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Fataler Kahlschlag
Wie Menschen in Kenia einen Bergregenwald aufforsten wollen
Vorsichtig setzt Loni Chepkoria einen Baumsetzling in das Pflanzloch, dann tritt sie mit ihren schwarzen Gummistiefeln die Erde um das Pflänzchen fest. Schon reicht ihr jemand den nächsten kleinen Baum, während andere mit ihren Hacken weit ausholen und in die trockene Erde schlagen, um weitere Setzlöcher zu graben. «Wir pflanzen schon seit fast zwei Wochen», erzählt die 24-Jährige. Sie lebt im Südwesten Kenias, in einem Gebiet, das früher komplett von einem Bergregenwald bedeckt war, dem Mau-Wald. In den vergangenen Jahrzehnten hat er rund ein Drittel seiner Fläche verloren. Immer noch ist er der «Wasserspeicher» des ostafrikanischen Landes mit seinen gut 50 Millionen Einwohnern. Hier oben entspringen mehrere Flüsse, unter anderem der Mara, der auch für die Menschen im benachbarten Tansania eine wichtige Lebensader ist.
Es ist frisch hier oben, Loni und die anderen 40 Helferinnen und Helfer arbeiten auf einer Höhe von etwa 2600 Metern über dem Meer. «Wir brauchen den Wald», erklärt Loni, die ihre Arbeit für ein kurzes Gespräch unterbrochen hat. «Die Regenmenge habe ihn den vergangenen Jahren spürbar abgenommen und damit auch der Ertrag ihrer Felder. Loni hält die massive Abholzung für den Grund. Wie die meisten Menschen in der Region lebt Lonis Familie von der Landwirtschaft. Die Familie baut vor allem Mais an, hat außerdem ein paar Hühner und anderes Kleinvieh. Loni hofft, dass es wieder mehr regnen wird, wenn die abgeholzten Flächen erneut mit Wald bedeckt sind. »Das wird uns im Alltag helfen«, ist sie überzeugt.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Sie und die übrigen pflanzen einheimische Baumarten: die Rote Zeder, die sogenannte Afrikanische Kirsche oder Olea africana, eine Oliven-Unterart. Die Männer und Frauen arbeiten Hand in Hand in einer Reihe nebeneinander: Die einen hacken Pflanzlöcher und orientieren sich an einem gespannten Seil, damit die Bäume später in einer Reihe stehen. Die anderen stellen die Setzlinge in die Löcher, treten die Erde fest. Wenn die Reihe fertig ist, schreiten alle auf Zuruf einen großen Schritt nach vorne, graben dort nebeneinander die nächsten Löcher. Dafür bekommen sie etwas Geld, umgerechnet 2,60 Euro am Tag. Die Pflanzaktion wird von der Umweltschutzorganisation WWF unterstützt. Aber sie komme nicht wegen des Geldes, versichert Loni, sondern aus Überzeugung.
An diesem Morgen ist Joseph Towet gekommen, um den Fortschritt der Arbeiten zu begutachten. Er ist hier aufgewachsen und erzählt, hier habe noch in den 70er Jahren Baum neben Baum gestanden. »Spätestens nach 100 Metern hast du einen Leopard gesehen«, behauptet er. »Jetzt gibt es hier nur noch Schafe, Ziegen und Kühe.« Towet ist einer von mittlerweile Hunderten Waldanrainern, die den Mau-Wald schützen und wieder aufforsten wollen. Sie haben sich in mehreren Verbänden zusammengeschlossen, kümmern sich um unterschiedliche Abschnitte des riesigen Gebietes. Die Setzlinge, die Loni Chepkoria und die anderen Helferinnen und Helfer heute in die Erde bringen, wurden in der Baumschule des Verbandes gezogen, den Towet leitet. Überraschend schaut auch Cherus Korir vorbei. Mit Baseballkappe und Polohemd sieht man ihm nicht an, dass er für die Regierung des hiesigen Landkreises Bomet arbeitet. Korir leitet die Tourismusbehörde und möchte sich ebenfalls angucken, welche Fortschritte die Pflanzaktion macht. Sein Interesse am Wald habe sich erst mit der Zeit entwickelt, räumt Korir ein. »Mir ist klargeworden, dass die Tourismusbranche nur gedeiht, wenn die Umwelt intakt ist«, erklärt er. »Wald ist meist Lebensraum für Wildtiere, und Wildtiere wiederum sind hier in Kenia ein Schlüssel für die Entwicklung des Tourismus.« Deshalb bemühe sich die Regierung des Landkreises inzwischen sehr darum, die Umwelt und damit den Lebensraum für Wildtiere zu erhalten.
