängte, schickte seit Ende 1909 Brief um Brief nach Leipzig, wo Anton Kippenberg, der Chef des Leipziger Insel-Verlages, zwar Gefallen am Projekt fand, aber den Enthusiasmus seines Autors erst einmal vorsichtig bremste.

Was denn, fragte Zweig, nur sechs Hefte im Jahr? Ein Risiko konnte er nirgendwo entdecken. Er habe Material genug für Jahre, schrieb er, und er machte auch gleich Vorschläge, nannte Namen und Titel, bot sogar eine finanzielle Beteiligung an und war überzeugt, »dass Ihr Verlag dadurch einen ganz ungeheuerlichen Aufschwung nehmen wird«.

Ein Autor und ein Verleger, beide mit klangvollen Namen, im Zwiegespräch: Der Wiener Stefan Zweig (1881-1942) hatte, als er im Dezember 1905 den Briefwechsel eröffnete, schon Gedichte, Novellen, Nachdichtungen und ein Buch über Émile Verhaeren veröffentlicht. Anton Kippenberg (1874- 1950), in Bremen geboren, war gerade Leiter des Insel-Verlages geworden, dem er schon bald das markante Profil verschaffte, mit Zuspruch unterstützt von Rainer Maria Rilke, der sich noch 1905 wünschte, fortan all seine Dichtungen im Leipziger Editionshaus zu publizieren. Und von Stefan Zweig, der den Verleger, kaum dass der Kontakt hergestellt war, mit Plänen, Anregungen und Vorschlägen geradezu überschüttete.

Kippenbergs Korrespondenz mit Rilke liegt seit 1995 in zwei Bänden vor; auf den Briefwechsel mit Zweig, der vor über zehn Jahren den Freunden des Verlages mit einigen Leseproben angekündigt worden war, hat man bis jetzt warten müssen. Aber nun ist er da, und es ist ein starker, für die Verlags- und Literaturgeschichte bedeutsamer Band von rund 950 Seiten geworden, umfassend kommentiert und im Anhang mit Zweigs Arbeiten über Kippenberg, Kippenbergs Briefwechsel mit den Zweig-Erben sowie weiteren Dokumenten und Fotos ergänzt. Die Edition, eine Auswahl von 574 Briefen, Postkarten und Telegrammen, mustergültig und lesefreundlich realisiert, ist vor allem das Werk von Oliver Matuschek, der seine Vertrautheit mit Leben und Werk Stefan Zweigs schon mehrfach unter Beweis gestellt hat: mit einer Biografie, einem Briefband und einer vorzüglichen Dokumentation der Autografensammlung Stefan Zweigs.

Es brauchte ein paar Anläufe, bis Anton Kippenberg im Februar 1910 erklärte: »In Bezug auf die Flugschriften stimme ich ganz mit Ihnen überein und lasse nun bald beginnen …« Trotzdem zog sich die Angelegenheit weiter hin. Stefan Zweig witterte schon, das Vorhaben sei inzwischen begraben worden, doch dann, am 5. Januar 1912, die erlösende Nachricht aus Leipzig: »Nein, Sie irren, der Plan der Insel-Hefte ist nicht zunichte geworden. Im Gegenteil, er ist mitten in der Verwirklichung.« Nun war auch ein Name gefunden, einfach und einprägsam: Insel-Bücherei. Und die ersten 20 Titel standen fest.

Am 23. Mai schließlich, formuliert von Kippenberg, die Ankündigung im Buchhändler-Börsenblatt. Die gesamte Verlagstätigkeit solle sich in der Reihe widerspiegeln, die vor allem kleinere Werke bringen wolle, Gedichte, Novellen, Essays, Volksbücher, Reden, das Bändchen für 50 Pfennig. Kurz darauf, am 2. Juli 1912, wurden die ersten zwölf Titel ausgeliefert, gebunden in Pappe, die Deckel und Buchrücken mit farbigen Papieren überzogen. Die Nummer 1 war Rilkes »Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke«, Band 12 Flauberts »Die Sage von Sankt Julian dem Gastfreien«. Dazwischen Texte von Plato, Cervantes, Goethe, Bürger, Bismarck oder Hofmannsthal.

