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Norddeutsch gelassen

Die Linke kämpft trotz schlechter Umfragen um den Einzug in den Kieler Landtag

  • Robert D. Meyer, Kiel
  • Lesedauer: 4 Min.
Knigge-Blietschau räumt auf der Bühne offen ein: "Wir sind zu wenige."
Knigge-Blietschau räumt auf der Bühne offen ein: "Wir sind zu wenige."

Eisiger Wind pfeift über den Asmus-Bremer-Platz. Normalerweise sind an einem Freitagnachmittag in der Kieler Innenstadt viel mehr Menschen unterwegs. Doch einstellige Temperaturen laden kaum zum Flanieren durch die Einkaufsstraße ins Stadtzentrum ein. Wer heute hier einkauft, überlegt es sich genau, auch nur kurz stehenzubleiben. Der Frühling, eigentlich längst an der Förde angekommen, legt eine kurze Pause ein.

Als Norddeutsche sind die Genoss*innen der Linkspartei in Schleswig-Holstein solche Wetterkapriolen gewöhnt. Doch es wirkt, als wolle an diesem Tag selbst Petrus ihnen das Leben noch schwerer machen als es sowieso bereits ist. Optimale Bedingungen für einen Wahlkampfauftakt sehen anders aus.

Johann Knigge-Blietschau ficht das nicht an. Bekleidet mit dicken Mantel und rotem Schal betritt er die Bühne. Gleich zu Beginn seiner Rede spricht der 53-Jährige Tacheles. Er werde jetzt nicht sagen, dass er sich freue, so viele Menschen zu sehen. »Wir sind viel zu wenige«, stellt Knigge-Blietschau nüchtern fest. Tatsächlich wäre es schmeichelthaft zu behaupten, der Platz im Herzen Kiels sei an diesem Nachmittag wenigstens zu einem Viertel mit Zuhörenden gefüllt. Zeitweise dürften mehr Genoss*innen anwesend sein als potenziell zu überzeugende Wähler*innen. Und das, obwohl auch die beiden Bundesvorsitzenden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow angereist sind.

Diese Kieler Episode illustriert, in welcher Ausgangssituation sich Die Linke in Schleswig-Holstein fünf Wochen vor der Landtagswahl befindet. Nur einen Tag vor dem Wahlkampfauftakt veröffentlichte der Norddeutsche Rundfunk eine Umfrage, die Linkspartei wird darin erstmals nicht mehr gesondert ausgewiesen, sondern läuft nur noch unter den Sonstigen. Für die weitere mediale Wahrnehmung verheißt das nichts Gutes.

Darauf angesprochen, lacht Knigge-Blietschau. Da hilft nur norddeutsche Gelassenheit. »Uns bläst der kalte Wind im wahrsten Sinne ins Gesicht«, scherzt der Lehrer. Er kandidiert auf Platz zwei der Landesliste. Auf der Spitzenposition steht Susanne Spethmann, Krankenpflegerin aus Ostholstein und Co-Landesvorsitzende der Linkspartei.

Optimismus, trotz schlechter Umfragen und mieses Wetters, heißt es bei der Linkspartei
Optimismus, trotz schlechter Umfragen und mieses Wetters, heißt es bei der Linkspartei

»Ich bin davon überzeugt, dass wir ein Angebot machen können, dass das Leben besser machen kann«, sagt Knigge-Blietschau. In der Aussage mag auch Zweckoptimismus liegen, doch man nimmt ihm seine Begeisterung ab. Knigge-Blietschau ist erst seit fünf Jahren bei der Linken, kein Berufspolitiker, sondern Lehrer aus Kiel, der leidenschaftlich für die Chancengleichheit aller Kinder streitet. Sein großes Thema: längeres, gemeinsames Lernen. »Es gibt keinen Grund, die Kinder nach vierten Klasse aufzuteilen«, ist der Pädagoge überzeugt. Mit dieser Forderung hebt sich die Linke von den anderen Parteien ab, auch von der SPD.

Im Gegensatz zur Linkspartei sind die Sozialdemokrat*innen als Opposition im Landtag vertreten, belegen in den meisten Umfragen Platz zwei hinter der CDU und träumen davon, dass ihr Spitzenkandidat Thomas Losse-Müller Ministerpräsident werden könnte. Solch starke Konkurrenz macht es der Linken nicht leichter, Knigge-Blietschau sieht jedoch klare inhaltliche Unterschiede, etwa mit der Forderung, Energieversorgung, Wohnraum und die Gesundheitsversorgung deutlich stärker in kommunalen Unternehmen zu organisieren. Allerdings und das trifft positiv nicht nur auf den 53-Jährigen zu, mangelt es der Linken in Schleswig-Holstein an jeglichen Anflug eines oft vom politischen Gegner zu gerne unterstellten ideologischen Dogmatismus.

Wie zum Beweis unterscheidet sich auch die Wahlkampagne optisch stark von denen aller anderer Parteien und dem, wie die Linkspartei in vielen anderen Landesverbänden auftritt. Die Plakate haben etwas comichaftes, ein buntes, fröhliches Wikingerkind ist ebenso Motiv wie ein bärtiger, alter Seefahrer im Rollstuhl. »Wir waren uns einig, ein positives Verständnis davon zu formulieren, wie wir uns die Welt besser vorstellen«, beschreibt Knigge-Blietschau das Konzept. »Wir müssen von diesem Miesepeter-Image wegkommen, von diesem erhobenen Zeigefinger, andere zu belehren und es immer besser zu wissen.« Sein Hinweis richtet sich auch an die gesamte Linkspartei. Wenig überraschend belasten deren anhaltende Querelen auch den Wahlkampf in Schleswig-Holstein. Vor Ort macht machen es sich die Verantwortlichen dennoch nicht so leicht, schlechte Umfragezahlen allein auf die Bundespartei abzuwälzen.

Während auf der Bühne ein Musiker mit seiner Gitarre die trotz Kälte ausharrenden Zuhörer*innen unterhält, erzählt Knigge-Blietschau davon, wie schwer es in dem norddeutschen Flächenland für die Partei jenseits von Städten wie Kiel oder Flensburg ist. »Manche Kreisverbände sind so schwach aufgestellt, dass sie fast nicht mehr existieren.« In Nordfriesland etwa lässt sich die Zahl der aktiven Mitglieder an einer Hand abzählen. »Mir ist durch diesen Wahlkampf noch einmal bewusst geworden: Ehrenamtliche Strukturen haben ihre Achillesferse. In dem Moment, wo die wenigen Aktiven keine Zeit haben, kannst du bestimmte Dinge einfach nicht machen.«

Zöge die Linke in den Kieler Landtag ein, ließen sich mehr professionelle Strukturen aufbauen. Doch wie es Knigge-Blietschau selbst zutreffend beschreibt: Aktuell bläst der der Linken ein kalter Wind hart ins Gesicht.

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