Der neue Blick auf die Bedeutung der Natur schlug sich in den kenianischen Gesetzen nieder: Seit 2016 garantiert ein Waldgesetz den Anrainern Mitsprache bei der Frage, wie ihr Wald erhalten werden soll. Ob also auf den staatlichen Flächen bei der Aufforstung einheimische Baumarten gepflanzt werden sollen oder exotische, die womöglich schnell wachsen, früher geschlagen werden können und der Regierung schnelles Geld bringen. »Bevor 2016 das Waldgesetz verabschiedet wurde, hat sich die Regierung bei der Aufforstung auf Plantagen mit exotischen Arten konzentriert«, erzählt Korir. »Aber wir haben erkannt, dass wir den Wald am besten erhalten können, wenn wir ihn mit einheimischen Arten wiederherstellen. In unserem neuen Ansatz des Umweltschutzes wollen wir bei allem möglichst naturnah vorgehen.«
An einem anderen Ende des Mau-Waldes ist Richard Langat damit beschäftigt, Tausende Baumsetzlinge mit Gießkannen zu wässern. Dafür brauchen er und die anderen Helferinnen und Helfer morgens und abends je drei Stunden, sagt er, denn das Wasser muss aus dem nahen Fluss geholt werden. Eine mühsame Aufgabe. Langat ist Bauer, sein kleines Feld liegt in der Nähe des Mau-Waldes. In der Baumschule arbeitet der hagere Mann, der eigentlich nicht viel spricht, nebenbei und ehrenamtlich. Er ist Mitglied eines anderen Verbandes als Towet, aber die Ziele sind die gleichen: Die Mitglieder wollen die Zerstörung des Waldes stoppen und Kahlschlagflächen wieder aufforsten. Während Langat gießt, räumen einige andere Männer und Frauen in der Baumschule auf. Gestern haben sie Hunderte Setzlinge umgetopft, jetzt sammeln sie die leeren Töpfchen auf und fegen die Wege zwischen den Beeten. Langat arbeitet konzentriert und voller Hingabe. »Ich möchte anderen in der Gegend ein Vorbild sein«, beschreibt er die Gründe für seinen Einsatz. »Wir geben den Leuten unsere Setzlinge, damit sie später ihr Feuerholz von diesen Bäumen schlagen, statt in den Wald zu gehen und dort illegal zu roden.« In der Baumschule werden auch Obstbäume gezogen. »Die geben wir ihnen, damit sie die Früchte später verkaufen können. Wenn sie auf andere Weise Geld verdienen, müssen sie den Wald nicht länger zerstören.«
Viele Anrainerinnen und Anrainer treibt die nackte Armut dazu, illegal Bäume zu fällen. Denn dann können sie Feuer- oder Bauholz verkaufen. Wer die Umwelt schützen will, muss deshalb den Menschen zu anderen Einkommensquellen verhelfen. In der Baumschule können die Anwohner Setzlinge sehr billig kaufen und später mit dem Holz oder den Früchten Geld verdienen. Die übrigen Setzlinge pflanzen die Verbandsmitglieder selbst auf Kahlschlägen im Wald oder am Flussbett. Dort legen sie vor allem Bambuswälder an, die später als Bau- und Brennholz geerntet werden können. Auch das ist eine Alternative zur illegalen Nutzung der Bäume im Wald. John Mutai leitet den Verband von Nyangores, zu dem auch Langat gehört. »Früher dachten wir, dass der Wald der Regierung gehört, und aus unserer Sicht hatte die Regierung mit uns nicht das Geringste zu tun«, erinnert er sich. »Wenn wir den Wald zerstörten, war uns nicht bewusst, dass wir uns selbst Schaden zufügen.« Inzwischen hätten sie verstanden, dass der Wald allen gehört, »und dass wir alle ihn schützen müssen«. Er selbst spüre die Folgen der Waldzerstörung bereits am eigenen Leib, sagt Mutai. Früher habe er auf seinem Feld 30 Säcke Mais geerntet, nun sei es weniger als die Hälfte. »Weil sich das Wetter geändert hat, produzieren wir weniger.«
