Kriegsverharmloser auf Tour

Russen demonstrieren in Deutschland gegen Diskriminierung. Einige geben der Ukraine die Schuld am Krieg

  • Jannis Große, Hannover
  • Lesedauer: 5 Min.

Auf einem kleinen Parkplatz in der Nähe des Fußballstadions in Hannover sammelt sich am Sonntagmittag eine Menschenmenge. Viele haben russische und deutsche Nationalflaggen dabei. Vereinzelt sieht man Fahnen von Kasachstan, Kirgisistan oder Rumänien. Sie treffen sich zum Autokorso. Auch Hunderte Autos der Demonstrant*innen sind mit russischen und deutschen Flaggen geschmückt. »Wir sind nicht hier, um über den Krieg zu reden«, erklärt ein Redner. »Wir sind gegen Diskriminierung und Mobbing. Wir wollen dem Land zeigen, dass wir normale Bürger sind und in Frieden hier leben wollen.« Bilder wie diese sind am Wochenende in mehreren deutschen Städten zu sehen. In Hannover beteiligen sich rund 350 Autos mit 600 Demonstrant*innen, so die Zahl der Polizei. Auch im südbadischen Lörrach, in Stuttgart und in Frankfurt am Main finden prorussische Demonstrationen statt.

Offiziell richtet sich der Protest gegen die Diskriminierung der russischsprachigen Bevölkerung. Ein Redner kritisiert die Darstellung der Autokorsos in den Medien. Er erzählt von Diskriminierungserfahrungen, die er aufgrund der russischen Sprache in der Öffentlichkeit erlebt habe. So sei er mit einem Freund aus einem Imbiss geworfen worden, weil sie sich auf Russisch unterhalten hatten.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Der prorussische Autokorso bleibt in Hannover dabei nicht unwidersprochen. Der Freundeskreis Hannover hat eine Gegendemo angemeldet, zu der auch Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) aufgerufen hat. »Jede*r hat das Recht auf Versammlung und Demonstration«, schreibt der Bürgermeister auf Twitter. »Aber es ist absolut unverständlich vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine mit russischen Fahnen und einem Autokorso durch unsere Stadt ziehen.«

Dabei hat seit dem Beginn des Krieges die Ablehnung und Anfeindung von Russ*innen und Menschen mit russischen Wurzeln in Deutschland tatsächlich zugenommen. Es gibt Berichte von russisch-feindlichen Graffiti, von Übergriffen und Diskriminierung. Auch in Schulen häufen sich die Berichte von Anfeindungen und Mobbing gegen Schüler*innen mit russischen Wurzeln. Dabei gibt es gerade in den sozialen Medien immer wieder Berichte, die sich nicht prüfen lassen oder sich als Fake herausstellen, wie bei einem Video aus Nordrhein-Westfalen Ende März.

Die Anfeindungen sind auch den Gegendemonstrant*innen bewusst. Im Aufruf des Freundeskreises Hannover heißt es: »In Hannover leben auch viele friedliebende Menschen mit Wurzeln in Russland. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie in unserer Mitte angefeindet oder ausgegrenzt werden.«

In einer geschlossenen Telegramgruppe mit mehr als 800 Mitgliedern kommunizieren die Teilnehmer*innen aus Hannover schon vor dem Korso. Die meisten Nachrichten sind auf russisch, etliche Profilbilder werden von russischen Nationalflaggen geziert. Vereinzelt haben Menschen ein Z-Symbol als Profilbild.

Verbotene Symbole

Nach Ansage der Organisatoren sind die Symbole Z, V und O, die vom russischen Militär im Angriffskrieg auf die Ukraine genutzt werden, auf der Demonstration verboten. Erwünscht sind dafür ausdrücklich Nationalflaggen von Deutschland, Russland sowie der Länder der ehemaligen Sowjetunion. Das öffentliche Billigen des russischen Angriffskrieges zum Beispiel durch Zeigen des Z-Symbols kann in Niedersachsen strafrechtliche Konsequenzen haben, erklärte Innenminister Boris Pistorius (SPD) Ende März.

Die Polizei überprüft vor der Abfahrt die Fahrsicherheit der Fahrzeuge im Korso. Flaggen, die die Fahrt behindern, müssen abgebaut werden. An die Verbote scheinen sich die Demonstrant*innen überwiegend zu halten.

Aber dennoch leugnen einige Teilnehmer*innen, dass der Krieg in der Ukraine von Russland ausgehe. Ein Demoteilnehmer mit Wladimir Putin und einem großen Bären auf dem T-Shirt erzählt, Russland habe die Ukraine nicht angegriffen. Die Ukraine würde seit 2014 Krieg gegen die eigene Bevölkerung führen. Die deutschen Medien würden nicht die Wahrheit erzählen. »Putin hat viel für Russland gemacht, in den 1990er Jahren war Russland ziemlich kaputt«, sagt der Demonstrant.

Bereits vergangene Woche fand in Berlin ein prorussischer Autokorso statt. Zwischen der Szene der prorussischen Autokorsos und dem Umfeld der Pandemieleugner*innen und Impfgegner*innen gibt es Verbindungen. Mitglieder der Telegramgruppe zum Korso haben Statements gegen die Coronapolitik im Profilbild. Aufrufe zum Autokorso werden in Querdenken-Gruppen geteilt. Auch werden in beiden Szenen die Medien immer wieder als Lügner dargestellt und Bezug auf russische Propaganda genommen.

Abgeschirmt von Hamburger Gittern und Polizeikräften sammeln sich rund zwei Kilometer vom Start des Autokorso entfernt laut Polizei 3500 Gegendemonstrant*innen. Entlang der Route des Autokorso zeigt sich hier über mehrere hundert Meter ein Meer aus ukrainischen Flaggen. »Stand with Urkaine« und »Stop the war« steht auf unzähligen Transparenten. Immer wieder fahren einzelne Autos mit Ukraineflaggen an den Demonstrant*innen vorbei und werden bejubelt.

Der prorussische Autokorso startet später als geplant. Gegen 15 Uhr beginnen Gegendemonstrant*innen, den Autokorso am Leibnizufer zu blockieren. Vereinzelt fliegen Kuscheltiere und Eier. Die Lage wird kurz chaotisch und Polizeikräfte versuchen mit großer Mühe, die Straße freizuhalten. Demonstrant*innen mit ukrainischen Flaggen rufen: »Putin ist ein Kriegsverbrecher.« Autos werden umringt, vereinzelt kommt es zu Wortgefechten zwischen Autofahrer*innen und Gegendemonstrant*innen. Während der Autokorso umgeleitet wird, nimmt sich der Gegenprotest die Straße und läuft den anrollenden Autos entgegen. Ein Auto wird mit Polizeischutz aus der Menge geleitet.

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