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Hundert Milliarden bessere Vorschläge

Friedensbewegte loten auf einem Treffen in Kassel aus, was sie dem Wettrüsten entgegensetzen können

Wohl kaum jemals stand die Friedensbewegung so sehr mit dem Rücken zur Wand wie jetzt. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar scheint die Welt eine andere zu sein. Die Invasion hat ins Bewusstsein gerückt, wie sehr die Macht des Stärkeren präsent ist und der Versuch einer friedlichen Konfliktlösung als Schwäche ausgelegt wird. Folglich wird der Ruf nach einem militärischen Schutz angesichts des aggressiven russischen Verhaltens immer lauter. Ausgerechnet jetzt tritt die antimilitaristische Initiative »Rheinmetall entwaffnen« in Erscheinung und versucht Impulse in der Friedensbewegung zu setzen.

Am Sonnabend fand in Kassel eine Konferenz statt, um Gemeinsamkeiten mit anderen linken Initiativen auszuloten. Der Ort ist mit Bedacht gewählt, sagte Lukas Barlian von »Rheinmetall entwaffnen«. Denn gleich zwei Waffenschmieden haben in Kassel Produktionsstätten. Neben Rheinmetall fertigt dort auch Krauss-Maffey Wegmann Kriegsgerät. Von den Plänen zur massiven Aufrüstung der Bundeswehr werden beide Konzerne wohl profitieren. Mit Wehrtechnik lässt sich Geschäfte machen, die Branche boomt.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

»Militarisierung ist keine Solidarität« – dieser Slogan stand auf einem Banner während der Konferenz, an der trotz vieler pandemiebedingter Ausfälle rund 150 Besucherinnen und Besucher teilnahmen. Damit solle darauf hingewiesen werden, sagte Barlian, dass es eine »Kurzschlussreaktion« sei, sich mit militärischem Potenzial vor Bedrohungen zu schützen. Tatsächlich scheint die Abschreckung durch Massenvernichtungswaffen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zwar zu einem Kalten Krieg führte, aber eine Eskalation der Supermächte verhindert hat, nunmehr an einem seidenen Faden zu hängen.

Mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs habe sich das gesellschaftliche Klima auch in Deutschland verändert, meinte Barlian. »Wenn wir vor zwei Jahren vor einer Waffenschmiede demonstriert haben, lautete die Kritik, dass wir damit Arbeitsplätze gefährden würden«, erzählte er. »Jetzt heißt es dagegen: Wollt ihr uns etwa den Russen ausliefern?« Dabei seien nur die Aggressoren im Kreml für die Eskalation verantwortlich, sondern auch die westlich geprägten Gesellschaften. Das war Konsens auf der Konferenz. »Wenn wir gegen Krieg sind«, sagte Barlian, »dann müssen wir auch gegen die kapitalistische Gesellschaft vorgehen.« Weil diese ganz archaisch das Recht des Stärkeren zementiert, der sich durchsetzt, während die Schwachen auf der Strecke bleiben.

Mit der Konferenz sollten Schnittmengen zwischen den Initiativen ausgelotet werden. Eine gibt es mit der Klimaschutzbewegung. »Viel Veränderung hat es in den letzten Wochen gegeben«, sagte die Aktivistin Tamara Rewald aus Bremen. Am Freitag wurde beim Aktionstag von Fridays for Future offensichtlich, dass die Umweltschutzbewegung auch friedenspolitische Grundsätze verfolgt. »Wenn ein Leopard-Panzer auf 100 Kilometer 530 Liter Sprit braucht, dann liegt es auf der Hand, dass das klimaschädlich ist«, sagte Rewald. Es wäre aber sinnlos, sauberes Kriegsgerät zu fordern, sondern es dürfe gar keins geben. »Schon alleine deshalb, weil Gesellschaften gar nicht über die Ressourcen verfügen, um Kriegszerstörung wieder zu beseitigen.«

Natürlich befürwortet Rewald das Embargo von russischen Energielieferungen, um die Kriegskasse des Kreml zu beschneiden. Aber es brauche sowieso einen raschen Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung.

Kerstin Pfeiffer von der »Frauen-Lesben-Gruppe Frankfurt« und »Women defend Rojava« fand den 27. Februar bemerkenswert, als es im Bundestag eine sehr weitgehende Einigkeit über 100 Milliarden Euro Investitionen für die Bundeswehr gab. »Da wird mit dem Finger geschnipst, und schon gibt es eine gigantische Aufrüstung. Das ist verblüffend und ein Zeichen dafür, dass diese kriegerische Mentalität nie weg war.« Pfeiffer sieht in der derzeitigen Eskalation ausgeprägte patriarchale Muster auf allen Seiten und kritisiert überkommende Hierarchien und Ausbeutungsverhältnisse. Die müssten grundlegend hinterfragt und aufgelöst werden.

Barbara Happe von der Berliner Nichtregierungsorganisation »Urgewald« beobachtet schon seit Jahren das Treiben der Rüstungsindustrie und teilt nicht die Auffassung, dass die Bundeswehr vernachlässigt worden sei. Vielmehr sei bereits seit Längerem eine schleichende Aufrüstung zu erkennen. Betrug der Rüstungsetat 2014 noch 39,9 Milliarden Euro, so waren es 2020 schon 52,8 Milliarden. Verblüffend findet sie, dass jetzt bewaffnete Drohnen und neue Kampfflugzeuge angeschafft werden sollen, womit auch eine atomare Teilhabe der Bundeswehr möglich sei. »Das alles geschieht, ohne dass darüber diskutiert wird.« Fast erscheint es ihr, als habe die Rüstungsindustrie nur auf einen solchen Moment gewartet, um tätig zu werden. Wichtiger denn je sei es daher, dass sich eine neue Friedensbewegung formiert. Happe verlangt dabei ein klares Bekenntnis zur Ablehnung des 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögens, das für die Aufrüstung verwendet werden soll.

Dies haben kürzlich auch rund 600 Prominente aus Kunst, Wissenschaft und Politik in einem Appell geäußert. Das Geld, was man für Waffen ausgebe, sagte Klaus Dörre, Soziologe an der Uni Jena, der den Aufruf unterzeichnete, werde anderswo fehlen. Die Initiative befürchtet, dass wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels auf der Strecke bleiben und auch im sozialen sowie kulturellen Bereich gekürzt werden könnte. Hierbei gibt es eine Schnittmenge mit den linken Gruppen, die sich zu der Aktionskonferenz in Kassel getroffen haben.

Das Treffen war eigentlich schon länger und unabhängig von dem russischen Angriffskrieg geplant. Für Lukas Barlian war es deshalb auch ein Anliegen, nicht nur über den Krieg zu reden, was eine verengte Diskussion gewesen wäre. Das Ziel der Konferenz war vielmehr geradezu utopisch: In Diskussionen und Workshops sollte ausgelotet werden, wie ein gesellschaftlicher Aufbruch jenseits von kriegerischen Handlungen aussehen könnte. Dafür, erklärte Barlian, brauche es neben einer antimilitaristischen Haltung auch eine umweltfreundliche Politik. Zudem eine, die das Patriarchat aufbreche und sich gegen eine Abschottung der wohlhabenden Staaten wende. Tatsächlich hat das Treffen verschiedene Akteure aus dem linken Spektrum zusammengebracht, um gemeinsam für eine solche Gesellschaft einzustehen.

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