Frauen zurück an den Herd?

Seit Beginn der Coronakrise wird vor einer Retraditionalisierung des Geschlechterverhältnisses gewarnt. Dabei kommen nicht die alten Zeiten zurück, sondern die Widersprüche im Bereich der Sorgearbeit spitzen sich zu

  • Lena Böllinger
  • Lesedauer: 9 Min.

Vor ziemlich genau zwei Jahren warnte die renommierte Soziologin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, Jutta Allmendinger, die Coronakrise gehe mit einer »entsetzlichen Retraditionalisierung« des Geschlechterverhältnisses einher. Wir würden mit Rollenverteilungen konfrontiert, die denen unserer Eltern und Großeltern ähnelten, und gleichstellungspolitisch um Jahrzehnte zurückgeworfen. Kürzlich bekräftigte Jutta Allmendinger ihre These erneut: Rund 100 Studien würden inzwischen belegen, dass die Krise für Frauen, insbesondere für Mütter, sehr viel mehr negative Konsequenzen hat als für Männer und Väter.

Zu diskutieren bleibt angesichts dieser empirischen Faktenlage allerdings nach wie vor, wie wir diese Befunde einordnen und politisch skandalisieren. Die griffige These einer Retraditionalisierung scheint zwar sehr medientauglich, sie ist jedoch völlig ungeeignet, um zu verstehen, wie die Asymmetrie zwischen den Geschlechtern heute tatsächlich zustande kommt und warum sie sich so beharrlich hält. Die Berichterstattung und Forschung zur Retraditionalisierungsthese verengt den Blick auf ungleiche Erwerbsarbeitszeiten und die Verteilung der Haus- und Sorgearbeit in den heterosexuellen Paarbeziehungen. Entlang linearer Fortschrittserzählungen wird seit zwei Jahren viel darüber gestritten, ob sich die Verhältnisse in den Familien nun re- oder enttraditionalisiert haben. Dringender und sinnvoller wäre es jedoch nachzuvollziehen, wie grundlegend sich die Art der Ausbeutung verändert hat, mit der Frauen heute konfrontiert sind.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Um das zu verstehen, genügt es nicht, kleinteilig zu zählen, wer in den Kleinfamilien wie viele Stunden Sorgearbeit leistet. Nicht dass diese Statistiken völlig irrelevant wären, das sind sie keinesfalls. Entscheidend ist jedoch die Frage, zu welchen ökonomischen, zeitlichen und sozialen Bedingungen in unserer Gesellschaft insgesamt Sorgearbeit geleistet wird. Fest steht: Die bürgerliche Vollzeithausfrau der 1950er Jahre, vor deren Rückkehr so eindringlich wie fehlgeleitet gewarnt wird, ist heute größtenteils verschwunden. Die Situation der Sorgenden - meist Frauen - ist jedoch so miserabel wie eh und je. Wie kommt das?

Das Phänomen Vollzeithausfrau

Beginnen wir zunächst einmal bei dem, worauf sich die Debatte über Retraditionalisierung implizit bezieht: die »Tradition« der Vollzeithausfrau. Tatsächlich haben wir es dabei mit einem historisch recht jungen Phänomen zu tun, das sich auch nicht besonders lange halten konnte. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts setzte sich das Ideal der Vollzeithausfrau tatsächlich in breiten Gesellschaftsschichten durch. Während des Zweiten Weltkriegs arbeiteten hingegen viele Frauen in stereotypen Männerbranchen wie der Industrie. Nach Kriegsende wurden die Frauen erneut aus der Öffentlichkeit und Erwerbsarbeit gedrängt, ihnen oblagen nun wieder ausschließlich die vermeintlich natürlichen weiblichen Tätigkeiten: Kindererziehung sowie Haus- und Sorgearbeit im Privaten. Infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs verdienten die meist männlichen Arbeiter und Angestellten einen relativ hohen »Familienlohn«, von dem die gesamte Familie leben konnte. Bekanntlich erodierte dieses Arrangement bereits in den 70er Jahren abermals. Einerseits stagnierte das wirtschaftliche Wachstum, andererseits wehrten sich Frauen gegen ihre isolierte Existenz als Hausfrau und die selbstverständliche gesellschaftliche Inanspruchnahme ihrer reproduktiven, sexuellen und sorgenden Tätigkeiten.

Im Jahr 1972 gründete Mariarosa Dalla Costa gemeinsam mit anderen Frauen in Italien das »International Feminist Collective«, aus dem die internationale Kampagne »Lohn für Hausarbeit« hervorging. Auch in der BRD bildeten sich 1975 Lohn-für-Hausarbeit-Gruppen. Wie kamen die Frauen zu ihrer Forderung? Das zentrale Argument war, dass die unbezahlte Hausarbeit der Frauen weder natürliche Regung qua Mutterinstinkt noch ausschließlicher Liebesdienst war, sondern einen handfesten ökonomischen Faktor darstellte, der die kapitalistische Produktion überhaupt erst ermöglichte. Bevor Arbeiter in Fabriken und Angestellte in Büros Gewinn erwirtschaften können, müssen sie erst einmal geboren, gepflegt, geliebt, erzogen und versorgt werden, so die simple wie unmittelbar einleuchtende These. Obwohl diese Tätigkeiten demnach die eigentliche Grundlage der Wirtschaft darstellen, wurden sie als außerökonomische Tätigkeiten abqualifiziert.