Mutai hat außer seinen 10 000 Quadratmetern Boden fünf Kühe und vier Legehennen. Der 54-jährige Bauer denkt gerne in größeren Zusammenhängen: Er hat ein Diplom als Bauingenieur, aber wie so viele qualifizierte Arbeitskräfte in Kenia fand er in seinem Beruf keine Stelle. Also kehrte er in sein Dorf zurück und wurde Landwirt. Als er Naturschutzorganisationen über die Gründe für die Trockenheit reden hörte, überzeugte ihn das, und auch er verschrieb sich dem Umweltschutz. »Im Leben muss man sich verändern, sonst wird man von den veränderten Verhältnissen verändert«, beschreibt er seine Überzeugung. »Ich bin für Neues immer offen. Wenn ich etwas anders machen kann - immer gern.«
Ideen hat John Mutai genug, für vieles fehlen bislang die Mittel. Vom WWF und anderen Organisationen bekommen die Verbände der Waldanwohner etwas Unterstützung, die meiste Arbeit leisten sie selbst. Ein bisschen leichter sei ihr Engagement geworden, sagt Mutai, weil mittlerweile auch die Regierung verstanden habe, was auf dem Spiel stehe - ganz so, wie auch Cherus Korir beschrieben hat. »Früher haben die Leute von der Waldbehörde beide Augen zugedrückt, wenn sie illegale Holzfäller erwischt haben«, meint Mutai. »Für ihre ›Blindheit‹ haben sie sich mit Tee oder Geld bezahlen lassen, sie waren kurz gesagt … korrupt.« Mutai lacht kurz, denn er spricht damit aus, was alle wissen, aber ungern offen benannt wird. »Jetzt können sie so etwas nicht mehr durchgehen lassen, weil wir die Ranger bei ihren Vorgesetzten zusammen mit den Holzdieben anzeigen können. Deshalb ist der illegale Holzeinschlag deutlich zurückgegangen.«
Ein Teil des Mau-Waldes ist noch intakt. Hier ist die Luft feucht, der Boden schwer von Wasser. Wenn Mutai deprimiert ist, steigt er in seine Gummistiefel und zieht sich in den dichten Bergregenwald zurück. Schon nach zwei Metern ist von der Straße nichts mehr zu hören, Mutai in einer anderen Welt. Die Luft ist feucht, der Boden nass und schwer. Moos bedeckt die Stämme der Bäume. »Mindestens einmal in der Woche ziehe ich mich hierher zurück. Hier komme ich zur Ruhe, der Wald ist meine Leidenschaft.« Mutai bleibt stehen, lauscht den Vögeln, hört das Wasser auf die Blätter tropfen. Dann zeigt er auf einen großen Haufen mit Dung. »Das sind die Hinterlassenschaften von Elefanten«, stellt er fest. »Davon haben wir hier sehr viele.« Mutai freut sich über die Haufen, die Waldelefanten sind für ihn ein Zeichen dafür, dass die Natur hier noch halbwegs in Ordnung ist. Manchmal nimmt er Ökotouristen auf Touren durch den Mau-Wald mit. Er hofft, dass sich künftig noch mehr Reisende für Bergregenwald interessieren. Dann hätten die Anwohner eine weitere Einnahmequelle, und Mutai könnte seine Leidenschaft öfter mit anderen teilen.
Die Recherche ist im Rahmen des Projekts »Countdown Natur« der Riff-Reporter entstanden und wurde vom European Journalism Centre gefördert.
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