- Politik
- Fall Amad A.
Ein Opfer des CDU-Mantras
Opposition in NRW kritisiert fehlende Aufklärung im Fall Amad A.
Spätsommer 2018. Amad A. wird verhaftet und in die Justizvollzugsanstalt Kleve verbracht. Der Grund dafür: Bei der Überprüfung seiner Personalien wird der junge Mann aus Syrien mit einem Mann aus Mali verwechselt. Ihre Daten waren von einer Angestellten der Polizei in einem Datensatz zusammengeführt worden. Wenige Wochen später brennt die Zelle von Amad A. im Klever Gefängnis. Amad A. stirbt. Die Hypothese, dass Amad A. sich selbst umgebracht hat, konnte bis heute nicht hundertprozentig bestätigt werden. Es bleiben Zweifel.
Für die zentralen Fragestellungen des Untersuchungsausschusses im nordrhein-westfälischen Landtag steht auch ein anderes Problem an erster Stelle. Wie konnte es sein, dass Amad A. unrechtmäßig inhaftiert wurde? Warum ist die Verwechslung niemandem aufgefallen? In 38 Sitzungen versuchte der Ausschuss, das zu klären. 138 Zeugen und vier Sachverständige wurden angehört.
Die Bilanz, die im Ausschussbericht niedergeschrieben wurde, ist ernüchternd. Immer wieder ist von einer »tragischen Verwechslung« oder einem »tragischen Fall« die Rede. Eine »behördenübergreifende ausländerfeindliche Verschwörung« wird abgestritten. Über strukturellen Rassismus steht nichts in dem Bericht. Stattdessen werden Maßnahmen gelobt, die seitdem vom Innen- und Justizministerium getroffen wurden. Ein Foto von Verdächtigen erscheint im Polizeisystem nicht mehr erst nach mehreren Klicks, sondern sofort. Das hätte im Fall von Amad A. möglicherweise geholfen. Der Mann, mit dem er verwechselt wurde, ist schwarz. Auch kann nicht mehr jeder Datensätze zusammenführen, das dürfen nur noch speziell geschulte Polizisten. In der Justiz nimmt man nun Fingerabdrücke zum Datenabgleich, wenn das nicht schon bei der Polizei geschehen ist. Dreimal soll deswegen schon erkannt worden sein, dass eine falsche Person inhaftiert wurde.
Aus Sicht der Oppositionsfraktionen von SPD und Grünen ist das zu wenig Aufklärung und Aufarbeitung. Der SPD-Abgeordnete Sven Wolf spricht von einem »unvergleichlichen kollektiven und systematischen Versagen der Strafverfolgungs- und Vollstreckungsbehörden in NRW«. Für Wolf wäre es möglich gewesen, dies zu erkennen und die »Unrechtshaft von Amad A. zu erkennen«. Das sei wegen des »Null-Toleranz-Mantras des CDU-geführten Innenministeriums« nicht geschehen. Das Prinzip, wonach im Zweifel für den Beschuldigten gehandelt werden solle, sei vergessen worden.
Stefan Engstfeld von den Grünen wirft der Landesregierung vor, »nicht umfassend an der Aufklärung mitgearbeitet« zu haben. Verantwortung sei trotz eines »unfassbaren und blamablen Rechtsstaatsversagens« nicht umfassend übernommen worden. Die Bewertung im Abschlussbericht des Ausschusses sei tendenziös und »darauf konzentriert, Schaden von den CDU-Ministern Biesenbach und Reul fernzuhalten«. Dabei sei eine »nicht enden wollende Fehlerkette« in der Ausschussarbeit aufgedeckt worden.
Aufklärung kann die Familie von Amad A. nun nur noch auf dem strafrechtlichen Weg erhoffen. Ihr Anwalt sieht eine Freiheitsberaubung als eindeutig gegeben an. Die Polizisten, die Amad A. in Geldern festgenommen haben, hätten billigend in Kauf genommen, den Falschen zu inhaftieren. Der Anwalt hofft auf einen Abschreckungseffekt.
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