Die Arbeit der Frauen galt schlicht nicht als Arbeit, sondern als eine Art dauerverfügbare Ressource, an der man sich gesellschaftlich und individuell scheinbar endlos bedienen konnte. Dagegen begehrten die Frauen als Hausfrauen auf. In der Kampagne waren erwerbstätige und nicht erwerbstätige Frauen aktiv, Lesben und Heteras, Sexarbeiterinnen, Verheiratete und Unverheiratete, Migrantinnen und Frauen of Colour. Sie distanzierten sich weder rhetorisch noch praktisch vom fürsorglichen Tätigsein - sie wussten sehr wohl, dass ihre Arbeit gesellschaftlich notwendig und wertvoll war. Zugleich stand den Frauen die Zumutung des Phänomens, das wir heute Doppelbelastung nennen, deutlich vor Augen: »Wir lehnen jede ›Alternative‹ ab, bei der wir an eigenes Geld nur um den Preis von Mehrarbeit kommen«, ließen etwa Berliner Aktivistinnen in der Zeitschrift »Courage« verlautbaren. Ebenso wenig wollten sie sich mit einem Taschengeld oder einer kleinen Herdprämie abspeisen lassen und weiter ein Hausfrauendasein in gesellschaftlicher Isolation verbringen. Sie forderten sowohl eine andere gesellschaftliche Organisation der Sorgearbeit als auch eine ökonomische Kompensation.

Neue Probleme im Neoliberalismus

Heute muss man leider feststellen, dass dieser Kampf - vorerst - verloren wurde. Vielmehr hat sich die Prognose einer »Hausfrauisierung der Arbeit« bewahrheitet. Die Soziologinnen Maria Mies, Veronika Bennholdt-Thomsen und Claudia von Werlhof prophezeiten damit bereits in den 80er Jahren die neoliberale Deregulierung und Prekarisierung der meisten Arbeitsverhältnisse. Im Zentrum steht die These, dass sie sukzessive so behandelt werden, als handele es sich um Hausfrauenarbeiten. Sie gelten dann tendenziell entweder als wertlos oder als eine Art Zuverdienst. Die kapitalistische Verwertung kann so nahezu unentgeltlich auf diese Arbeit zugreifen. Der Profit und das gute Leben einiger weniger werden auf Kosten der schlecht oder unbezahlt Arbeitenden ermöglicht.

Tatsächlich gerieten Familien in den vergangenen Jahrzehnten finanziell sehr unter Druck. Ein Lohn reicht heute nicht mehr für die ganze Familie. Frauen wollen und dürfen heute nicht nur einer Erwerbsarbeit nachgehen - sie müssen es auch. Durch diesen Ressourcenabzug aus den Haushalten fehlt den Familien allerdings zunehmend Zeit, um überhaupt adäquat Sorge- und Hausarbeit leisten zu können. Zusätzlich kam es zu einer symbolischen Entwertung dieser Arbeit. Die Historikerin und Philosophin Tove Soiland bemerkt hierzu: »Ohne das ältere, fordistische Zeitalter verteidigen zu wollen: Es scheint mit seiner konservativen Familienideologie wenigstens noch akzeptiert zu haben, dass es diese Tätigkeiten gibt und dass sie notwendig sind. Im Zuge der Emanzipation der Frauen wurde diese Akzeptanz des füreinander Sorgens jedoch in den Hintergrund gedrängt. (…) Ich stelle immer wieder fest, dass junge Frauen fast etwas verschämt formulieren, dass sie eigentlich gerne bei ihren Kindern sind.« Diese Entwicklung ist mit der These einer vermeintlichen Enttraditionalisierung der Verhältnisse, die man dann vor einer erneuten Retraditionalisierung bewahren müsste, nur unzureichend beschrieben. Vielmehr handelt es sich um eine schwer durchschaubare, weil verdeckte Verschärfung der Ausbeutung von Frauen als Sorgenden.

Selbst dort, wo Sorgearbeit heute bezahlt wird, haben wir es eher mit einer pervertierten Karikatur dessen zu tun, wofür Feministinnen gekämpft haben. Zwar ist Sorgearbeit heute als Beruf und Lohnarbeit durchaus anerkannt, aber die Arbeitsbedingungen sind katastrophal und die Löhne mies. Die Ökonomin Mascha Madörin weist darauf hin, dass das kein Zufall ist. Das Problem seien die divergierenden Arbeitsproduktivitäten wertschöpfungsstarker und wertschöpfungsschwacher Sektoren: In wertschöpfungsstarken Sektoren wie zum Beispiel in der Automobilindustrie lässt sich die Arbeitszeit verdichten, technische Innovationen können die Produktion beschleunigen oder Personal ersetzen. All das senkt die Produktionskosten, steigert die Wertschöpfung und erhöht letztlich den Profit.

