- Kommentare
- Sergej Losniza
Vaterlandslos
Der Regisseur und Drehbuchautor Sergej Losniza wurde aus der ukrainischen Filmakademie ausgeschlossen
Es ist ein Musterbeispiel für eine Biografie im Vielvölkerstaat Sowjetunion: Der russischsprachige Künstler Sergej Losniza wurde 1964 in Belarus geboren, schloss die Schule in Kiew ab und siedelte 1991 nach Moskau über, um bei der berühmten georgischen Filmemacherin Nana Dschordschadse zu studieren. Aber damit schon genug der schwärmerischen – vielleicht gar verklärenden? – Nostalgie. Die Sowjetunion ist dahin, und wie es um die Völkerfreundschaft steht, das wissen wir.
Losnizas Karriere begann ohnehin erst nach Abbruch des sozialistischen Versuchs auf osteuropäischem Boden. Als international wohl bekanntester ukrainischer Regisseur hat er sich erst mit Dokumentarfilmen, seit 2010 auch mit Spielfilmen einen Namen gemacht. Es sind nicht die leichten Stoffe, die er für seine Werke wählt. Dazu ließ er sich unter anderem von dem Ausnahmeschriftsteller W. G. Sebald inspirieren, vor allem aber schöpft er aus dem reichsten Fundus tragischer Stoffe: der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Vor allem mit dem Zweiten Weltkrieg hat er sich immer wieder auseinandergesetzt.
Als nun der russische Krieg gegen die Ukraine seinen Anfang nahm, war es sicher nicht leicht für einen Künstler, der, seit mehr als 20 Jahren in Deutschland lebend, beiden Ländern auf die eine oder andere Weise verbunden ist. Losniza aber zögerte nicht, den Krieg als das zu benennen, was er ist.
Der Ukraine ist das nicht genug. Die dortige Filmakademie hat ihr prominentes Mitglied ausgeschlossen. Die vielsagende Anklage: Er habe den indifferenten Boykott gegen seine russischen Kollegen nicht unterstützt. Als Vorwurf gemeint und völlig geschichtsvergessen fiel auch das Wort »Kosmopolit«, mit dem in stalinistischer Zeit sowjetische Juden gebrandmarkt wurden. Es gehe schließlich um die »nationale Identität«.
Über Putins militärische Aggression braucht sich niemand Illusionen zu machen. Aber die »westlichen Werte«, die allenthalben im Zusammenhang mit der Ukraine beschworen werden, gehören ebenfalls einer kritischen Prüfung unterzogen. Bekenntniszwang, Ausschluss, Strafe heißen die vorzivilisatorischen Mechanismen, die in der Ukraine nicht erst seit gestern wirksam werden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.