Da war Kippenbergs anfängliche Skepsis schon verflogen. Die Buchhändler hatten bereits im Juni das erstaunliche Interesse ihrer Kunden signalisiert und 20 000 Exemplare bestellt. Am 18. Juli meldete der Verleger in einem Brief an Stefan Zweig 50 000 verkaufte Bände. »Ich glaube«, schrieb er, »die Sammlung setzt sich durch sich selbst durch, ohne dass man im eigentlichen Sinne viel dafür zu tun braucht, man braucht sie nur inhaltlich auf der Höhe zu halten.«

Zweig ließ sich das nicht zweimal sagen. Er übernahm unaufgefordert die Rolle des Ideen- und Ratgebers, empfahl Kippenberg Frans Masereel (»Ich glaube, daß die Insel ein großartiges Werk erwerben kann«), schickte 1919 als Anregung eine ganze Liste mit Hauptwerken der Weltliteratur, gedacht für eine Bibliothek in den Originalsprachen (die sich aber nicht durchsetzen konnte und 1925 eingestellt wurde), plädierte später für die Aufnahme klassischer historischer Darstellungen in der Insel-Bücherei, lobte, mahnte, ließ nicht locker, wenn Kippenberg zögerte und nicht gleich auf seine Vorschläge einging, vergaß dabei auch nicht, auf seine eigenen Interessen als Autor zu pochen. Er war stolz, die Insel-Bibliothek mitgeschaffen zu haben. Sie schenkt, schrieb er 1924, »was an Kostbarem in Jahren gespart und gesammelt ward, an die Millionen«.

Beide zogen trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten und Irritationen am selben Strang - fordernder, ungeduldiger Zweig; bedächtiger, wägender, weil er das Ökonomische ja nie aus den Augen verlieren durfte, der Verleger; beide mit hohen Ansprüchen an die literarische Qualität und ästhetische Ausstattung der Insel-Bände.

Für Zweig war Kippenberg »ein großzügiger Mensch«, doch dann, am 30. Januar 1933, kam Hitler und mit ihm auch der Riss in ihren Beziehungen. »Von Kippenberg höre ich wenig«, schrieb Zweig wenige Wochen danach, »er wird auch seine Mühe haben, denn ich bin über Nacht aus einem Pfeiler seines Verlages jener Eckstein geworden, an dem mit Vorliebe das Bein gehoben wird.« Noch meinte er naiv, gegen ihn liege politisch nichts vor, doch die Hetze gegen Juden machte auch vor seiner Prominenz nicht halt. Neuauflagen des »Erasmus von Rotterdam« und der »Marie Antoinette« erschienen gekürzt, gesäubert von anstößigen Passagen, anderes blieb ungedruckt.

Zweig, der nach einer Hausdurchsuchung Anfang 1934 Salzburg verließ und nach London zog, suchte nun nach einem neuen Verlag. Er fand ihn noch im selben Jahr und veröffentlichte fortan im Wiener Herbert-Reichner-Verlag. Sporadische Kontakte zur Insel gab es noch bis 1936. Dann wurden seine Bücher in Deutschland verboten.

Das letzte Wort in dieser Korrespondenz hat Stefan Zweig. Ende 1937 schickte er sein druckfrisches Buch »Magellan. Der Mann und seine Tat« nach Leipzig. Aufs Vorsatzblatt hatte er mit violetter Tinte geschrieben: »Dem Verleger in getreuem Gedenken!« Das »Dem« war unterstrichen. Auf seinen Namenszug hatte er verzichtet.

Anton Kippenberg/Stefan Zweig: Briefwechsel 1905-1937, hg. v. Oliver Matuschek unter Mitarbeit v. Klemens Renolder. Insel-Verlag, 967 S., geb., 58 €.

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