Im Gesundheits-, Pflege- und Erziehungssektor ist das nicht in gleichem Maße möglich. Die Kosten scheinen daher ständig zu explodieren. Um sie dennoch zu drücken, spart man am Personal und an der Bezahlung der Arbeitenden. Die Konsequenzen sind bekannt: auf der einen Seite schlechte Versorgung und Verwahrlosung der Sorgebedürftigen. Auf der anderen Seite Überlastung, Burn-out, Armut bei den Sorgenden, die noch dazu ein chronisch schlechtes Gewissen haben, den Bedürfnissen der Sorgeempfangenden nicht gerecht zu werden. Die ehemaligen Vollzeithausfrauen verdienen jetzt ihr eigenes Geld, und zwar unter miserablen Bedingungen. Der Sparzwang im Sorgesektor hält sie zudem auch noch dazu an, die daraus resultierende Misere in unbezahlten Überstunden und privater, unbezahlter Arbeit abzufedern.

Auch hier kommt man mit der Klage über retraditionalisierte Geschlechterverhältnisse nicht weiter, denn diese Art der Zumutung in einem stetig wachsenden, profitorientierten und extrem prekarisierten Sorgesektor ist neu. Wir müssen diese Veränderungen in ihrer Neuheit begreifen, um dagegen vorgehen können. Der furchtsame Blick in die Vergangenheit, von der wir glauben, sie könne uns wieder einholen, hilft da nicht weiter.

Globale Betreuungsketten

Zu all dem kommt noch ein Phänomen hinzu, das die feministische Forschung als »globale Betreuungsketten« bezeichnet. Wenn Frauen heute auch einer Erwerbsarbeit nachgehen, entsteht in den Privathaushalten eine Sorgelücke, die häufig von migrantischen Hausarbeiterinnen aufgefangen wird. Die Migrantinnen hinterlassen dabei zugleich Sorgelücken in ihren Herkunftsländern, die dort wiederum von Frauen aus noch ärmeren Ländern kompensiert werden. Das Problem verschiebt sich so entlang des zwischenstaatlichen Armutsgefälles, und der Sorgenotstand trifft am Ende aus globaler Perspektive die Ärmsten. Deutschland zählt zu den Ländern mit der höchsten Zahl osteuropäischer »Live-ins«. Das sind Arbeitsarrangements, bei denen die Sorgende permanent bei den Sorgeempfangenden wohnt. Die Beschäftigungsverhältnisse sind extrem prekarisiert und dereguliert. Gesellschaftliche Isolation, Anonymität, Entrechtung und Abhängigkeit dieser Frauen übertreffen in vielen Fällen vermutlich das Ausmaß der Ausbeutung, mit der die Vollzeithausfrau der 50er Jahre konfrontiert war.

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Die Situation von Frauen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zweifelsohne sehr verändert. Die beschriebene historische Entwicklung ist aber gerade keine lineare Fortschrittsgeschichte. Folglich ist es politisch weder sinnvoll noch ausreichend, nun lediglich vermeintliche Erfolge zu verteidigen oder vor einem »unabgesicherten Rückfall in alte Zeiten« zu warnen, wie es Jutta Allmendinger und viele andere tun. Wir haben es derzeit weniger mit einem »Rollback« als vielmehr mit einer Zuspitzung und drastischen Verschärfung bisheriger Missstände zu tun. Denn eines hat sich in all den Jahren nicht verändert: Die Sorgearbeit gilt heute wie seit eh und je als quasi dauerverfügbare, weiblich konnotierte Ressource, an der man sich gesellschaftlich beliebig bedienen zu können glaubt. Selbst dort, wo sie bezahlt wird, ist sie einem brutalen Spardruck ausgesetzt, der es ermöglicht, dass diejenigen, die Profite einstreichen, sich nur minimal an den Kosten für die Aufrechterhaltung des Lebens und des sozialen Miteinanders beteiligen müssen.

Das Schreckgespenst der bürgerlichen Vollzeithausfrau, vor dem in der Retraditionalisierungsdebatte so einmütig gewarnt wird, ist damit eher ein Phantom als eine reale Bedrohung. Die Verhältnisse haben sich ideologisch und ökonomisch so grundlegend gewandelt, dass kein simpler »Rückfall« und kein »Rollback« anstehen. Das ist allerdings keine gute Nachricht: Frauen müssen heute keine Angst haben, dass sie an den Herd zurückgeschickt werden, sondern vielmehr, dass sie als chronische Burn-out-Patientinnen in der Klinik landen. Der eigentliche Skandal besteht nicht darin, dass Frauen mehr Sorgearbeit leisten als Männer, sondern darin, dass die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse Sorgende - egal welchen Geschlechts - in körperliche und psychische Erschöpfungszustände treiben, sie prekarisieren und ihnen ein Leben in Altersarmut in Aussicht stellen.

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